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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 2. Tübingen, 1804.

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ein Paar verliebte Bälge, die, wenn sie etwas
Hohes in der Poesie oder Musik oder Natur vor¬
bekommen, so fort glauben, das sei ihnen so
recht auf den Leib gemacht, an ihren flüchtigen
Erbärmlichkeiten, die ihnen selber nach einem
Jahr bei noch grösserer als solche erscheinen, ha¬
be der Künstler sein Maas genommen und kom¬
me mit dem gestickten Krönungsmantel und Isis¬
schleier auf dem Aermel zurück, für die Kunden.
Ein Affocie von Neupeter sieht bei solcher Ge¬
legenheit Nachts gen Himmel an die Milch¬
straße und sagt zur Kauffrau: Edle, so em¬
pfange jenen Kreis als einen schlechten Ring von
mir zum Zeichen und Braut-Gürtel unseres
himmlischen Bunds.

"Ei, Bruder, sagte Walt, du bist so hart:
was kann denn ein Mensch für eine Empfindung
oder gegen sie, es sei in der Kunst oder großen
Natur? -- Und wo wohnen denn beide, so
groß sie auch sind, als nur in einzelnen Men¬
schen? -- Wohl mag er sie sich daher zueignen,
als wären sie für ihn allein. Die Sonne geht
vor Schlachtfeldern voll Helden -- vor dem Gar¬

ein Paar verliebte Baͤlge, die, wenn ſie etwas
Hohes in der Poeſie oder Muſik oder Natur vor¬
bekommen, ſo fort glauben, das ſei ihnen ſo
recht auf den Leib gemacht, an ihren fluͤchtigen
Erbaͤrmlichkeiten, die ihnen ſelber nach einem
Jahr bei noch groͤſſerer als ſolche erſcheinen, ha¬
be der Kuͤnſtler ſein Maas genommen und kom¬
me mit dem geſtickten Kroͤnungsmantel und Iſis¬
ſchleier auf dem Aermel zuruͤck, fuͤr die Kunden.
Ein Affocié von Neupeter ſieht bei ſolcher Ge¬
legenheit Nachts gen Himmel an die Milch¬
ſtraße und ſagt zur Kauffrau: Edle, ſo em¬
pfange jenen Kreis als einen ſchlechten Ring von
mir zum Zeichen und Braut-Guͤrtel unſeres
himmliſchen Bunds.

„Ei, Bruder, ſagte Walt, du biſt ſo hart:
was kann denn ein Menſch fuͤr eine Empfindung
oder gegen ſie, es ſei in der Kunſt oder großen
Natur? — Und wo wohnen denn beide, ſo
groß ſie auch ſind, als nur in einzelnen Men¬
ſchen? — Wohl mag er ſie ſich daher zueignen,
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[136/0144] ein Paar verliebte Baͤlge, die, wenn ſie etwas Hohes in der Poeſie oder Muſik oder Natur vor¬ bekommen, ſo fort glauben, das ſei ihnen ſo recht auf den Leib gemacht, an ihren fluͤchtigen Erbaͤrmlichkeiten, die ihnen ſelber nach einem Jahr bei noch groͤſſerer als ſolche erſcheinen, ha¬ be der Kuͤnſtler ſein Maas genommen und kom¬ me mit dem geſtickten Kroͤnungsmantel und Iſis¬ ſchleier auf dem Aermel zuruͤck, fuͤr die Kunden. Ein Affocié von Neupeter ſieht bei ſolcher Ge¬ legenheit Nachts gen Himmel an die Milch¬ ſtraße und ſagt zur Kauffrau: Edle, ſo em¬ pfange jenen Kreis als einen ſchlechten Ring von mir zum Zeichen und Braut-Guͤrtel unſeres himmliſchen Bunds. „Ei, Bruder, ſagte Walt, du biſt ſo hart: was kann denn ein Menſch fuͤr eine Empfindung oder gegen ſie, es ſei in der Kunſt oder großen Natur? — Und wo wohnen denn beide, ſo groß ſie auch ſind, als nur in einzelnen Men¬ ſchen? — Wohl mag er ſie ſich daher zueignen, als waͤren ſie fuͤr ihn allein. Die Sonne geht vor Schlachtfeldern voll Helden — vor dem Gar¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 2. Tübingen, 1804, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre02_1804/144>, abgerufen am 23.11.2024.