Glanz äusserte: "warum giebt es aber jezt keine mehr? Und warum ist alles so natürlich und alltäglich dabei zugegangen, wie Sie vorhin selber einräumten. Doch mach' ich diese Ein¬ würfe gar nicht, Hr. Graf, als wenn ich glaubte, daß Sie im Ernste jener Meinung wären."
Hudo versezte: "dann verkennen Sie meine Denkweise. Wie? Kann man aus dem Aus¬ setzen oder Wegbleiben einer Erfahrung, z. B. einer elektrischen, einer somnabulistischen auf ihre Unmöglichkeit schließen? Nur aus positiven Er¬ scheinungen ist zu beweisen; negative sind ein logischer Widerspruch: Kennen wir die Bedin¬ gungen einer Erscheinung? So viele Menschen und Jahre gehen vorüber, kein Genie ist darun¬ ter; -- und doch giebts Genies; -- könnt' es nicht eben so mit den Sonntags-Kindern sein, die Augen und Verhältnisse für Geister haben? -- Was Ihre Alltäglichkeit, die Sie einwenden, anlangt, so gilt diese auch für jede positive Re¬ ligion, die sich in die Alltäglichkeit ihrer ersten Apostel versteckt; alles Geistige schmiegt sich so
Glanz aͤuſſerte: „warum giebt es aber jezt keine mehr? Und warum iſt alles ſo natuͤrlich und alltaͤglich dabei zugegangen, wie Sie vorhin ſelber einraͤumten. Doch mach' ich dieſe Ein¬ wuͤrfe gar nicht, Hr. Graf, als wenn ich glaubte, daß Sie im Ernſte jener Meinung waͤren.“
Hudo verſezte: „dann verkennen Sie meine Denkweiſe. Wie? Kann man aus dem Aus¬ ſetzen oder Wegbleiben einer Erfahrung, z. B. einer elektriſchen, einer ſomnabuliſtiſchen auf ihre Unmoͤglichkeit ſchließen? Nur aus poſitiven Er¬ ſcheinungen iſt zu beweiſen; negative ſind ein logiſcher Widerſpruch: Kennen wir die Bedin¬ gungen einer Erſcheinung? So viele Menſchen und Jahre gehen voruͤber, kein Genie iſt darun¬ ter; — und doch giebts Genies; — koͤnnt' es nicht eben ſo mit den Sonntags-Kindern ſein, die Augen und Verhaͤltniſſe fuͤr Geiſter haben? — Was Ihre Alltaͤglichkeit, die Sie einwenden, anlangt, ſo gilt dieſe auch fuͤr jede poſitive Re¬ ligion, die ſich in die Alltaͤglichkeit ihrer erſten Apoſtel verſteckt; alles Geiſtige ſchmiegt ſich ſo
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Glanz aͤuſſerte: „warum giebt es aber jezt
keine mehr? Und warum iſt alles ſo natuͤrlich
und alltaͤglich dabei zugegangen, wie Sie vorhin
ſelber einraͤumten. Doch mach' ich dieſe Ein¬
wuͤrfe gar nicht, Hr. Graf, als wenn ich
glaubte, daß Sie im Ernſte jener Meinung
waͤren.“
Hudo verſezte: „dann verkennen Sie meine
Denkweiſe. Wie? Kann man aus dem Aus¬
ſetzen oder Wegbleiben einer Erfahrung, z. B.
einer elektriſchen, einer ſomnabuliſtiſchen auf ihre
Unmoͤglichkeit ſchließen? Nur aus poſitiven Er¬
ſcheinungen iſt zu beweiſen; negative ſind ein
logiſcher Widerſpruch: Kennen wir die Bedin¬
gungen einer Erſcheinung? So viele Menſchen
und Jahre gehen voruͤber, kein Genie iſt darun¬
ter; — und doch giebts Genies; — koͤnnt' es
nicht eben ſo mit den Sonntags-Kindern ſein,
die Augen und Verhaͤltniſſe fuͤr Geiſter haben? —
Was Ihre Alltaͤglichkeit, die Sie einwenden,
anlangt, ſo gilt dieſe auch fuͤr jede poſitive Re¬
ligion, die ſich in die Alltaͤglichkeit ihrer erſten
Apoſtel verſteckt; alles Geiſtige ſchmiegt ſich ſo
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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 2. Tübingen, 1804, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre02_1804/94>, abgerufen am 16.02.2025.
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