Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].der Stadt am Zusammenflusse der Rhone und Saone erzählte, trat mir jetzt lebhaft vor die Seele. Bei der damaligen Langsamkeit der Postverbindungen hatte ich nicht Zeit, mir Hilschers Adresse von meinem Vater geben zu lassen, hoffte aber doch ihn aufzufinden, wenn er nach 40 Jahren noch aufzufinden war. Der Gedanke, in der Fremde einen Jugendfreund meines Vaters, oder vielleicht dessen Sohn anzutreffen, hatte für mich etwas tröstliches. Für die 120 Lieues von Paris nach Lyon brauchte man mit der Diligence 4 Tage und 3 Nächte; ein Platz kostete 76 Francs. Es ward als ein bedeutender Fortschritt der französischen Diligencen gepriesen, daß sie ihre Fahrten so genau regelten, um an den betreffenden Stationen ein Frühstück und Mittagessen gleich bereit zu finden. Da ich gute Gesellschaft traf, so verging die Zeit recht gemächlich. Mit einem jungen französischen Advokaten aus Marseille, Namens Clapier, ließ sich ein vernünftiges Wort über wissenschaftliche Gegenstände sprechen. Er führte in der Westentasche ein kleines dickes Sedezbändchen, in dem er so fleißig las wie ein Geistlicher in seinem Brevier. Es waren dies die Cinq codes, d. h. die fünf unter Napoleon I. ausgearbeiteten Gesetzbücher, deren Kenntniß den Inbegriff aller in Frankreich geltenden Rechtsnormen umfaßte. Diese Concinnität wurde damals von vielen deutschen Juristen, auch von Thibaut und Feuerbach höchlich gepriesen, doch soll, wie man mich versichert, in der allerneusten Zeit eine speciellere Codification der einzelnen Rechtsmaterien wiederum ein größeres Bedürfniß geworden sein. Von Clapier suchte ich über das französische Erzie- der Stadt am Zusammenflusse der Rhone und Saone erzählte, trat mir jetzt lebhaft vor die Seele. Bei der damaligen Langsamkeit der Postverbindungen hatte ich nicht Zeit, mir Hilschers Adresse von meinem Vater geben zu lassen, hoffte aber doch ihn aufzufinden, wenn er nach 40 Jahren noch aufzufinden war. Der Gedanke, in der Fremde einen Jugendfreund meines Vaters, oder vielleicht dessen Sohn anzutreffen, hatte für mich etwas tröstliches. Für die 120 Lieues von Paris nach Lyon brauchte man mit der Diligence 4 Tage und 3 Nächte; ein Platz kostete 76 Francs. Es ward als ein bedeutender Fortschritt der französischen Diligencen gepriesen, daß sie ihre Fahrten so genau regelten, um an den betreffenden Stationen ein Frühstück und Mittagessen gleich bereit zu finden. Da ich gute Gesellschaft traf, so verging die Zeit recht gemächlich. Mit einem jungen französischen Advokaten aus Marseille, Namens Clapier, ließ sich ein vernünftiges Wort über wissenschaftliche Gegenstände sprechen. Er führte in der Westentasche ein kleines dickes Sedezbändchen, in dem er so fleißig las wie ein Geistlicher in seinem Brevier. Es waren dies die Cinq codes, d. h. die fünf unter Napoléon I. ausgearbeiteten Gesetzbücher, deren Kenntniß den Inbegriff aller in Frankreich geltenden Rechtsnormen umfaßte. Diese Concinnität wurde damals von vielen deutschen Juristen, auch von Thibaut und Feuerbach höchlich gepriesen, doch soll, wie man mich versichert, in der allerneusten Zeit eine speciellere Codification der einzelnen Rechtsmaterien wiederum ein größeres Bedürfniß geworden sein. Von Clapier suchte ich über das französische Erzie- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0484" n="476"/> der Stadt am Zusammenflusse der Rhone und Saone erzählte, trat mir jetzt lebhaft vor die Seele. 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Er führte in der Westentasche ein kleines dickes Sedezbändchen, in dem er so fleißig las wie ein Geistlicher in seinem Brevier. Es waren dies die Cinq codes, d. h. die fünf unter Napoléon I. ausgearbeiteten Gesetzbücher, deren Kenntniß den Inbegriff aller in Frankreich geltenden Rechtsnormen umfaßte. Diese Concinnität wurde damals von vielen deutschen Juristen, auch von Thibaut und Feuerbach höchlich gepriesen, doch soll, wie man mich versichert, in der allerneusten Zeit eine speciellere Codification der einzelnen Rechtsmaterien wiederum ein größeres Bedürfniß geworden sein. </p><lb/> <p>Von Clapier suchte ich über das französische Erzie- </p> </div> </body> </text> </TEI> [476/0484]
der Stadt am Zusammenflusse der Rhone und Saone erzählte, trat mir jetzt lebhaft vor die Seele. Bei der damaligen Langsamkeit der Postverbindungen hatte ich nicht Zeit, mir Hilschers Adresse von meinem Vater geben zu lassen, hoffte aber doch ihn aufzufinden, wenn er nach 40 Jahren noch aufzufinden war. Der Gedanke, in der Fremde einen Jugendfreund meines Vaters, oder vielleicht dessen Sohn anzutreffen, hatte für mich etwas tröstliches.
Für die 120 Lieues von Paris nach Lyon brauchte man mit der Diligence 4 Tage und 3 Nächte; ein Platz kostete 76 Francs. Es ward als ein bedeutender Fortschritt der französischen Diligencen gepriesen, daß sie ihre Fahrten so genau regelten, um an den betreffenden Stationen ein Frühstück und Mittagessen gleich bereit zu finden. Da ich gute Gesellschaft traf, so verging die Zeit recht gemächlich. Mit einem jungen französischen Advokaten aus Marseille, Namens Clapier, ließ sich ein vernünftiges Wort über wissenschaftliche Gegenstände sprechen. Er führte in der Westentasche ein kleines dickes Sedezbändchen, in dem er so fleißig las wie ein Geistlicher in seinem Brevier. Es waren dies die Cinq codes, d. h. die fünf unter Napoléon I. ausgearbeiteten Gesetzbücher, deren Kenntniß den Inbegriff aller in Frankreich geltenden Rechtsnormen umfaßte. Diese Concinnität wurde damals von vielen deutschen Juristen, auch von Thibaut und Feuerbach höchlich gepriesen, doch soll, wie man mich versichert, in der allerneusten Zeit eine speciellere Codification der einzelnen Rechtsmaterien wiederum ein größeres Bedürfniß geworden sein.
Von Clapier suchte ich über das französische Erzie-
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 476. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/484>, abgerufen am 28.06.2024. |