nach dem Untergang der Freundschaftssonne als stiller Liebes-Hesperus fortschimmerte.
Er kopierte mit gespizten Ohren, weil er (nicht ohne alle Hoffnung) in der Furcht dasaß, daß Wina gar in's Kabinet und an einen oder den andern Sekretair fliege, den hölzernen oder den lebendigen. Indes kam nichts. Er überleg¬ te sehr, ob er nicht in den Wandschrank einbre¬ chen und das himmelblaue Kleid als den blauen Aether der fernen Sonne leicht anrühren sollte mit Hand oder mit Mund -- als der General ein¬ trat, ihn erschreckte und das Kopieren pries und schlos.
So glücklich gieng die Schreibstunde, und die Gefahr, Wina zu sehen, vorüber, und er wankte heim mit einem Kopfe, der sich ein wenig im Herzen vollgetrunken hatte.
Auf den Thurmknöpfen und Parke-Gipfeln lag noch süßes rothes Sonnenlicht und wekte zu¬ gleich das Sehnen und Hoffen der Menschen in und außer Haslau.
Er kopierte den zweiten Tag, stets mit der¬ selben Angst, daß Wina die Thüre aufmache.
Flegeljahre III. Bd. 2
nach dem Untergang der Freundſchaftsſonne als ſtiller Liebes-Heſperus fortſchimmerte.
Er kopierte mit geſpizten Ohren, weil er (nicht ohne alle Hoffnung) in der Furcht daſaß, daß Wina gar in's Kabinet und an einen oder den andern Sekretair fliege, den hoͤlzernen oder den lebendigen. Indes kam nichts. Er uͤberleg¬ te ſehr, ob er nicht in den Wandſchrank einbre¬ chen und das himmelblaue Kleid als den blauen Aether der fernen Sonne leicht anruͤhren ſollte mit Hand oder mit Mund — als der General ein¬ trat, ihn erſchreckte und das Kopieren pries und ſchlos.
So gluͤcklich gieng die Schreibſtunde, und die Gefahr, Wina zu ſehen, voruͤber, und er wankte heim mit einem Kopfe, der ſich ein wenig im Herzen vollgetrunken hatte.
Auf den Thurmknoͤpfen und Parke-Gipfeln lag noch ſuͤßes rothes Sonnenlicht und wekte zu¬ gleich das Sehnen und Hoffen der Menſchen in und außer Haslau.
Er kopierte den zweiten Tag, ſtets mit der¬ ſelben Angſt, daß Wina die Thuͤre aufmache.
Flegeljahre III. Bd. 2
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nach dem Untergang der Freundſchaftsſonne als
ſtiller Liebes-Heſperus fortſchimmerte.
Er kopierte mit geſpizten Ohren, weil er
(nicht ohne alle Hoffnung) in der Furcht daſaß,
daß Wina gar in's Kabinet und an einen oder
den andern Sekretair fliege, den hoͤlzernen oder
den lebendigen. Indes kam nichts. Er uͤberleg¬
te ſehr, ob er nicht in den Wandſchrank einbre¬
chen und das himmelblaue Kleid als den blauen
Aether der fernen Sonne leicht anruͤhren ſollte mit
Hand oder mit Mund — als der General ein¬
trat, ihn erſchreckte und das Kopieren pries und
ſchlos.
So gluͤcklich gieng die Schreibſtunde, und
die Gefahr, Wina zu ſehen, voruͤber, und er
wankte heim mit einem Kopfe, der ſich ein wenig
im Herzen vollgetrunken hatte.
Auf den Thurmknoͤpfen und Parke-Gipfeln
lag noch ſuͤßes rothes Sonnenlicht und wekte zu¬
gleich das Sehnen und Hoffen der Menſchen in
und außer Haslau.
Er kopierte den zweiten Tag, ſtets mit der¬
ſelben Angſt, daß Wina die Thuͤre aufmache.
Flegeljahre III. Bd. 2
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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804/25>, abgerufen am 28.07.2024.
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