Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 1. Tübingen, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

ihn umarmen wollte -- sah ihm brennend ins
fromme Gesicht und sagte: Gottwalt, kennst du
mich nicht mehr? "Ich bin ja der Bruder." --
"Du? O schöner Himmel! Und du bist mein
Bruder Vult?" schrie Walt und stürzte an ihn.
Sie weinten lange. Es donnerte sanft im Mor¬
gen. "Höre unsern guten Allgütigen!" sagte
Walt. Der Bruder antwortete nichts. Ohne
weitere Worte giengen beide langsam Hand in
Hand aus dem Gottesacker.


Nro. 14. Model eines Hebammenstuhls.

Projekt der Gether-Mühle. -- Der Zauber-Abend.

Für zwei luftige Komödianten, die den
Orest und Pylades sich einander abhören, muste
jeder beide halten, der ihnen aus dem Wirths¬
haus nachsah, wie sie unten in einer abgemäh¬
ten Wiese sich in Lauf-Zirkeln umtrieben mit
langen Zweigen in der Hand, um ihre Vergan¬
genheiten gegen einander auszutauschen. Aber
der Tausch war zu schwer. Der Flötenspieler
versicherte, sein Reiseroman -- so künstlich ge¬

ihn umarmen wollte — ſah ihm brennend ins
fromme Geſicht und ſagte: Gottwalt, kennſt du
mich nicht mehr? „Ich bin ja der Bruder.“ —
„Du? O ſchoͤner Himmel! Und du biſt mein
Bruder Vult?“ ſchrie Walt und ſtuͤrzte an ihn.
Sie weinten lange. Es donnerte ſanft im Mor¬
gen. „Hoͤre unſern guten Allguͤtigen!“ ſagte
Walt. Der Bruder antwortete nichts. Ohne
weitere Worte giengen beide langſam Hand in
Hand aus dem Gottesacker.


Nro. 14. Model eines Hebammenſtuhls.

Projekt der Gether-Muͤhle. — Der Zauber-Abend.

Fuͤr zwei luftige Komoͤdianten, die den
Oreſt und Pylades ſich einander abhoͤren, muſte
jeder beide halten, der ihnen aus dem Wirths¬
haus nachſah, wie ſie unten in einer abgemaͤh¬
ten Wieſe ſich in Lauf-Zirkeln umtrieben mit
langen Zweigen in der Hand, um ihre Vergan¬
genheiten gegen einander auszutauſchen. Aber
der Tauſch war zu ſchwer. Der Floͤtenſpieler
verſicherte, ſein Reiſeroman — ſo kuͤnſtlich ge¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0166" n="156"/>
ihn umarmen wollte &#x2014; &#x017F;ah ihm brennend ins<lb/>
fromme Ge&#x017F;icht und &#x017F;agte: Gottwalt, kenn&#x017F;t du<lb/>
mich nicht mehr? &#x201E;Ich bin ja der Bruder.&#x201C; &#x2014;<lb/>
&#x201E;Du? O &#x017F;cho&#x0364;ner Himmel! Und du bi&#x017F;t mein<lb/>
Bruder Vult?&#x201C; &#x017F;chrie Walt und &#x017F;tu&#x0364;rzte an ihn.<lb/>
Sie weinten lange. Es donnerte &#x017F;anft im Mor¬<lb/>
gen. &#x201E;Ho&#x0364;re un&#x017F;ern guten Allgu&#x0364;tigen!&#x201C; &#x017F;agte<lb/>
Walt. Der Bruder antwortete nichts. Ohne<lb/>
weitere Worte giengen beide lang&#x017F;am Hand in<lb/>
Hand aus dem Gottesacker.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#aq #b">N</hi> <hi rendition="#aq #sup">ro</hi> <hi rendition="#b">. 14. Model eines Hebammen&#x017F;tuhls.</hi><lb/>
        </head>
        <argument>
          <p rendition="#c">Projekt der Gether-Mu&#x0364;hle. &#x2014; Der Zauber-Abend.</p>
        </argument><lb/>
        <p>Fu&#x0364;r zwei luftige Komo&#x0364;dianten, die den<lb/>
Ore&#x017F;t und Pylades &#x017F;ich einander abho&#x0364;ren, mu&#x017F;te<lb/>
jeder beide halten, der ihnen aus dem Wirths¬<lb/>
haus nach&#x017F;ah, wie &#x017F;ie unten in einer abgema&#x0364;<lb/>
ten Wie&#x017F;e &#x017F;ich in Lauf-Zirkeln umtrieben mit<lb/>
langen Zweigen in der Hand, um ihre Vergan¬<lb/>
genheiten gegen einander auszutau&#x017F;chen. Aber<lb/>
der Tau&#x017F;ch war zu &#x017F;chwer. Der Flo&#x0364;ten&#x017F;pieler<lb/>
ver&#x017F;icherte, &#x017F;ein Rei&#x017F;eroman &#x2014; &#x017F;o ku&#x0364;n&#x017F;tlich ge¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[156/0166] ihn umarmen wollte — ſah ihm brennend ins fromme Geſicht und ſagte: Gottwalt, kennſt du mich nicht mehr? „Ich bin ja der Bruder.“ — „Du? O ſchoͤner Himmel! Und du biſt mein Bruder Vult?“ ſchrie Walt und ſtuͤrzte an ihn. Sie weinten lange. Es donnerte ſanft im Mor¬ gen. „Hoͤre unſern guten Allguͤtigen!“ ſagte Walt. Der Bruder antwortete nichts. Ohne weitere Worte giengen beide langſam Hand in Hand aus dem Gottesacker. Nro. 14. Model eines Hebammenſtuhls. Projekt der Gether-Muͤhle. — Der Zauber-Abend. Fuͤr zwei luftige Komoͤdianten, die den Oreſt und Pylades ſich einander abhoͤren, muſte jeder beide halten, der ihnen aus dem Wirths¬ haus nachſah, wie ſie unten in einer abgemaͤh¬ ten Wieſe ſich in Lauf-Zirkeln umtrieben mit langen Zweigen in der Hand, um ihre Vergan¬ genheiten gegen einander auszutauſchen. Aber der Tauſch war zu ſchwer. Der Floͤtenſpieler verſicherte, ſein Reiſeroman — ſo kuͤnſtlich ge¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre01_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre01_1804/166
Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 1. Tübingen, 1804, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre01_1804/166>, abgerufen am 03.12.2024.