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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 1. Tübingen, 1804.

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einem frohen Marientage in einem Wirthshause
in das Fliegenglas der Werber zu tief verflogen,
in die Flasche. Vergeblich wollt' er am andern Mor¬
gen aus dem engen Hals wieder heraus; sie hat¬
ten ihn fest und darin. Er war unschlüssig, sollt'
er hinaus schleichen, und sich in der Küche die
Vorderzähne ausschlagen, um keine für die Pa¬
tronen zum Regimente zu bringen, oder sollt' er
lieber -- denn es konnt' ihn doch die Artillerie
als Stückknecht fassen -- vor den Fenstern des
Werb- und Wirthshauses einen Dachsschliefer
niedermachen, um unehrlich zu werden und da¬
durch nach damaliger Sitte Kantonfrei. Er zog
die Unehrlichkeit und das Gebis vor. Allein der
erlegte Dachs machte ihn zwar aus den Werber-
Händen los, aber er biß ihn wie ein Zerberus
aus seiner Gewerkschaft aus.

"Nu nu, sagte Lukas in seinen LandBildern,
"lieber einen Schliz in dem Strumpf aufgerissen
"als einen in der Wade zugenäht." -- So sehr
floh er, wie ein Gelehrter, den Wehrstand.

Damals starb sein Vater, auch Schultheis;
er kam nach Hause und war der Erbe des Hau¬

einem frohen Marientage in einem Wirthshauſe
in das Fliegenglas der Werber zu tief verflogen,
in die Flaſche. Vergeblich wollt' er am andern Mor¬
gen aus dem engen Hals wieder heraus; ſie hat¬
ten ihn feſt und darin. Er war unſchluͤſſig, ſollt'
er hinaus ſchleichen, und ſich in der Kuͤche die
Vorderzaͤhne ausſchlagen, um keine fuͤr die Pa¬
tronen zum Regimente zu bringen, oder ſollt' er
lieber — denn es konnt' ihn doch die Artillerie
als Stuͤckknecht faſſen — vor den Fenſtern des
Werb- und Wirthshauſes einen Dachsſchliefer
niedermachen, um unehrlich zu werden und da¬
durch nach damaliger Sitte Kantonfrei. Er zog
die Unehrlichkeit und das Gebis vor. Allein der
erlegte Dachs machte ihn zwar aus den Werber-
Haͤnden los, aber er biß ihn wie ein Zerberus
aus ſeiner Gewerkſchaft aus.

„Nu nu, ſagte Lukas in ſeinen LandBildern,
„lieber einen Schliz in dem Strumpf aufgeriſſen
„als einen in der Wade zugenaͤht.“ — So ſehr
floh er, wie ein Gelehrter, den Wehrſtand.

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[53/0063] einem frohen Marientage in einem Wirthshauſe in das Fliegenglas der Werber zu tief verflogen, in die Flaſche. Vergeblich wollt' er am andern Mor¬ gen aus dem engen Hals wieder heraus; ſie hat¬ ten ihn feſt und darin. Er war unſchluͤſſig, ſollt' er hinaus ſchleichen, und ſich in der Kuͤche die Vorderzaͤhne ausſchlagen, um keine fuͤr die Pa¬ tronen zum Regimente zu bringen, oder ſollt' er lieber — denn es konnt' ihn doch die Artillerie als Stuͤckknecht faſſen — vor den Fenſtern des Werb- und Wirthshauſes einen Dachsſchliefer niedermachen, um unehrlich zu werden und da¬ durch nach damaliger Sitte Kantonfrei. Er zog die Unehrlichkeit und das Gebis vor. Allein der erlegte Dachs machte ihn zwar aus den Werber- Haͤnden los, aber er biß ihn wie ein Zerberus aus ſeiner Gewerkſchaft aus. „Nu nu, ſagte Lukas in ſeinen LandBildern, „lieber einen Schliz in dem Strumpf aufgeriſſen „als einen in der Wade zugenaͤht.“ — So ſehr floh er, wie ein Gelehrter, den Wehrſtand. Damals ſtarb ſein Vater, auch Schultheis; er kam nach Hauſe und war der Erbe des Hau¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 1. Tübingen, 1804, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre01_1804/63>, abgerufen am 24.11.2024.