Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 2. Tübingen, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

unten vor ihm hin, alle Inseln und Klippen
und Abgründe desselben waren Eine Fläche -- es
vergiengen an den Tönen die Alter, -- das Wie¬
genlied und der Jubelhochzeit-Gesang klangen
in einander, Eine Glocke läutete das Leben und
das Sterben ein -- er regte die Arme, nicht die
Füße, zum Fliegen, nicht zum Tanzen -- er
vergoß Thränen, aber nur feurige, wie wenn er
mächtige Thaten hörte -- und gegen seine Na¬
tur war er jezt ganz wild. Ihn ärgerte, daß
man Pst rief, wenn jemand kam, und daß vie¬
le Musiker, gleich ihrem Notenpapier, dick wa¬
ren, und daß sie in Pausen Schnupftücher vor¬
holten, und daß Pasvogel den Takt mit den
Zähnen schlug, und daß dieser zu ihm sagte:
"ein wahrer ganzer Ohrenschmaus": für ihn ein
so widriges Bild, wie im Fürstenthum Krain
der Name der Nachtigall: Schlauz.

"Und doch muß nun erst das Adagio und
mein Bruder kommen" sagte sich Walt.

"Den einer dort herführt -- sagte Pasvo¬
gel zu ihm -- das ist der blinde Flautotraversist
und der Führer ist unser blinder Hof-Pauker,

unten vor ihm hin, alle Inſeln und Klippen
und Abgruͤnde deſſelben waren Eine Flaͤche — es
vergiengen an den Toͤnen die Alter, — das Wie¬
genlied und der Jubelhochzeit-Geſang klangen
in einander, Eine Glocke laͤutete das Leben und
das Sterben ein — er regte die Arme, nicht die
Fuͤße, zum Fliegen, nicht zum Tanzen — er
vergoß Thraͤnen, aber nur feurige, wie wenn er
maͤchtige Thaten hoͤrte — und gegen ſeine Na¬
tur war er jezt ganz wild. Ihn aͤrgerte, daß
man Pſt rief, wenn jemand kam, und daß vie¬
le Muſiker, gleich ihrem Notenpapier, dick wa¬
ren, und daß ſie in Pauſen Schnupftuͤcher vor¬
holten, und daß Pasvogel den Takt mit den
Zaͤhnen ſchlug, und daß dieſer zu ihm ſagte:
„ein wahrer ganzer Ohrenſchmaus“: fuͤr ihn ein
ſo widriges Bild, wie im Fuͤrſtenthum Krain
der Name der Nachtigall: Schlauz.

„Und doch muß nun erſt das Adagio und
mein Bruder kommen“ ſagte ſich Walt.

„Den einer dort herfuͤhrt — ſagte Pasvo¬
gel zu ihm — das iſt der blinde Flautotraverſiſt
und der Fuͤhrer iſt unſer blinder Hof-Pauker,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0115" n="107"/>
unten vor ihm hin, alle In&#x017F;eln und Klippen<lb/>
und Abgru&#x0364;nde de&#x017F;&#x017F;elben waren Eine Fla&#x0364;che &#x2014; es<lb/>
vergiengen an den To&#x0364;nen die Alter, &#x2014; das Wie¬<lb/>
genlied und der Jubelhochzeit-Ge&#x017F;ang klangen<lb/>
in einander, Eine Glocke la&#x0364;utete das Leben und<lb/>
das Sterben ein &#x2014; er regte die Arme, nicht die<lb/>
Fu&#x0364;ße, zum Fliegen, nicht zum Tanzen &#x2014; er<lb/>
vergoß Thra&#x0364;nen, aber nur feurige, wie wenn er<lb/>
ma&#x0364;chtige Thaten ho&#x0364;rte &#x2014; und gegen &#x017F;eine Na¬<lb/>
tur war er jezt ganz wild. Ihn a&#x0364;rgerte, daß<lb/>
man P&#x017F;t rief, wenn jemand kam, und daß vie¬<lb/>
le Mu&#x017F;iker, gleich ihrem Notenpapier, dick wa¬<lb/>
ren, und daß &#x017F;ie in Pau&#x017F;en Schnupftu&#x0364;cher vor¬<lb/>
holten, und daß Pasvogel den Takt mit den<lb/>
Za&#x0364;hnen &#x017F;chlug, und daß die&#x017F;er zu ihm &#x017F;agte:<lb/>
&#x201E;ein wahrer ganzer Ohren&#x017F;chmaus&#x201C;: fu&#x0364;r ihn ein<lb/>
&#x017F;o widriges Bild, wie im Fu&#x0364;r&#x017F;tenthum Krain<lb/>
der Name der Nachtigall: Schlauz.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Und doch muß nun er&#x017F;t das Adagio und<lb/>
mein Bruder kommen&#x201C; &#x017F;agte &#x017F;ich Walt.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Den einer dort herfu&#x0364;hrt &#x2014; &#x017F;agte Pasvo¬<lb/>
gel zu ihm &#x2014; das i&#x017F;t der blinde Flautotraver&#x017F;i&#x017F;t<lb/>
und der Fu&#x0364;hrer i&#x017F;t un&#x017F;er blinder Hof-Pauker,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[107/0115] unten vor ihm hin, alle Inſeln und Klippen und Abgruͤnde deſſelben waren Eine Flaͤche — es vergiengen an den Toͤnen die Alter, — das Wie¬ genlied und der Jubelhochzeit-Geſang klangen in einander, Eine Glocke laͤutete das Leben und das Sterben ein — er regte die Arme, nicht die Fuͤße, zum Fliegen, nicht zum Tanzen — er vergoß Thraͤnen, aber nur feurige, wie wenn er maͤchtige Thaten hoͤrte — und gegen ſeine Na¬ tur war er jezt ganz wild. Ihn aͤrgerte, daß man Pſt rief, wenn jemand kam, und daß vie¬ le Muſiker, gleich ihrem Notenpapier, dick wa¬ ren, und daß ſie in Pauſen Schnupftuͤcher vor¬ holten, und daß Pasvogel den Takt mit den Zaͤhnen ſchlug, und daß dieſer zu ihm ſagte: „ein wahrer ganzer Ohrenſchmaus“: fuͤr ihn ein ſo widriges Bild, wie im Fuͤrſtenthum Krain der Name der Nachtigall: Schlauz. „Und doch muß nun erſt das Adagio und mein Bruder kommen“ ſagte ſich Walt. „Den einer dort herfuͤhrt — ſagte Pasvo¬ gel zu ihm — das iſt der blinde Flautotraverſiſt und der Fuͤhrer iſt unſer blinder Hof-Pauker,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre02_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre02_1804/115
Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 2. Tübingen, 1804, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre02_1804/115>, abgerufen am 27.11.2024.