Er mochte kaum drei schnellere Schritte ge¬ than haben, um ihr vorzukommen: als er drei Flüche und ein Kothwort vernahm. Er drehte sich heftig um, mit der glänzenden Ordenskette in Händen, die er der anscheinenden Ordensschwe¬ ster der Sklavinnen der Tugend vom Sing-Halse gerissen; und in einer dunkeln Allee der Stadt ließ er Thränen fallen, darüber, daß eine solche rauhe Seele eine Singstimme besitze, und daß sie der heiligen so nahe wohne. Hoch aber zog Wi¬ nas Gestalt in ihrem glänzenden Wolkenhimmel weiter; und ihm war, als könne nur ein Tod ihn, wie zu Gott, so zur Göttin bringen.
Nro. 35. Chrysopras.
Träumen -- Singen -- Beten -- Träumen.
Am Freitage darauf, wo Wina wiederkom¬ men sollte, sprang er, ohne an sie zu denken, so innig-vergnügt aus dem Bette in den Tag, als wär's ein Brauttag. Er wußte keinen Grund als daß er die ganze Nacht einen immer zurükflattern¬ dern Traum gesehen, wovon er kein Bild und
Er mochte kaum drei ſchnellere Schritte ge¬ than haben, um ihr vorzukommen: als er drei Fluͤche und ein Kothwort vernahm. Er drehte ſich heftig um, mit der glaͤnzenden Ordenskette in Haͤnden, die er der anſcheinenden Ordensſchwe¬ ſter der Sklavinnen der Tugend vom Sing-Halſe geriſſen; und in einer dunkeln Allee der Stadt ließ er Thraͤnen fallen, daruͤber, daß eine ſolche rauhe Seele eine Singſtimme beſitze, und daß ſie der heiligen ſo nahe wohne. Hoch aber zog Wi¬ nas Geſtalt in ihrem glaͤnzenden Wolkenhimmel weiter; und ihm war, als koͤnne nur ein Tod ihn, wie zu Gott, ſo zur Goͤttin bringen.
Nro. 35. Chryſopras.
Traͤumen — Singen — Beten — Traͤumen.
Am Freitage darauf, wo Wina wiederkom¬ men ſollte, ſprang er, ohne an ſie zu denken, ſo innig-vergnuͤgt aus dem Bette in den Tag, als waͤr's ein Brauttag. Er wußte keinen Grund als daß er die ganze Nacht einen immer zuruͤkflattern¬ dern Traum geſehen, wovon er kein Bild und
<TEI><text><body><divn="1"><pbn="20"facs="#f0028"/><p>Er mochte kaum drei ſchnellere Schritte ge¬<lb/>
than haben, um ihr vorzukommen: als er drei<lb/>
Fluͤche und ein Kothwort vernahm. Er drehte<lb/>ſich heftig um, mit der glaͤnzenden Ordenskette<lb/>
in Haͤnden, die er der anſcheinenden Ordensſchwe¬<lb/>ſter der Sklavinnen der Tugend vom Sing-Halſe<lb/>
geriſſen; und in einer dunkeln Allee der Stadt<lb/>
ließ er Thraͤnen fallen, daruͤber, daß eine ſolche<lb/>
rauhe Seele eine Singſtimme beſitze, und daß ſie<lb/>
der heiligen ſo nahe wohne. Hoch aber zog Wi¬<lb/>
nas Geſtalt in ihrem glaͤnzenden Wolkenhimmel<lb/>
weiter; und ihm war, als koͤnne nur ein Tod ihn,<lb/>
wie zu Gott, ſo zur Goͤttin bringen.</p><lb/><milestoneunit="section"rendition="#hr"/></div><divn="1"><head><hirendition="#aq #b">N</hi><hirendition="#aq #sup">ro</hi><hirendition="#b">. 35. Chryſopras.</hi><lb/></head><argument><prendition="#c">Traͤumen — Singen — Beten — Traͤumen.</p></argument><lb/><p>Am Freitage darauf, wo Wina wiederkom¬<lb/>
men ſollte, ſprang er, ohne an ſie zu denken, ſo<lb/>
innig-vergnuͤgt aus dem Bette in den Tag, als<lb/>
waͤr's ein Brauttag. Er wußte keinen Grund als<lb/>
daß er die ganze Nacht einen immer zuruͤkflattern¬<lb/>
dern Traum geſehen, wovon er kein Bild und<lb/></p></div></body></text></TEI>
[20/0028]
Er mochte kaum drei ſchnellere Schritte ge¬
than haben, um ihr vorzukommen: als er drei
Fluͤche und ein Kothwort vernahm. Er drehte
ſich heftig um, mit der glaͤnzenden Ordenskette
in Haͤnden, die er der anſcheinenden Ordensſchwe¬
ſter der Sklavinnen der Tugend vom Sing-Halſe
geriſſen; und in einer dunkeln Allee der Stadt
ließ er Thraͤnen fallen, daruͤber, daß eine ſolche
rauhe Seele eine Singſtimme beſitze, und daß ſie
der heiligen ſo nahe wohne. Hoch aber zog Wi¬
nas Geſtalt in ihrem glaͤnzenden Wolkenhimmel
weiter; und ihm war, als koͤnne nur ein Tod ihn,
wie zu Gott, ſo zur Goͤttin bringen.
Nro. 35. Chryſopras.
Traͤumen — Singen — Beten — Traͤumen.
Am Freitage darauf, wo Wina wiederkom¬
men ſollte, ſprang er, ohne an ſie zu denken, ſo
innig-vergnuͤgt aus dem Bette in den Tag, als
waͤr's ein Brauttag. Er wußte keinen Grund als
daß er die ganze Nacht einen immer zuruͤkflattern¬
dern Traum geſehen, wovon er kein Bild und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804/28>, abgerufen am 03.03.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.