Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

stus, der gen Himmel geht, weil er eben die
Erde nicht vergisset.

Die Flöte floß ihm immer durch das Beete
des Thales nach, ohne doch weder näher zu
kommen, wenn er stand, oder zurück zu bleiben,
wenn er lief.

Jzt schwang sich die Landstraße plözlich aus
dem Thale den Berg hinauf. -- Die Flöte drun¬
ten wurde still, da sich oben die Weltfläche weit
und breit vor ihm aufthat, und sich mit zahl¬
losen Dörfern und weissen Schlössern anfüllte,
und mit wasserziehenden Bergen und mit gebog¬
nen Wäldern umgürtete. Er gieng auf dem
Bergrücken wie auf einer langen Bogen-Brücke,
über die unten grünende Meeresfläche zu beiden
Seiten hin.

Er war ganz allein und vor Ohren sicher, er
pfiff frei daher figurirte Chorale, Phantasien, und
zulezt alte Volksmelodien, und hörte nicht ein¬
mal auf, wenn er einathmete. Gegen die Natur
aller andern Blasinstrumente, bleibt diese Mund¬
harmonika wie die andere, romantisch und süß
in großer Nähe -- keinen halben Fuß vom Oh¬

ſtus, der gen Himmel geht, weil er eben die
Erde nicht vergiſſet.

Die Floͤte floß ihm immer durch das Beete
des Thales nach, ohne doch weder naͤher zu
kommen, wenn er ſtand, oder zuruͤck zu bleiben,
wenn er lief.

Jzt ſchwang ſich die Landſtraße ploͤzlich aus
dem Thale den Berg hinauf. — Die Floͤte drun¬
ten wurde ſtill, da ſich oben die Weltflaͤche weit
und breit vor ihm aufthat, und ſich mit zahl¬
loſen Doͤrfern und weiſſen Schloͤſſern anfuͤllte,
und mit waſſerziehenden Bergen und mit gebog¬
nen Waͤldern umguͤrtete. Er gieng auf dem
Bergruͤcken wie auf einer langen Bogen-Bruͤcke,
uͤber die unten gruͤnende Meeresflaͤche zu beiden
Seiten hin.

Er war ganz allein und vor Ohren ſicher, er
pfiff frei daher figurirte Chorale, Phantaſien, und
zulezt alte Volksmelodien, und hoͤrte nicht ein¬
mal auf, wenn er einathmete. Gegen die Natur
aller andern Blasinſtrumente, bleibt dieſe Mund¬
harmonika wie die andere, romantiſch und ſuͤß
in großer Naͤhe — keinen halben Fuß vom Oh¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0100" n="92"/>
&#x017F;tus, der gen Himmel geht, weil er eben die<lb/>
Erde nicht vergi&#x017F;&#x017F;et.</p><lb/>
        <p>Die Flo&#x0364;te floß ihm immer durch das Beete<lb/>
des Thales nach, ohne doch weder na&#x0364;her zu<lb/>
kommen, wenn er &#x017F;tand, oder zuru&#x0364;ck zu bleiben,<lb/>
wenn er lief.</p><lb/>
        <p>Jzt &#x017F;chwang &#x017F;ich die Land&#x017F;traße plo&#x0364;zlich aus<lb/>
dem Thale den Berg hinauf. &#x2014; Die Flo&#x0364;te drun¬<lb/>
ten wurde &#x017F;till, da &#x017F;ich oben die Weltfla&#x0364;che weit<lb/>
und breit vor ihm aufthat, und &#x017F;ich mit zahl¬<lb/>
lo&#x017F;en Do&#x0364;rfern und wei&#x017F;&#x017F;en Schlo&#x0364;&#x017F;&#x017F;ern anfu&#x0364;llte,<lb/>
und mit wa&#x017F;&#x017F;erziehenden Bergen und mit gebog¬<lb/>
nen Wa&#x0364;ldern umgu&#x0364;rtete. Er gieng auf dem<lb/>
Bergru&#x0364;cken wie auf einer langen Bogen-Bru&#x0364;cke,<lb/>
u&#x0364;ber die unten gru&#x0364;nende Meeresfla&#x0364;che zu beiden<lb/>
Seiten hin.</p><lb/>
        <p>Er war ganz allein und vor Ohren &#x017F;icher, er<lb/>
pfiff frei daher figurirte Chorale, Phanta&#x017F;ien, und<lb/>
zulezt alte Volksmelodien, und ho&#x0364;rte nicht ein¬<lb/>
mal auf, wenn er einathmete. Gegen die Natur<lb/>
aller andern Blasin&#x017F;trumente, bleibt die&#x017F;e Mund¬<lb/>
harmonika wie die andere, romanti&#x017F;ch und &#x017F;u&#x0364;ß<lb/>
in großer Na&#x0364;he &#x2014; keinen halben Fuß vom Oh¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[92/0100] ſtus, der gen Himmel geht, weil er eben die Erde nicht vergiſſet. Die Floͤte floß ihm immer durch das Beete des Thales nach, ohne doch weder naͤher zu kommen, wenn er ſtand, oder zuruͤck zu bleiben, wenn er lief. Jzt ſchwang ſich die Landſtraße ploͤzlich aus dem Thale den Berg hinauf. — Die Floͤte drun¬ ten wurde ſtill, da ſich oben die Weltflaͤche weit und breit vor ihm aufthat, und ſich mit zahl¬ loſen Doͤrfern und weiſſen Schloͤſſern anfuͤllte, und mit waſſerziehenden Bergen und mit gebog¬ nen Waͤldern umguͤrtete. Er gieng auf dem Bergruͤcken wie auf einer langen Bogen-Bruͤcke, uͤber die unten gruͤnende Meeresflaͤche zu beiden Seiten hin. Er war ganz allein und vor Ohren ſicher, er pfiff frei daher figurirte Chorale, Phantaſien, und zulezt alte Volksmelodien, und hoͤrte nicht ein¬ mal auf, wenn er einathmete. Gegen die Natur aller andern Blasinſtrumente, bleibt dieſe Mund¬ harmonika wie die andere, romantiſch und ſuͤß in großer Naͤhe — keinen halben Fuß vom Oh¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804/100
Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804/100>, abgerufen am 24.11.2024.