oder an ihr einen geliebten Bruder verloren, -- und welchen Schmerz er und die Eltern bisher getragen, da es ein kleinerer sei, einen Verwand¬ ten im Grabe zu haben, als in jeder frohen Stunde sich zu fragen, mit welcher dunklen, kalten, mag jezt der Flüchtling auf seinem Bret im Weltmeer ringen. "Da aber Ihr Hr. Bru¬ der ein Mann von musikalischem Gewicht sein soll, so kann er ja eben so gut im Ueberflusse schwim¬ men als im Weltmeer" sagte er selber.
"Ich meine, versezte Walt, sonst dachten wir so traurig, jezt nicht mehr; und da war es kein Wunder, wenn man jede Flöte für ein Stum¬ menglökgen hielt, das der in Nacht hinaus ver¬ lorne Bruder hören lies, weil er nicht zu uns reden konnte." Unwillkürlich fuhr Vult nach dessen Hand, gab sie eben so schnell zurük, sag¬ te: "genug! Mich rühren 100 Sachen zu stark -- Himmel, die ganze Landschaft hängt ja voll Duft und Gold!"
Aber nun vermochte sein entbranntes Herz keine halbe Stunde länger den Kuß des brüder¬ lichen aufzuschieben; so sehr hatte die vertrauen¬
oder an ihr einen geliebten Bruder verloren, — und welchen Schmerz er und die Eltern bisher getragen, da es ein kleinerer ſei, einen Verwand¬ ten im Grabe zu haben, als in jeder frohen Stunde ſich zu fragen, mit welcher dunklen, kalten, mag jezt der Fluͤchtling auf ſeinem Bret im Weltmeer ringen. „Da aber Ihr Hr. Bru¬ der ein Mann von muſikaliſchem Gewicht ſein ſoll, ſo kann er ja eben ſo gut im Ueberfluſſe ſchwim¬ men als im Weltmeer“ ſagte er ſelber.
„Ich meine, verſezte Walt, ſonſt dachten wir ſo traurig, jezt nicht mehr; und da war es kein Wunder, wenn man jede Floͤte fuͤr ein Stum¬ mengloͤkgen hielt, das der in Nacht hinaus ver¬ lorne Bruder hoͤren lies, weil er nicht zu uns reden konnte.“ Unwillkuͤrlich fuhr Vult nach deſſen Hand, gab ſie eben ſo ſchnell zuruͤk, ſag¬ te: „genug! Mich ruͤhren 100 Sachen zu ſtark — Himmel, die ganze Landſchaft haͤngt ja voll Duft und Gold!“
Aber nun vermochte ſein entbranntes Herz keine halbe Stunde laͤnger den Kuß des bruͤder¬ lichen aufzuſchieben; ſo ſehr hatte die vertrauen¬
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oder an ihr einen geliebten Bruder verloren, —
und welchen Schmerz er und die Eltern bisher
getragen, da es ein kleinerer ſei, einen Verwand¬
ten im Grabe zu haben, als in jeder frohen
Stunde ſich zu fragen, mit welcher dunklen,
kalten, mag jezt der Fluͤchtling auf ſeinem Bret
im Weltmeer ringen. „Da aber Ihr Hr. Bru¬
der ein Mann von muſikaliſchem Gewicht ſein ſoll,
ſo kann er ja eben ſo gut im Ueberfluſſe ſchwim¬
men als im Weltmeer“ ſagte er ſelber.
„Ich meine, verſezte Walt, ſonſt dachten
wir ſo traurig, jezt nicht mehr; und da war es
kein Wunder, wenn man jede Floͤte fuͤr ein Stum¬
mengloͤkgen hielt, das der in Nacht hinaus ver¬
lorne Bruder hoͤren lies, weil er nicht zu uns
reden konnte.“ Unwillkuͤrlich fuhr Vult nach
deſſen Hand, gab ſie eben ſo ſchnell zuruͤk, ſag¬
te: „genug! Mich ruͤhren 100 Sachen zu ſtark
— Himmel, die ganze Landſchaft haͤngt ja voll
Duft und Gold!“
Aber nun vermochte ſein entbranntes Herz
keine halbe Stunde laͤnger den Kuß des bruͤder¬
lichen aufzuſchieben; ſo ſehr hatte die vertrauen¬
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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 1. Tübingen, 1804, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre01_1804/161>, abgerufen am 19.07.2024.
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