Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].Frau von der Recke in Berlin 1814-1816. Tante Jettchen hatte uns aus Nachod die Kunde mitgebracht, daß Frau von der Recke, nachdem sie in Karlsbad den Sprudel getrunken, im Herbste 1814 wie gewöhnlich nach Berlin kommen werde. Ihre frühere Wohnung an der Neuen Promenade war nicht zu haben, und es traf sich sehr glücklich, daß die Wohnung im zweiten Stocke unseres Hauses um diese Zeit frei wurde. Wir konnten also die verehrte Frau für den Winter bei uns aufnehmen, und sie war ihrerseits nicht weniger damit zufrieden, in dem wohlbekannten Hause ihres "unvergeßlichen Freundes Nicolai" sich niederlassen zu können. Dieser Zeit werde ich stets mit Freude und Dankbarkeit gedenken. Die Persönlichkeit jener einzigen Frau hatte, wenn man sich ihr ganz hingab, etwas erhebendes; man fühlte sich in ihrer Gegenwart vornehm, es würde niemandem eingefallen sein, vor ihr etwas ungehöriges oder gemeines zu sagen. Alle übrigen Betrachtungen traten vor dieser einen Thatsache in den Hintergrund. Uns jüngeren Leuten, die wir für Göthe schwärmten, war freilich ihre Vorliebe für Tiedges Urania unerklärlich, doch ehrten wir ihren Geschmack, selbst nachdem wir mehrmals, gleich- Frau von der Recke in Berlin 1814–1816. Tante Jettchen hatte uns aus Nachod die Kunde mitgebracht, daß Frau von der Recke, nachdem sie in Karlsbad den Sprudel getrunken, im Herbste 1814 wie gewöhnlich nach Berlin kommen werde. Ihre frühere Wohnung an der Neuen Promenade war nicht zu haben, und es traf sich sehr glücklich, daß die Wohnung im zweiten Stocke unseres Hauses um diese Zeit frei wurde. Wir konnten also die verehrte Frau für den Winter bei uns aufnehmen, und sie war ihrerseits nicht weniger damit zufrieden, in dem wohlbekannten Hause ihres „unvergeßlichen Freundes Nicolai“ sich niederlassen zu können. Dieser Zeit werde ich stets mit Freude und Dankbarkeit gedenken. Die Persönlichkeit jener einzigen Frau hatte, wenn man sich ihr ganz hingab, etwas erhebendes; man fühlte sich in ihrer Gegenwart vornehm, es würde niemandem eingefallen sein, vor ihr etwas ungehöriges oder gemeines zu sagen. Alle übrigen Betrachtungen traten vor dieser einen Thatsache in den Hintergrund. Uns jüngeren Leuten, die wir für Göthe schwärmten, war freilich ihre Vorliebe für Tiedges Urania unerklärlich, doch ehrten wir ihren Geschmack, selbst nachdem wir mehrmals, gleich- <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0009" n="[1]"/> <div n="1"> <head rendition="#c">Frau von der Recke in Berlin 1814–1816.</head><lb/> <p>Tante Jettchen hatte uns aus Nachod die Kunde mitgebracht, daß Frau von der Recke, nachdem sie in Karlsbad den Sprudel getrunken, im Herbste 1814 wie gewöhnlich nach Berlin kommen werde. Ihre frühere Wohnung an der Neuen Promenade war nicht zu haben, und es traf sich sehr glücklich, daß die Wohnung im zweiten Stocke unseres Hauses um diese Zeit frei wurde. Wir konnten also die verehrte Frau für den Winter bei uns aufnehmen, und sie war ihrerseits nicht weniger damit zufrieden, in dem wohlbekannten Hause ihres „unvergeßlichen Freundes Nicolai“ sich niederlassen zu können. </p><lb/> <p>Dieser Zeit werde ich stets mit Freude und Dankbarkeit gedenken. Die Persönlichkeit jener einzigen Frau hatte, wenn man sich ihr ganz hingab, etwas erhebendes; man fühlte sich in ihrer Gegenwart vornehm, es würde niemandem eingefallen sein, vor ihr etwas ungehöriges oder gemeines zu sagen. Alle übrigen Betrachtungen traten vor dieser einen Thatsache in den Hintergrund. Uns jüngeren Leuten, die wir für Göthe schwärmten, war freilich ihre Vorliebe für Tiedges Urania unerklärlich, doch ehrten wir ihren Geschmack, selbst nachdem wir mehrmals, gleich- </p> </div> </body> </text> </TEI> [[1]/0009]
Frau von der Recke in Berlin 1814–1816.
Tante Jettchen hatte uns aus Nachod die Kunde mitgebracht, daß Frau von der Recke, nachdem sie in Karlsbad den Sprudel getrunken, im Herbste 1814 wie gewöhnlich nach Berlin kommen werde. Ihre frühere Wohnung an der Neuen Promenade war nicht zu haben, und es traf sich sehr glücklich, daß die Wohnung im zweiten Stocke unseres Hauses um diese Zeit frei wurde. Wir konnten also die verehrte Frau für den Winter bei uns aufnehmen, und sie war ihrerseits nicht weniger damit zufrieden, in dem wohlbekannten Hause ihres „unvergeßlichen Freundes Nicolai“ sich niederlassen zu können.
Dieser Zeit werde ich stets mit Freude und Dankbarkeit gedenken. Die Persönlichkeit jener einzigen Frau hatte, wenn man sich ihr ganz hingab, etwas erhebendes; man fühlte sich in ihrer Gegenwart vornehm, es würde niemandem eingefallen sein, vor ihr etwas ungehöriges oder gemeines zu sagen. Alle übrigen Betrachtungen traten vor dieser einen Thatsache in den Hintergrund. Uns jüngeren Leuten, die wir für Göthe schwärmten, war freilich ihre Vorliebe für Tiedges Urania unerklärlich, doch ehrten wir ihren Geschmack, selbst nachdem wir mehrmals, gleich-
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