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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 2. Tübingen, 1804.

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junger Mensch, der seine erste Liebe zur ersten
Ehe machen will, in was er rennen könne.

Eben stellte sich der Buchhändler Pasvogel
grüßend neben den Notar, als Haydn die Streit¬
rosse seiner unbändigen Töne losfahren lies in die
enharmonische Schlacht seiner Kräfte. Ein
Sturm wehte in den andern, dann fuhren war¬
me nasse Sonnenblicke dazwischen, dann schlepp¬
te er wieder hinter sich einen schweren Wolken-
Himmel nach, und riß ihn plözlich hinweg wie
einen Schleier und ein einziger Ton weinte in ei¬
nem Frühling, wie eine schöne Gestalt.

Walt -- den schon ein elender Gesang der
Kinderwärterinnen wiegte und der zwar wenige
Kenntnisse und Augen, aber Kopf und Ohren
und Herzohren für die Tonkunst hatte -- wurde
durch das ihm neue Wechselspiel von Fortissimo
und Pianissimo, gleichsam wie von Menschen¬
lust und Weh, von Gebeten und Flüchen in un¬
serer Brust, in einen Strom gestürzt, und da¬
von gezogen, gehoben, untergetaucht, überhüllt,
übertäubt, umschlungen und doch -- frei mit
allen Gliedern. Als ein Epos strömte das Leben

junger Menſch, der ſeine erſte Liebe zur erſten
Ehe machen will, in was er rennen koͤnne.

Eben ſtellte ſich der Buchhaͤndler Pasvogel
gruͤßend neben den Notar, als Haydn die Streit¬
roſſe ſeiner unbaͤndigen Toͤne losfahren lies in die
enharmoniſche Schlacht ſeiner Kraͤfte. Ein
Sturm wehte in den andern, dann fuhren war¬
me naſſe Sonnenblicke dazwiſchen, dann ſchlepp¬
te er wieder hinter ſich einen ſchweren Wolken-
Himmel nach, und riß ihn ploͤzlich hinweg wie
einen Schleier und ein einziger Ton weinte in ei¬
nem Fruͤhling, wie eine ſchoͤne Geſtalt.

Walt — den ſchon ein elender Geſang der
Kinderwaͤrterinnen wiegte und der zwar wenige
Kenntniſſe und Augen, aber Kopf und Ohren
und Herzohren fuͤr die Tonkunſt hatte — wurde
durch das ihm neue Wechſelſpiel von Fortiſſimo
und Pianiſſimo, gleichſam wie von Menſchen¬
luſt und Weh, von Gebeten und Fluͤchen in un¬
ſerer Bruſt, in einen Strom geſtuͤrzt, und da¬
von gezogen, gehoben, untergetaucht, uͤberhuͤllt,
uͤbertaͤubt, umſchlungen und doch — frei mit
allen Gliedern. Als ein Epos ſtroͤmte das Leben

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[106/0114] junger Menſch, der ſeine erſte Liebe zur erſten Ehe machen will, in was er rennen koͤnne. Eben ſtellte ſich der Buchhaͤndler Pasvogel gruͤßend neben den Notar, als Haydn die Streit¬ roſſe ſeiner unbaͤndigen Toͤne losfahren lies in die enharmoniſche Schlacht ſeiner Kraͤfte. Ein Sturm wehte in den andern, dann fuhren war¬ me naſſe Sonnenblicke dazwiſchen, dann ſchlepp¬ te er wieder hinter ſich einen ſchweren Wolken- Himmel nach, und riß ihn ploͤzlich hinweg wie einen Schleier und ein einziger Ton weinte in ei¬ nem Fruͤhling, wie eine ſchoͤne Geſtalt. Walt — den ſchon ein elender Geſang der Kinderwaͤrterinnen wiegte und der zwar wenige Kenntniſſe und Augen, aber Kopf und Ohren und Herzohren fuͤr die Tonkunſt hatte — wurde durch das ihm neue Wechſelſpiel von Fortiſſimo und Pianiſſimo, gleichſam wie von Menſchen¬ luſt und Weh, von Gebeten und Fluͤchen in un¬ ſerer Bruſt, in einen Strom geſtuͤrzt, und da¬ von gezogen, gehoben, untergetaucht, uͤberhuͤllt, uͤbertaͤubt, umſchlungen und doch — frei mit allen Gliedern. Als ein Epos ſtroͤmte das Leben

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 2. Tübingen, 1804, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre02_1804/114>, abgerufen am 23.11.2024.