Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 2. Tübingen, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

den Gebürgen zu und flog immer und erreichte
die Gebürge nie -- -- O ihr unbefleckten Töne,
wie so heilig ist euere Freude und euer Schmerz!
Denn ihr frohlockt und wehklagt nicht über ir¬
gend eine Begebenheit, sondern über das Leben
und Sein und eurer Thränen ist nur die Ewig¬
keit würdig, deren Tantalus der Mensch ist.
Wie könntet ihr denn, ihr Reinen, im Men¬
schenbusen, den so lange die erdige Welt besezte,
euch eine heilige Stätte bereiten, oder sie reini¬
gen vom irdischen Leben, wäret ihr nicht frü¬
her in uns als der treulose Schall des Lebens
und würde uns euer Himmel nicht angebohren
vor der Erde?

Wie ein geistiges Blendwerk verschwand
jezt das Adagio, das rohe Klatschen wurde der
Leitton zum Presto. Aber für den Notar wurde
dieses nur zu einer wildern Fortsetzung des Ada¬
gio's, das sich selber löset, nicht zu einer engli¬
schen Farce hinter dem englischen Trauerspiel.
Noch sah er Wina nicht; sie konnte es vielleicht
im langen himmelblauen Kleide sein, das neben
dem ihm zugewandten Rücken saß, der nach

den Gebuͤrgen zu und flog immer und erreichte
die Gebuͤrge nie — — O ihr unbefleckten Toͤne,
wie ſo heilig iſt euere Freude und euer Schmerz!
Denn ihr frohlockt und wehklagt nicht uͤber ir¬
gend eine Begebenheit, ſondern uͤber das Leben
und Sein und eurer Thraͤnen iſt nur die Ewig¬
keit wuͤrdig, deren Tantalus der Menſch iſt.
Wie koͤnntet ihr denn, ihr Reinen, im Men¬
ſchenbuſen, den ſo lange die erdige Welt beſezte,
euch eine heilige Staͤtte bereiten, oder ſie reini¬
gen vom irdiſchen Leben, waͤret ihr nicht fruͤ¬
her in uns als der treuloſe Schall des Lebens
und wuͤrde uns euer Himmel nicht angebohren
vor der Erde?

Wie ein geiſtiges Blendwerk verſchwand
jezt das Adagio, das rohe Klatſchen wurde der
Leitton zum Preſto. Aber fuͤr den Notar wurde
dieſes nur zu einer wildern Fortſetzung des Ada¬
gio's, das ſich ſelber loͤſet, nicht zu einer engli¬
ſchen Farce hinter dem engliſchen Trauerſpiel.
Noch ſah er Wina nicht; ſie konnte es vielleicht
im langen himmelblauen Kleide ſein, das neben
dem ihm zugewandten Ruͤcken ſaß, der nach

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0118" n="110"/>
den Gebu&#x0364;rgen zu und flog immer und erreichte<lb/>
die Gebu&#x0364;rge nie &#x2014; &#x2014; O ihr unbefleckten To&#x0364;ne,<lb/>
wie &#x017F;o heilig i&#x017F;t euere Freude und euer Schmerz!<lb/>
Denn ihr frohlockt und wehklagt nicht u&#x0364;ber ir¬<lb/>
gend eine Begebenheit, &#x017F;ondern u&#x0364;ber das Leben<lb/>
und Sein und eurer Thra&#x0364;nen i&#x017F;t nur die Ewig¬<lb/>
keit wu&#x0364;rdig, deren Tantalus der Men&#x017F;ch i&#x017F;t.<lb/>
Wie ko&#x0364;nntet ihr denn, ihr Reinen, im Men¬<lb/>
&#x017F;chenbu&#x017F;en, den &#x017F;o lange die erdige Welt be&#x017F;ezte,<lb/>
euch eine heilige Sta&#x0364;tte bereiten, oder &#x017F;ie reini¬<lb/>
gen vom irdi&#x017F;chen Leben, wa&#x0364;ret ihr nicht fru&#x0364;¬<lb/>
her in uns als der treulo&#x017F;e Schall des Lebens<lb/>
und wu&#x0364;rde uns euer Himmel nicht angebohren<lb/>
vor der Erde?</p><lb/>
        <p>Wie ein gei&#x017F;tiges Blendwerk ver&#x017F;chwand<lb/>
jezt das Adagio, das rohe Klat&#x017F;chen wurde der<lb/>
Leitton zum Pre&#x017F;to. Aber fu&#x0364;r den Notar wurde<lb/>
die&#x017F;es nur zu einer wildern Fort&#x017F;etzung des Ada¬<lb/>
gio's, das &#x017F;ich &#x017F;elber lo&#x0364;&#x017F;et, nicht zu einer engli¬<lb/>
&#x017F;chen Farce hinter dem engli&#x017F;chen Trauer&#x017F;piel.<lb/>
Noch &#x017F;ah er Wina nicht; &#x017F;ie konnte es vielleicht<lb/>
im langen himmelblauen Kleide &#x017F;ein, das neben<lb/>
dem ihm zugewandten Ru&#x0364;cken &#x017F;aß, der nach<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[110/0118] den Gebuͤrgen zu und flog immer und erreichte die Gebuͤrge nie — — O ihr unbefleckten Toͤne, wie ſo heilig iſt euere Freude und euer Schmerz! Denn ihr frohlockt und wehklagt nicht uͤber ir¬ gend eine Begebenheit, ſondern uͤber das Leben und Sein und eurer Thraͤnen iſt nur die Ewig¬ keit wuͤrdig, deren Tantalus der Menſch iſt. Wie koͤnntet ihr denn, ihr Reinen, im Men¬ ſchenbuſen, den ſo lange die erdige Welt beſezte, euch eine heilige Staͤtte bereiten, oder ſie reini¬ gen vom irdiſchen Leben, waͤret ihr nicht fruͤ¬ her in uns als der treuloſe Schall des Lebens und wuͤrde uns euer Himmel nicht angebohren vor der Erde? Wie ein geiſtiges Blendwerk verſchwand jezt das Adagio, das rohe Klatſchen wurde der Leitton zum Preſto. Aber fuͤr den Notar wurde dieſes nur zu einer wildern Fortſetzung des Ada¬ gio's, das ſich ſelber loͤſet, nicht zu einer engli¬ ſchen Farce hinter dem engliſchen Trauerſpiel. Noch ſah er Wina nicht; ſie konnte es vielleicht im langen himmelblauen Kleide ſein, das neben dem ihm zugewandten Ruͤcken ſaß, der nach

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre02_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre02_1804/118
Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 2. Tübingen, 1804, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre02_1804/118>, abgerufen am 23.11.2024.