Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Alexander von Humboldt[:] Vorlesungen über physikalische Geographie. Novmbr. 1827 bis April,[!] 1828. Nachgeschrieben von G. Partheÿ. [Berlin], [1827/28]. [= Nachschrift der ‚Kosmos-Vorträge‛ Alexander von Humboldts in der Berliner Universität, 3.11.1827–26.4.1828.]

Bild:
<< vorherige Seite
58. Vorlesung, 22. April 1828

Nachdem wir jezt die Pflanzenwelt absolvirt haben, treten wir in die
Sphäre des thierischen Organismus ein, der mit leicht erkenbaren
Apparaten der Empfindung ausgerüstet, dem Menschen näher steht; weil
er sogar unser Mitleid erregen kann: denn ein Hauptmoment des thie-
rischen Lebens ist der Schmerz. Wir messen den Schmerz nach dem
Ausdrukke desselben, und haben dann an unserm eignen Schmerze einen
Maasstab. Cuvier hat zwar an einigen Nautilus-arten Augen, Ohren
und andre Organe der Empfindung nachgewiesen: aber doch stehn sie uns
fast so fern als die Pflanzen. Zwar erinnern einige reizbare Mimosen
durch das Zusammenfalten der Blätter an die Reizbarkeit der Thiere:
allein wir können nicht sagen, dass die Mimosen das zeigen, was wir
Schmerz nennen: denn der Schmerz ist das uralte Band, das den
Menschen an die Thierwelt knüpft:, so wie das Mitleiden ihn ehrt.

Die Thiere werden durch ihre Nahrung, welche grossentheils aus
dem Pflanzenreiche herkomt, modifizirt, und Linnee sagt sehr rich-
tig, dass die Existenz der Thierwelt die der Pflanzenwelt voraus-
seze: dies beweiset auch der Anblik der Gebirgsschichten: in denen
das erste Aufkeimen der PflanzenNatur mit den Pflanzen anfängt;
noch vor den Mollusken und dann gleichzeitig mit ihnen sehn
wir in dem thonartigen Übergangsgebirge Bambusaceen und Cac-

58. Vorlesung, 22. April 1828

Nachdem wir jezt die Pflanzenwelt absolvirt haben, treten wir in die
Sphäre des thierischen Organismus ein, der mit leicht erkenbaren
Apparaten der Empfindung ausgerüstet, dem Menschen näher steht; weil
er sogar unser Mitleid erregen kann: denn ein Hauptmoment des thie-
rischen Lebens ist der Schmerz. Wir messen den Schmerz nach dem
Ausdrukke desselben, und haben dann an unserm eignen Schmerze einen
Maasstab. Cuvier hat zwar an einigen Nautilus-arten Augen, Ohren
und andre Organe der Empfindung nachgewiesen: aber doch stehn sie uns
fast so fern als die Pflanzen. Zwar erinnern einige reizbare Mimosen
durch das Zusammenfalten der Blätter an die Reizbarkeit der Thiere:
allein wir können nicht sagen, dass die Mimosen das zeigen, was wir
Schmerz nennen: denn der Schmerz ist das uralte Band, das den
Menschen an die Thierwelt knüpft:, so wie das Mitleiden ihn ehrt.

Die Thiere werden durch ihre Nahrung, welche grossentheils aus
dem Pflanzenreiche herkomt, modifizirt, und Linnée sagt sehr rich-
tig, dass die Existenz der Thierwelt die der Pflanzenwelt voraus-
seze: dies beweiset auch der Anblik der Gebirgsschichten: in denen
das erste Aufkeimen der PflanzenNatur mit den Pflanzen anfängt;
noch vor den Mollusken und dann gleichzeitig mit ihnen sehn
wir in dem thonartigen Übergangsgebirge Bambusaceen und Cac-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0734" n="365v"/>
        <div type="session" n="58">
          <head type="leftMargin">
            <choice>
              <orig>22 April <space dim="horizontal"/><hi rendition="#b">58.</hi></orig>
              <reg resp="#CT">58. Vorlesung, <ref target="http://www.deutschestextarchiv.de/kosmos/gliederung"><date when="1828-04-22">22. April 1828</date></ref></reg>
            </choice>
          </head><lb/>
          <p>Nachdem wir jezt die Pflanzenwelt absolvirt haben, treten wir in die<lb/>
Sphäre des thierischen Organismus ein, der mit leicht erkenbaren<lb/>
Apparaten der Empfindung ausgerüstet, dem Menschen näher steht; weil<lb/>
er sogar unser Mitleid erregen kann: denn ein Hauptmoment des thie-<lb/>
rischen Lebens ist der Schmerz. Wir messen den Schmerz nach dem<lb/>
Ausdrukke desselben, und haben dann an unserm eignen Schmerze einen<lb/>
Maasstab. <persName resp="#SB" ref="http://www.deutschestextarchiv.de/kosmos/person#gnd-118677578 http://d-nb.info/gnd/118677578">Cuvier</persName> hat zwar an einigen Nautilus-arten Augen, Ohren<lb/>
und andre Organe der Empfindung nachgewiesen: aber doch stehn sie uns<lb/>
fast so fern als die Pflanzen. Zwar erinnern einige reizbare Mimosen<lb/>
durch das Zusammenfalten der Blätter an die Reizbarkeit der Thiere:<lb/>
allein wir können nicht sagen, dass die Mimosen <add place="superlinear">das </add>zeigen, was wir<lb/>
Schmerz nennen: denn der Schmerz ist das uralte Band, das den<lb/>
Menschen an die Thierwelt knüpft<subst><del rendition="#ow">:</del><add place="across">,</add></subst> so wie das Mitleiden ihn ehrt.</p><lb/>
          <p>Die Thiere werden durch ihre Nahrung, welche grossentheils aus<lb/>
dem Pflanzenreiche herkomt, modifizirt, und <persName resp="#SB" ref="http://www.deutschestextarchiv.de/kosmos/person#gnd-118573349 http://d-nb.info/gnd/118573349">Linnée</persName> sagt sehr rich-<lb/>
tig, dass die Existenz der Thierwelt die der Pflanzenwelt voraus-<lb/>
seze: dies beweiset auch der Anblik der Gebirgsschichten: in denen<lb/>
das erste Aufkeimen der <subst><del rendition="#s">Pflanzen</del><add place="superlinear">Natur</add></subst> mit den Pflanzen anfängt;<lb/>
noch vor den Mollusken und dann gleichzeitig mit ihnen sehn<lb/>
wir in dem thonartigen <choice><sic>Übergängsgebirge</sic><corr resp="#CT">Übergangsgebirge</corr></choice> Bambusaceen und Cac-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[365v/0734] 22 April 58. Nachdem wir jezt die Pflanzenwelt absolvirt haben, treten wir in die Sphäre des thierischen Organismus ein, der mit leicht erkenbaren Apparaten der Empfindung ausgerüstet, dem Menschen näher steht; weil er sogar unser Mitleid erregen kann: denn ein Hauptmoment des thie- rischen Lebens ist der Schmerz. Wir messen den Schmerz nach dem Ausdrukke desselben, und haben dann an unserm eignen Schmerze einen Maasstab. Cuvier hat zwar an einigen Nautilus-arten Augen, Ohren und andre Organe der Empfindung nachgewiesen: aber doch stehn sie uns fast so fern als die Pflanzen. Zwar erinnern einige reizbare Mimosen durch das Zusammenfalten der Blätter an die Reizbarkeit der Thiere: allein wir können nicht sagen, dass die Mimosen das zeigen, was wir Schmerz nennen: denn der Schmerz ist das uralte Band, das den Menschen an die Thierwelt knüpft, so wie das Mitleiden ihn ehrt. Die Thiere werden durch ihre Nahrung, welche grossentheils aus dem Pflanzenreiche herkomt, modifizirt, und Linnée sagt sehr rich- tig, dass die Existenz der Thierwelt die der Pflanzenwelt voraus- seze: dies beweiset auch der Anblik der Gebirgsschichten: in denen das erste Aufkeimen der Natur mit den Pflanzen anfängt; noch vor den Mollusken und dann gleichzeitig mit ihnen sehn wir in dem thonartigen Übergangsgebirge Bambusaceen und Cac-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christian Thomas: Herausgeber
Sandra Balck, Benjamin Fiechter, Christian Thomas: Bearbeiter
Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellen der Digitalisierungsvorlage; Bilddigitalisierung

Weitere Informationen:

Abweichungen von den DTA-Richtlinien:

  • I/J: Lautwert transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_msgermqu1711_1828
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_msgermqu1711_1828/734
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Alexander von Humboldt[:] Vorlesungen über physikalische Geographie. Novmbr. 1827 bis April,[!] 1828. Nachgeschrieben von G. Partheÿ. [Berlin], [1827/28]. [= Nachschrift der ‚Kosmos-Vorträge‛ Alexander von Humboldts in der Berliner Universität, 3.11.1827–26.4.1828.], S. 365v. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_msgermqu1711_1828/734>, abgerufen am 22.12.2024.