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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 1. Tübingen, 1804.

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Geliebte unsichtbar, den er gestern von derselben
Sonnenzeit erst wieder bekommen. Zulezt fieng
er wie ein Kind zu weinen an, aus stürmischem
Heimwehe nach ihm, zumal da er nicht einmal
am Morgen hatte sagen können: guten Morgen
und lebe wohl Vult! --

Da gieng die Thüre auf und der festlich ge¬
kleidete Flötenist herein. O mein Bruder! rief
Walt schmerzlich freudig. "Donner! leise, fluch¬
te Vult leise, es geht hinter mir -- nenne mich
Sie!" -- Flora kam nach. "Morgen Vormit¬
tags demnach, H. Notarius, fuhr Vult fort,
wünsche ich, daß sie den Miethkontrakt zu Pa¬
pier brächten. Tu parles francois, Mon¬
sieur
?" -- Miserablement, versezte Walt,
ou non. "Darum, Monsieur, komme ich so
spät, erwiederte Vult, weil ich erstlich meine
eigne Wohnung suchte und bezog und zweitens
in einer und der andern fremden einsprach; denn
wer in einer Stadt viele Bekanntschaften machen
will, der thue es in den ersten Tagen, wo er
einpaßirt; da sucht man noch die seinige, um
ihn nur überhaupt zu sehen; später, wenn man

Geliebte unſichtbar, den er geſtern von derſelben
Sonnenzeit erſt wieder bekommen. Zulezt fieng
er wie ein Kind zu weinen an, aus ſtuͤrmiſchem
Heimwehe nach ihm, zumal da er nicht einmal
am Morgen hatte ſagen koͤnnen: guten Morgen
und lebe wohl Vult! —

Da gieng die Thuͤre auf und der feſtlich ge¬
kleidete Floͤteniſt herein. O mein Bruder! rief
Walt ſchmerzlich freudig. „Donner! leiſe, fluch¬
te Vult leiſe, es geht hinter mir — nenne mich
Sie!” — Flora kam nach. „Morgen Vormit¬
tags demnach, H. Notarius, fuhr Vult fort,
wuͤnſche ich, daß ſie den Miethkontrakt zu Pa¬
pier braͤchten. Tu parles françois, Mon¬
ſieur
?” — Miſérablement, verſezte Walt,
ou non. „Darum, Monſieur, komme ich ſo
ſpaͤt, erwiederte Vult, weil ich erſtlich meine
eigne Wohnung ſuchte und bezog und zweitens
in einer und der andern fremden einſprach; denn
wer in einer Stadt viele Bekanntſchaften machen
will, der thue es in den erſten Tagen, wo er
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[199/0209] Geliebte unſichtbar, den er geſtern von derſelben Sonnenzeit erſt wieder bekommen. Zulezt fieng er wie ein Kind zu weinen an, aus ſtuͤrmiſchem Heimwehe nach ihm, zumal da er nicht einmal am Morgen hatte ſagen koͤnnen: guten Morgen und lebe wohl Vult! — Da gieng die Thuͤre auf und der feſtlich ge¬ kleidete Floͤteniſt herein. O mein Bruder! rief Walt ſchmerzlich freudig. „Donner! leiſe, fluch¬ te Vult leiſe, es geht hinter mir — nenne mich Sie!” — Flora kam nach. „Morgen Vormit¬ tags demnach, H. Notarius, fuhr Vult fort, wuͤnſche ich, daß ſie den Miethkontrakt zu Pa¬ pier braͤchten. Tu parles françois, Mon¬ ſieur?” — Miſérablement, verſezte Walt, ou non. „Darum, Monſieur, komme ich ſo ſpaͤt, erwiederte Vult, weil ich erſtlich meine eigne Wohnung ſuchte und bezog und zweitens in einer und der andern fremden einſprach; denn wer in einer Stadt viele Bekanntſchaften machen will, der thue es in den erſten Tagen, wo er einpaßirt; da ſucht man noch die ſeinige, um ihn nur uͤberhaupt zu ſehen; ſpaͤter, wenn man

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 1. Tübingen, 1804, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre01_1804/209>, abgerufen am 25.11.2024.