Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].Bei der bevorstehenden Taufe des Herzogs von Bordeaux hielt die Regierung es für angemessen, gegen etwanige Volksaufstände eine militärische Machtentfaltung in Scene zu setzen. Am letzten April 1821 hielt Ludwig XVIII. auf dem Marsfelde eine große Revue über 23,500 Mann von allen Waffengattungen. Der König in scharlachrother Uniform mit breitem Ordensbande saß - oder vielmehr lag in einem ganz goldnen Wagen, und grüßte mit stereotypem Lächeln wohlgefällig nach beiden Seiten hin. Ihm folgten, trotz des Regens in offenen Wagen, die Herzoginnen von Angouleme und von Berry mit dem kleinen Herzoge von Bordeaux. Für die Soldaten lag der Vergleich nahe zwischen ihrem jetzigen unbehülflichen Herrscher und dem früheren blitzschnellen Kaiser, der unermüdlich zu Rosse die Welt durchflog, unter dem sie vor sechs Jahren bei Waterloo gefochten, und der jetzt auf Sanct-Helena verschmachtete. Die Mehrzahl der Franzosen indessen war des Kriegführens herzlich überdrüssig; man hoffte von einer verständigen konstitutionellen Regierung die Fortführung und Befestigung ruhiger Zeiten, und war der Ansicht, Napoleons I. Rolle in Frankreich sei ausgespielt. Das war sie in der That, denn er starb sechs Tage nach dieser Revue am 6. Mai 1821. Damals konnte niemand ahnen, daß sein Neffe nach 30 Jahren den französischen Thron besteigen werde, um neuen Kriegsjammer über die Welt zu bringen, und endlich als Gefangener nach Wilhelmshöhe zu wandern. Die Rückreise der Herzogin nach Löbichau war auf den 3. Mai bestimmt; wir beide, Medem und ich durften sie begleiten. Zwei Tage vorher wohnten wir der Taufe Bei der bevorstehenden Taufe des Herzogs von Bordeaux hielt die Regierung es für angemessen, gegen etwanige Volksaufstände eine militärische Machtentfaltung in Scene zu setzen. Am letzten April 1821 hielt Ludwig XVIII. auf dem Marsfelde eine große Revue über 23,500 Mann von allen Waffengattungen. Der König in scharlachrother Uniform mit breitem Ordensbande saß – oder vielmehr lag in einem ganz goldnen Wagen, und grüßte mit stereotypem Lächeln wohlgefällig nach beiden Seiten hin. Ihm folgten, trotz des Regens in offenen Wagen, die Herzoginnen von Angoulème und von Berry mit dem kleinen Herzoge von Bordeaux. Für die Soldaten lag der Vergleich nahe zwischen ihrem jetzigen unbehülflichen Herrscher und dem früheren blitzschnellen Kaiser, der unermüdlich zu Rosse die Welt durchflog, unter dem sie vor sechs Jahren bei Waterloo gefochten, und der jetzt auf Sanct-Helena verschmachtete. Die Mehrzahl der Franzosen indessen war des Kriegführens herzlich überdrüssig; man hoffte von einer verständigen konstitutionellen Regierung die Fortführung und Befestigung ruhiger Zeiten, und war der Ansicht, Napoléons I. Rolle in Frankreich sei ausgespielt. Das war sie in der That, denn er starb sechs Tage nach dieser Revue am 6. Mai 1821. Damals konnte niemand ahnen, daß sein Neffe nach 30 Jahren den französischen Thron besteigen werde, um neuen Kriegsjammer über die Welt zu bringen, und endlich als Gefangener nach Wilhelmshöhe zu wandern. Die Rückreise der Herzogin nach Löbichau war auf den 3. Mai bestimmt; wir beide, Medem und ich durften sie begleiten. Zwei Tage vorher wohnten wir der Taufe <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p> <pb facs="#f0512" n="504"/> </p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Bei der bevorstehenden Taufe des Herzogs von Bordeaux hielt die Regierung es für angemessen, gegen etwanige Volksaufstände eine militärische Machtentfaltung in Scene zu setzen. Am letzten April 1821 hielt Ludwig XVIII. auf dem Marsfelde eine große Revue über 23,500 Mann von allen Waffengattungen. Der König in scharlachrother Uniform mit breitem Ordensbande saß – oder vielmehr lag in einem ganz goldnen Wagen, und grüßte mit stereotypem Lächeln wohlgefällig nach beiden Seiten hin. Ihm folgten, trotz des Regens in offenen Wagen, die Herzoginnen von Angoulème und von Berry mit dem kleinen Herzoge von Bordeaux. Für die Soldaten lag der Vergleich nahe zwischen ihrem jetzigen unbehülflichen Herrscher und dem früheren blitzschnellen Kaiser, der unermüdlich zu Rosse die Welt durchflog, unter dem sie vor sechs Jahren bei Waterloo gefochten, und der jetzt auf Sanct-Helena verschmachtete. Die Mehrzahl der Franzosen indessen war des Kriegführens herzlich überdrüssig; man hoffte von einer verständigen konstitutionellen Regierung die Fortführung und Befestigung ruhiger Zeiten, und war der Ansicht, Napoléons I. Rolle in Frankreich sei ausgespielt. Das war sie in der That, denn er starb sechs Tage nach dieser Revue am 6. Mai 1821. Damals konnte niemand ahnen, daß sein Neffe nach 30 Jahren den französischen Thron besteigen werde, um neuen Kriegsjammer über die Welt zu bringen, und endlich als Gefangener nach Wilhelmshöhe zu wandern. </p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Die Rückreise der Herzogin nach Löbichau war auf den 3. Mai bestimmt; wir beide, Medem und ich durften sie begleiten. Zwei Tage vorher wohnten wir der Taufe </p> </div> </body> </text> </TEI> [504/0512]
Bei der bevorstehenden Taufe des Herzogs von Bordeaux hielt die Regierung es für angemessen, gegen etwanige Volksaufstände eine militärische Machtentfaltung in Scene zu setzen. Am letzten April 1821 hielt Ludwig XVIII. auf dem Marsfelde eine große Revue über 23,500 Mann von allen Waffengattungen. Der König in scharlachrother Uniform mit breitem Ordensbande saß – oder vielmehr lag in einem ganz goldnen Wagen, und grüßte mit stereotypem Lächeln wohlgefällig nach beiden Seiten hin. Ihm folgten, trotz des Regens in offenen Wagen, die Herzoginnen von Angoulème und von Berry mit dem kleinen Herzoge von Bordeaux. Für die Soldaten lag der Vergleich nahe zwischen ihrem jetzigen unbehülflichen Herrscher und dem früheren blitzschnellen Kaiser, der unermüdlich zu Rosse die Welt durchflog, unter dem sie vor sechs Jahren bei Waterloo gefochten, und der jetzt auf Sanct-Helena verschmachtete. Die Mehrzahl der Franzosen indessen war des Kriegführens herzlich überdrüssig; man hoffte von einer verständigen konstitutionellen Regierung die Fortführung und Befestigung ruhiger Zeiten, und war der Ansicht, Napoléons I. Rolle in Frankreich sei ausgespielt. Das war sie in der That, denn er starb sechs Tage nach dieser Revue am 6. Mai 1821. Damals konnte niemand ahnen, daß sein Neffe nach 30 Jahren den französischen Thron besteigen werde, um neuen Kriegsjammer über die Welt zu bringen, und endlich als Gefangener nach Wilhelmshöhe zu wandern.
Die Rückreise der Herzogin nach Löbichau war auf den 3. Mai bestimmt; wir beide, Medem und ich durften sie begleiten. Zwei Tage vorher wohnten wir der Taufe
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 504. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/512>, abgerufen am 27.07.2024. |