die Hand, die seine Augen zudekte, und hatte ei¬ nen langen reinen Schmerz. Er war nicht im Stand, das liebliche Angesicht des schönen Mäd¬ gens oder dessen Leiden zu behorchen mit Blicken, wenn sie den Garten herwärts kam. Er erschrack vor der ersten Stunde, wo er bei ihrem Vater ko¬ pieren und ihr aufstossen könnte. Die unterge¬ hende Sonne wärmte ihn endlich mütterlich aus dem Winterschlafe der bösen Stunde auf. Der Garten war leer; er gieng hinunter. Er wußte nicht, was er drunten wollte. Im Gebüsch flat¬ terte ein halb zerrissenes feines Brief-Papierblatt. Er nahm es, es war von weiblicher Hand und enthielt eine aus einem fremden Briefe kopierte Stelle, wie er aus den sogenannten Gänsefüssen ersah. Ein halbes Blatt, ein entzweigeschliztes, eine Kopie eines zweiten Briefes -- einen ersten hätt' er nie gelesen -- konnt' er wohl ansehen und lesen:
"" -- Blumen entzwei. Glaub' es mir. O wie leicht und froh verschmerzt man eignen Schmerz! Wie so schwer den fremden, den man, wiewohl schuldlos und gezwungen, hergeführt!
die Hand, die ſeine Augen zudekte, und hatte ei¬ nen langen reinen Schmerz. Er war nicht im Stand, das liebliche Angeſicht des ſchoͤnen Maͤd¬ gens oder deſſen Leiden zu behorchen mit Blicken, wenn ſie den Garten herwaͤrts kam. Er erſchrack vor der erſten Stunde, wo er bei ihrem Vater ko¬ pieren und ihr aufſtoſſen koͤnnte. Die unterge¬ hende Sonne waͤrmte ihn endlich muͤtterlich aus dem Winterſchlafe der boͤſen Stunde auf. Der Garten war leer; er gieng hinunter. Er wußte nicht, was er drunten wollte. Im Gebuͤſch flat¬ terte ein halb zerriſſenes feines Brief-Papierblatt. Er nahm es, es war von weiblicher Hand und enthielt eine aus einem fremden Briefe kopierte Stelle, wie er aus den ſogenannten Gaͤnſefuͤſſen erſah. Ein halbes Blatt, ein entzweigeſchliztes, eine Kopie eines zweiten Briefes — einen erſten haͤtt’ er nie geleſen — konnt' er wohl anſehen und leſen:
„„ — Blumen entzwei. Glaub' es mir. O wie leicht und froh verſchmerzt man eignen Schmerz! Wie ſo ſchwer den fremden, den man, wiewohl ſchuldlos und gezwungen, hergefuͤhrt!
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0018"n="10"/>
die Hand, die ſeine Augen zudekte, und hatte ei¬<lb/>
nen langen reinen Schmerz. Er war nicht im<lb/>
Stand, das liebliche Angeſicht des ſchoͤnen Maͤd¬<lb/>
gens oder deſſen Leiden zu behorchen mit Blicken,<lb/>
wenn ſie den Garten herwaͤrts kam. Er erſchrack<lb/>
vor der erſten Stunde, wo er bei ihrem Vater ko¬<lb/>
pieren und ihr aufſtoſſen koͤnnte. Die unterge¬<lb/>
hende Sonne waͤrmte ihn endlich muͤtterlich aus<lb/>
dem Winterſchlafe der boͤſen Stunde auf. Der<lb/>
Garten war leer; er gieng hinunter. Er wußte<lb/>
nicht, was er drunten wollte. Im Gebuͤſch flat¬<lb/>
terte ein halb zerriſſenes feines Brief-Papierblatt.<lb/>
Er nahm es, es war von weiblicher Hand und<lb/>
enthielt eine aus einem fremden Briefe kopierte<lb/>
Stelle, wie er aus den ſogenannten Gaͤnſefuͤſſen<lb/>
erſah. Ein halbes Blatt, ein entzweigeſchliztes,<lb/>
eine Kopie eines zweiten Briefes — einen erſten<lb/>
haͤtt’ er nie geleſen — konnt' er wohl anſehen und<lb/>
leſen:</p><lb/><p>„„— Blumen entzwei. Glaub' es mir.<lb/>
O wie leicht und froh verſchmerzt man eignen<lb/>
Schmerz! Wie ſo ſchwer den fremden, den man,<lb/>
wiewohl ſchuldlos und gezwungen, hergefuͤhrt!<lb/></p></div></body></text></TEI>
[10/0018]
die Hand, die ſeine Augen zudekte, und hatte ei¬
nen langen reinen Schmerz. Er war nicht im
Stand, das liebliche Angeſicht des ſchoͤnen Maͤd¬
gens oder deſſen Leiden zu behorchen mit Blicken,
wenn ſie den Garten herwaͤrts kam. Er erſchrack
vor der erſten Stunde, wo er bei ihrem Vater ko¬
pieren und ihr aufſtoſſen koͤnnte. Die unterge¬
hende Sonne waͤrmte ihn endlich muͤtterlich aus
dem Winterſchlafe der boͤſen Stunde auf. Der
Garten war leer; er gieng hinunter. Er wußte
nicht, was er drunten wollte. Im Gebuͤſch flat¬
terte ein halb zerriſſenes feines Brief-Papierblatt.
Er nahm es, es war von weiblicher Hand und
enthielt eine aus einem fremden Briefe kopierte
Stelle, wie er aus den ſogenannten Gaͤnſefuͤſſen
erſah. Ein halbes Blatt, ein entzweigeſchliztes,
eine Kopie eines zweiten Briefes — einen erſten
haͤtt’ er nie geleſen — konnt' er wohl anſehen und
leſen:
„„ — Blumen entzwei. Glaub' es mir.
O wie leicht und froh verſchmerzt man eignen
Schmerz! Wie ſo ſchwer den fremden, den man,
wiewohl ſchuldlos und gezwungen, hergefuͤhrt!
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804/18>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.