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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 2. Tübingen, 1804.

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lustige Elsasser drohte ihr aus dem warmen
Gewölke oben Regen und schwemmte sie damit
davon.

Raphaela hatte Walts verliebte Blicke über
der Tafel nicht übersehen, mit ihren gerührten;
zur Liebe gehören ohnehin wie zur Gährung --
sie ist ja selber eine -- zwei Bedingungen, Wär¬
me
und Nässe; und mit lezterer begann Ra¬
phaela gern. Es giebt weibliche Wesen -- sie
darf sich darunter rechnen -- die nichts so gern
haben als Mitleiden mit fremden Leiden, beson¬
ders mit weiblichen. Sie wünschen sich ordent¬
lich recht viel mitzuleiden, und suchen Freundin¬
nen gerade in der Noth am liebsten, ja sie we¬
cken durch Mittheilen fremde Seelen zu gleicher
Theilnahme und finden wahren Genuß in frem¬
den Thränen, -- denn so viel vermag die Tu¬
gend durch Uebung -- so wie etwa der Zaun-
König nie lustiger springt und singt als vor
Regenwetter. Mendelssohn, der das Mit¬
leid unter die vermischten Empfindungen bringt,
hält eben darum reine für weniger schmack¬
haft.

luſtige Elſaſſer drohte ihr aus dem warmen
Gewoͤlke oben Regen und ſchwemmte ſie damit
davon.

Raphaela hatte Walts verliebte Blicke uͤber
der Tafel nicht uͤberſehen, mit ihren geruͤhrten;
zur Liebe gehoͤren ohnehin wie zur Gaͤhrung —
ſie iſt ja ſelber eine — zwei Bedingungen, Waͤr¬
me
und Naͤſſe; und mit lezterer begann Ra¬
phaela gern. Es giebt weibliche Weſen — ſie
darf ſich darunter rechnen — die nichts ſo gern
haben als Mitleiden mit fremden Leiden, beſon¬
ders mit weiblichen. Sie wuͤnſchen ſich ordent¬
lich recht viel mitzuleiden, und ſuchen Freundin¬
nen gerade in der Noth am liebſten, ja ſie we¬
cken durch Mittheilen fremde Seelen zu gleicher
Theilnahme und finden wahren Genuß in frem¬
den Thraͤnen, — denn ſo viel vermag die Tu¬
gend durch Uebung — ſo wie etwa der Zaun-
Koͤnig nie luſtiger ſpringt und ſingt als vor
Regenwetter. Mendelsſohn, der das Mit¬
leid unter die vermiſchten Empfindungen bringt,
haͤlt eben darum reine fuͤr weniger ſchmack¬
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[179/0187] luſtige Elſaſſer drohte ihr aus dem warmen Gewoͤlke oben Regen und ſchwemmte ſie damit davon. Raphaela hatte Walts verliebte Blicke uͤber der Tafel nicht uͤberſehen, mit ihren geruͤhrten; zur Liebe gehoͤren ohnehin wie zur Gaͤhrung — ſie iſt ja ſelber eine — zwei Bedingungen, Waͤr¬ me und Naͤſſe; und mit lezterer begann Ra¬ phaela gern. Es giebt weibliche Weſen — ſie darf ſich darunter rechnen — die nichts ſo gern haben als Mitleiden mit fremden Leiden, beſon¬ ders mit weiblichen. Sie wuͤnſchen ſich ordent¬ lich recht viel mitzuleiden, und ſuchen Freundin¬ nen gerade in der Noth am liebſten, ja ſie we¬ cken durch Mittheilen fremde Seelen zu gleicher Theilnahme und finden wahren Genuß in frem¬ den Thraͤnen, — denn ſo viel vermag die Tu¬ gend durch Uebung — ſo wie etwa der Zaun- Koͤnig nie luſtiger ſpringt und ſingt als vor Regenwetter. Mendelsſohn, der das Mit¬ leid unter die vermiſchten Empfindungen bringt, haͤlt eben darum reine fuͤr weniger ſchmack¬ haft.

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 2. Tübingen, 1804, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre02_1804/187>, abgerufen am 24.11.2024.