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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

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Sitte: ein Parlamentsredner dürfe nicht ablesen und ein Prediger nicht frei sprechen.

Nun schritten wir zur Besichtigung der in großer Zahl vorhandenen Alterthümer und Merkwürdigkeiten. Ihren Ruhm in der englischen Geschichte verdankt die Kirche dem Erzbischofe und Primas Thomas Becket, als Heiliger Thomas von Canterbury genannt, der im Jahre 1170, zwar nicht auf ausdrücklichen Befehl, doch vielleicht mit der Billigung König Heinrichs II. am Altare ermordet ward. Diese That verursachte den gewaltigsten Aufruhr. Der sonst so kraftvolle und edle König konnte dem Fanatismus der wüthenden Priesterschaft nicht die Stirn bieten; er war gezwungen, die von Rom verhängte Buße zu leisten, und sich durch zwei Bischöfe geißeln zu lassen. Hundert Jahre früher (1077) stand der deutsche Kaiser Heinrich IV. im Büßerhemde im Schloßhofe zu Canossa. Es war eben die Periode der völligen Machtlosigkeit des weltlichen Armes gegen den geistlichen. Berühmter als durch den heiligen Thomas wurde König Heinrich II. durch seine Geliebte, die schöne Rosamunde, die Heldin von mehr als einem Trauerspiele. In Canterbury zeigt man den Ort von Beckets Ermordung, sein Grab in einer Seitenkapelle, und die Kapelle der Geißelung Heinrichs II. Alle diese Kapellen sind mit der saubersten gothischen Steinhauerarbeit verziert. Das Grabmal des schwarzen Prinzen (gest. 1376) mit der Rüstung, die er in der Schlacht bei Crecy geführt, trägt eine fast ganz französische Inschrift. Ein sehr primitives Ansehn zeigt der steinerne Krönungstuhl der alten Könige von Kent. Als Heinrich VIII. in der Reformationszeit sich vom Papste lossagte, plünderte er den Kirchenschatz, der im Laufe von vier Jahrhunderten sich dort

Sitte: ein Parlamentsredner dürfe nicht ablesen und ein Prediger nicht frei sprechen.

Nun schritten wir zur Besichtigung der in großer Zahl vorhandenen Alterthümer und Merkwürdigkeiten. Ihren Ruhm in der englischen Geschichte verdankt die Kirche dem Erzbischofe und Primas Thomas Becket, als Heiliger Thomas von Canterbury genannt, der im Jahre 1170, zwar nicht auf ausdrücklichen Befehl, doch vielleicht mit der Billigung König Heinrichs II. am Altare ermordet ward. Diese That verursachte den gewaltigsten Aufruhr. Der sonst so kraftvolle und edle König konnte dem Fanatismus der wüthenden Priesterschaft nicht die Stirn bieten; er war gezwungen, die von Rom verhängte Buße zu leisten, und sich durch zwei Bischöfe geißeln zu lassen. Hundert Jahre früher (1077) stand der deutsche Kaiser Heinrich IV. im Büßerhemde im Schloßhofe zu Canossa. Es war eben die Periode der völligen Machtlosigkeit des weltlichen Armes gegen den geistlichen. Berühmter als durch den heiligen Thomas wurde König Heinrich II. durch seine Geliebte, die schöne Rosamunde, die Heldin von mehr als einem Trauerspiele. In Canterbury zeigt man den Ort von Beckets Ermordung, sein Grab in einer Seitenkapelle, und die Kapelle der Geißelung Heinrichs II. Alle diese Kapellen sind mit der saubersten gothischen Steinhauerarbeit verziert. Das Grabmal des schwarzen Prinzen (gest. 1376) mit der Rüstung, die er in der Schlacht bei Crecy geführt, trägt eine fast ganz französische Inschrift. Ein sehr primitives Ansehn zeigt der steinerne Krönungstuhl der alten Könige von Kent. Als Heinrich VIII. in der Reformationszeit sich vom Papste lossagte, plünderte er den Kirchenschatz, der im Laufe von vier Jahrhunderten sich dort

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[485/0493] Sitte: ein Parlamentsredner dürfe nicht ablesen und ein Prediger nicht frei sprechen. Nun schritten wir zur Besichtigung der in großer Zahl vorhandenen Alterthümer und Merkwürdigkeiten. Ihren Ruhm in der englischen Geschichte verdankt die Kirche dem Erzbischofe und Primas Thomas Becket, als Heiliger Thomas von Canterbury genannt, der im Jahre 1170, zwar nicht auf ausdrücklichen Befehl, doch vielleicht mit der Billigung König Heinrichs II. am Altare ermordet ward. Diese That verursachte den gewaltigsten Aufruhr. Der sonst so kraftvolle und edle König konnte dem Fanatismus der wüthenden Priesterschaft nicht die Stirn bieten; er war gezwungen, die von Rom verhängte Buße zu leisten, und sich durch zwei Bischöfe geißeln zu lassen. Hundert Jahre früher (1077) stand der deutsche Kaiser Heinrich IV. im Büßerhemde im Schloßhofe zu Canossa. Es war eben die Periode der völligen Machtlosigkeit des weltlichen Armes gegen den geistlichen. Berühmter als durch den heiligen Thomas wurde König Heinrich II. durch seine Geliebte, die schöne Rosamunde, die Heldin von mehr als einem Trauerspiele. In Canterbury zeigt man den Ort von Beckets Ermordung, sein Grab in einer Seitenkapelle, und die Kapelle der Geißelung Heinrichs II. Alle diese Kapellen sind mit der saubersten gothischen Steinhauerarbeit verziert. Das Grabmal des schwarzen Prinzen (gest. 1376) mit der Rüstung, die er in der Schlacht bei Crecy geführt, trägt eine fast ganz französische Inschrift. Ein sehr primitives Ansehn zeigt der steinerne Krönungstuhl der alten Könige von Kent. Als Heinrich VIII. in der Reformationszeit sich vom Papste lossagte, plünderte er den Kirchenschatz, der im Laufe von vier Jahrhunderten sich dort

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 485. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/493>, abgerufen am 24.11.2024.