Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].lange Vergangenheit ehrwürdig gemacht wären. Zwar verneinte er die Frage, ob die Abschaffung der lästigen Perrücken den Gang der Prozesse irgend beeinträchtigen werde, doch hielt er die Abschaffung für eine sehr bedenkliche Neuerung: das ohnehin hartköpfige Landvolk werde vor einem Richter ohne Perrücke keinen Respekt mehr empfinden, und dann lasse sich eine so wichtige Aenderung der Tracht nicht durch ein bloßes Reskript der Bezirksregierung oder des Magistrates erreichen. Sollte aber die Agitation gegen die Perrücken eine solche Stärke erreichen, um eine Parlamentsakte hervorzurufen, so würde dies im ganzen Lande wie eine Naturnothwendigkeit anerkannt und befolgt werden. Dagegen bemerkte ich, daß dies doch nicht immer so gewesen sei: die Geschwornengerichte seien, wie bekannt, im 12. Jahrhundert unter demselben Heinrich II. eingeführt, dessen Spuren wir so eben in Canterbury verfolgt; damals hätten die Richter doch keine Perrücken getragen; ob er glaube, daß später das Tragen derselben durch eine Parlamentsakte eingeführt sei? Dies wußte er nicht anzugeben, und wie bei jedem Streite blieb jeder bei seiner Meinung. Noch an demselben Tage fuhren wir mit der Diligence nach London, wo wir um 9 Uhr Abends eintrafen. Hier ward von unserem freundlichen Williams mit herzlichem Danke Abschied genommen. Er ließ mir seine Adresse, und wir haben uns noch einige Male gesehn. Ich konnte es jenem Fürsten von Waldeck kaum verdenken, daß er bei seiner Ankunft in London glaubte, man habe ihm zu Ehren die Stadt illuminirt; die unabsehbaren Reihen von hellen, nach der Schnur gestellten Gaslaternen, die wir jetzt überall haben, waren damals auf lange Vergangenheit ehrwürdig gemacht wären. Zwar verneinte er die Frage, ob die Abschaffung der lästigen Perrücken den Gang der Prozesse irgend beeinträchtigen werde, doch hielt er die Abschaffung für eine sehr bedenkliche Neuerung: das ohnehin hartköpfige Landvolk werde vor einem Richter ohne Perrücke keinen Respekt mehr empfinden, und dann lasse sich eine so wichtige Aenderung der Tracht nicht durch ein bloßes Reskript der Bezirksregierung oder des Magistrates erreichen. Sollte aber die Agitation gegen die Perrücken eine solche Stärke erreichen, um eine Parlamentsakte hervorzurufen, so würde dies im ganzen Lande wie eine Naturnothwendigkeit anerkannt und befolgt werden. Dagegen bemerkte ich, daß dies doch nicht immer so gewesen sei: die Geschwornengerichte seien, wie bekannt, im 12. Jahrhundert unter demselben Heinrich II. eingeführt, dessen Spuren wir so eben in Canterbury verfolgt; damals hätten die Richter doch keine Perrücken getragen; ob er glaube, daß später das Tragen derselben durch eine Parlamentsakte eingeführt sei? Dies wußte er nicht anzugeben, und wie bei jedem Streite blieb jeder bei seiner Meinung. Noch an demselben Tage fuhren wir mit der Diligence nach London, wo wir um 9 Uhr Abends eintrafen. Hier ward von unserem freundlichen Williams mit herzlichem Danke Abschied genommen. Er ließ mir seine Adresse, und wir haben uns noch einige Male gesehn. Ich konnte es jenem Fürsten von Waldeck kaum verdenken, daß er bei seiner Ankunft in London glaubte, man habe ihm zu Ehren die Stadt illuminirt; die unabsehbaren Reihen von hellen, nach der Schnur gestellten Gaslaternen, die wir jetzt überall haben, waren damals auf <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0496" n="488"/> lange Vergangenheit ehrwürdig gemacht wären. Zwar verneinte er die Frage, ob die Abschaffung der lästigen Perrücken den Gang der Prozesse irgend beeinträchtigen werde, doch hielt er die Abschaffung für eine sehr bedenkliche Neuerung: das ohnehin hartköpfige Landvolk werde vor einem Richter ohne Perrücke keinen Respekt mehr empfinden, und dann lasse sich eine so wichtige Aenderung der Tracht nicht durch ein bloßes Reskript der Bezirksregierung oder des Magistrates erreichen. Sollte aber die Agitation gegen die Perrücken eine solche Stärke erreichen, um eine Parlamentsakte hervorzurufen, so würde dies im ganzen Lande wie eine Naturnothwendigkeit anerkannt und befolgt werden. Dagegen bemerkte ich, daß dies doch nicht immer so gewesen sei: die Geschwornengerichte seien, wie bekannt, im 12. Jahrhundert unter demselben Heinrich II. eingeführt, dessen Spuren wir so eben in Canterbury verfolgt; damals hätten die Richter doch keine Perrücken getragen; ob er glaube, daß später das Tragen derselben durch eine Parlamentsakte eingeführt sei? 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lange Vergangenheit ehrwürdig gemacht wären. Zwar verneinte er die Frage, ob die Abschaffung der lästigen Perrücken den Gang der Prozesse irgend beeinträchtigen werde, doch hielt er die Abschaffung für eine sehr bedenkliche Neuerung: das ohnehin hartköpfige Landvolk werde vor einem Richter ohne Perrücke keinen Respekt mehr empfinden, und dann lasse sich eine so wichtige Aenderung der Tracht nicht durch ein bloßes Reskript der Bezirksregierung oder des Magistrates erreichen. Sollte aber die Agitation gegen die Perrücken eine solche Stärke erreichen, um eine Parlamentsakte hervorzurufen, so würde dies im ganzen Lande wie eine Naturnothwendigkeit anerkannt und befolgt werden. Dagegen bemerkte ich, daß dies doch nicht immer so gewesen sei: die Geschwornengerichte seien, wie bekannt, im 12. Jahrhundert unter demselben Heinrich II. eingeführt, dessen Spuren wir so eben in Canterbury verfolgt; damals hätten die Richter doch keine Perrücken getragen; ob er glaube, daß später das Tragen derselben durch eine Parlamentsakte eingeführt sei? Dies wußte er nicht anzugeben, und wie bei jedem Streite blieb jeder bei seiner Meinung.
Noch an demselben Tage fuhren wir mit der Diligence nach London, wo wir um 9 Uhr Abends eintrafen. Hier ward von unserem freundlichen Williams mit herzlichem Danke Abschied genommen. Er ließ mir seine Adresse, und wir haben uns noch einige Male gesehn.
Ich konnte es jenem Fürsten von Waldeck kaum verdenken, daß er bei seiner Ankunft in London glaubte, man habe ihm zu Ehren die Stadt illuminirt; die unabsehbaren Reihen von hellen, nach der Schnur gestellten Gaslaternen, die wir jetzt überall haben, waren damals auf
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 488. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/496>, abgerufen am 17.02.2025. |