Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 1. Tübingen, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

sei er nicht älter als Walt, wiewohl ein Pferd
stets etwas jünger sein sollte als der Reiter, so
wie die Frau jünger als der Mann -- ein schö¬
nes römisches Sta Viator, Steh' Weg-Machen¬
der, bleibe der Gaul für den, so darauf size". . . .

"O Lieber Bruder -- sagte Walt sanft,
aber mit der Röthe der Empfindlichkeit und
Vults Laune noch wenig fassend und belachend
-- zieh mich damit nicht mehr auf, was kann
ich dafür?" -- "Nu, nu, warmer Aschgrau¬
kopf -- sagte Vult und fuhr mit der Hand
über den Tisch und unter alle seine weiche Locken,
streichelnd Haar und Stirn -- lies mir denn
deine drei Polymeter vor, die du hinter der Schä¬
ferei gelammet."

Er las folgende

Das ofne Auge des Todten

Blick' mich nicht an, kaltes starres, blin¬
des Auge, du bist ein Todter, ja der Tod. O
drücket das Auge zu, ihr Freunde, dann es ist
nur Schlummer.

"Warst du so trübe gestimmt an einem so
schönen Tage." fragte Vult. "Seelig war ich

ſei er nicht aͤlter als Walt, wiewohl ein Pferd
ſtets etwas juͤnger ſein ſollte als der Reiter, ſo
wie die Frau juͤnger als der Mann — ein ſchoͤ¬
nes roͤmiſches Sta Viator, Steh' Weg-Machen¬
der, bleibe der Gaul fuͤr den, ſo darauf ſize“. . . .

„O Lieber Bruder — ſagte Walt ſanft,
aber mit der Roͤthe der Empfindlichkeit und
Vults Laune noch wenig faſſend und belachend
— zieh mich damit nicht mehr auf, was kann
ich dafuͤr?“ — „Nu, nu, warmer Aſchgrau¬
kopf — ſagte Vult und fuhr mit der Hand
uͤber den Tiſch und unter alle ſeine weiche Locken,
ſtreichelnd Haar und Stirn — lies mir denn
deine drei Polymeter vor, die du hinter der Schaͤ¬
ferei gelammet.“

Er las folgende

Das ofne Auge des Todten

Blick' mich nicht an, kaltes ſtarres, blin¬
des Auge, du biſt ein Todter, ja der Tod. O
druͤcket das Auge zu, ihr Freunde, dann es iſt
nur Schlummer.

„Warſt du ſo truͤbe geſtimmt an einem ſo
ſchoͤnen Tage.“ fragte Vult. „Seelig war ich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0189" n="179"/>
&#x017F;ei er nicht a&#x0364;lter als Walt, wiewohl ein Pferd<lb/>
&#x017F;tets etwas ju&#x0364;nger &#x017F;ein &#x017F;ollte als der Reiter, &#x017F;o<lb/>
wie die Frau ju&#x0364;nger als der Mann &#x2014; ein &#x017F;cho&#x0364;¬<lb/>
nes ro&#x0364;mi&#x017F;ches <hi rendition="#aq">Sta Viator</hi>, Steh' Weg-Machen¬<lb/>
der, bleibe der Gaul fu&#x0364;r den, &#x017F;o darauf &#x017F;ize&#x201C;. . . .</p><lb/>
        <p>&#x201E;O Lieber Bruder &#x2014; &#x017F;agte Walt &#x017F;anft,<lb/>
aber mit der Ro&#x0364;the der Empfindlichkeit und<lb/>
Vults Laune noch wenig fa&#x017F;&#x017F;end und belachend<lb/>
&#x2014; zieh mich damit nicht mehr auf, was kann<lb/>
ich dafu&#x0364;r?&#x201C; &#x2014; &#x201E;Nu, nu, warmer A&#x017F;chgrau¬<lb/>
kopf &#x2014; &#x017F;agte Vult und fuhr mit der Hand<lb/>
u&#x0364;ber den Ti&#x017F;ch und unter alle &#x017F;eine weiche Locken,<lb/>
&#x017F;treichelnd Haar und Stirn &#x2014; lies mir denn<lb/>
deine drei Polymeter vor, die du hinter der Scha&#x0364;¬<lb/>
ferei gelammet.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Er las folgende</p><lb/>
        <p> <hi rendition="#g">Das ofne Auge des Todten</hi> </p><lb/>
        <p>Blick' mich nicht an, kaltes &#x017F;tarres, blin¬<lb/>
des Auge, du bi&#x017F;t ein Todter, ja der Tod. O<lb/>
dru&#x0364;cket das Auge zu, ihr Freunde, dann es i&#x017F;t<lb/>
nur Schlummer.</p><lb/>
        <p>&#x201E;War&#x017F;t du &#x017F;o tru&#x0364;be ge&#x017F;timmt an einem &#x017F;o<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;nen Tage.&#x201C; fragte Vult. &#x201E;Seelig war ich<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[179/0189] ſei er nicht aͤlter als Walt, wiewohl ein Pferd ſtets etwas juͤnger ſein ſollte als der Reiter, ſo wie die Frau juͤnger als der Mann — ein ſchoͤ¬ nes roͤmiſches Sta Viator, Steh' Weg-Machen¬ der, bleibe der Gaul fuͤr den, ſo darauf ſize“. . . . „O Lieber Bruder — ſagte Walt ſanft, aber mit der Roͤthe der Empfindlichkeit und Vults Laune noch wenig faſſend und belachend — zieh mich damit nicht mehr auf, was kann ich dafuͤr?“ — „Nu, nu, warmer Aſchgrau¬ kopf — ſagte Vult und fuhr mit der Hand uͤber den Tiſch und unter alle ſeine weiche Locken, ſtreichelnd Haar und Stirn — lies mir denn deine drei Polymeter vor, die du hinter der Schaͤ¬ ferei gelammet.“ Er las folgende Das ofne Auge des Todten Blick' mich nicht an, kaltes ſtarres, blin¬ des Auge, du biſt ein Todter, ja der Tod. O druͤcket das Auge zu, ihr Freunde, dann es iſt nur Schlummer. „Warſt du ſo truͤbe geſtimmt an einem ſo ſchoͤnen Tage.“ fragte Vult. „Seelig war ich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre01_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre01_1804/189
Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 1. Tübingen, 1804, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre01_1804/189>, abgerufen am 27.11.2024.