Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].Von Mozarts unsterblichen Opern wurde der ‹Turco in Italia› und ‹L’Italiana in Algeri›; ‹L’inganno felice› (eine Jugendarbeit Rossinis) und ‹Torvaldo e Dorlisca›. Diese letzte Oper hatte gegen die Intriguen des Kapellmeisters Paer, des Direktors des italiänischen Theaters zu kämpfen. Rossini selbst erklärte die Oper für ein mislungenes Werk, und eben deshalb ließ Paer sie zur Aufführung bringen, in der Hofhung, sie werde fallen. Aber dem pariser Publikum muß man es zum Lobe nachsagen, daß es für alle seine künstlerischen Celebritäten eine große Pietät bewahrt; die Oper ward zwar nicht mit Enthusiasmus, doch mit warmer Anerkennung aufgenommen; sie errang einen succès d’estime und verschwand nach einiger Zeit von der Bühne. Von Mozarts unsterblichen Opern wurde der ‹Don Giovanni› mit höchster Vollendung gegeben. Die meisterhaften, von Klein geleiteten Aufführungen in unserm Hause lagen mir sehr deutlich im Sinne; ich mußte mir jedoch gestehn, daß der Zauber der italiänischen Stimmen, verbunden mit der vollen Wirkung eines gutgeschulten Orchesters einen weit höheren Genuß gewähre. Auch die Discretion in Bezug auf die Tempi ließ nichts zu wünschen übrig. Die Oper schloß hier, wie auf allen andern Schaubühnen, wo ich sie gesehn, mit Don Giovannis Höllenfahrt und dem unvermeidlichen Feuerregen; es fehlte der von Mozart mit so vieler Einsicht hinzugefügte fugirte Satz: Questo è il fin di chi fa mal, der allerdings eine sehr trockne Moral enthält, aber zur Beruhigung des Gefühles mir unerläßlich scheint; er glättet wie zähes Oel die hochgehende Brandung der Leidenschaften; ohne diesen prosaischen Schluß wäre es geradezu unerklärlich, wie Mozart das tieftragische Werk eine Opera buffa nennen konnte. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0456" n="448"/> ‹Turco in Italia› und ‹L’Italiana in Algeri›; ‹L’inganno felice› (eine Jugendarbeit Rossinis) und ‹Torvaldo e Dorlisca›. Diese letzte Oper hatte gegen die Intriguen des Kapellmeisters Paer, des Direktors des italiänischen Theaters zu kämpfen. Rossini selbst erklärte die Oper für ein mislungenes Werk, und eben deshalb ließ Paer sie zur Aufführung bringen, in der Hofhung, sie werde fallen. Aber dem pariser Publikum muß man es zum Lobe nachsagen, daß es für alle seine künstlerischen Celebritäten eine große Pietät bewahrt; die Oper ward zwar nicht mit Enthusiasmus, doch mit warmer Anerkennung aufgenommen; sie errang einen succès d’estime und verschwand nach einiger Zeit von der Bühne. </p><lb/> <p>Von Mozarts unsterblichen Opern wurde der ‹Don Giovanni› mit höchster Vollendung gegeben. Die meisterhaften, von Klein geleiteten Aufführungen in unserm Hause lagen mir sehr deutlich im Sinne; ich mußte mir jedoch gestehn, daß der Zauber der italiänischen Stimmen, verbunden mit der vollen Wirkung eines gutgeschulten Orchesters einen weit höheren Genuß gewähre. Auch die Discretion in Bezug auf die Tempi ließ nichts zu wünschen übrig. Die Oper schloß hier, wie auf allen andern Schaubühnen, wo ich sie gesehn, mit Don Giovannis Höllenfahrt und dem unvermeidlichen Feuerregen; es fehlte der von Mozart mit so vieler Einsicht hinzugefügte fugirte Satz: Questo è il fin di chi fa mal, der allerdings eine sehr trockne Moral enthält, aber zur Beruhigung des Gefühles mir unerläßlich scheint; er glättet wie zähes Oel die hochgehende Brandung der Leidenschaften; ohne diesen prosaischen Schluß wäre es geradezu unerklärlich, wie Mozart das tieftragische Werk eine Opera buffa nennen konnte. </p> </div> </body> </text> </TEI> [448/0456]
‹Turco in Italia› und ‹L’Italiana in Algeri›; ‹L’inganno felice› (eine Jugendarbeit Rossinis) und ‹Torvaldo e Dorlisca›. Diese letzte Oper hatte gegen die Intriguen des Kapellmeisters Paer, des Direktors des italiänischen Theaters zu kämpfen. Rossini selbst erklärte die Oper für ein mislungenes Werk, und eben deshalb ließ Paer sie zur Aufführung bringen, in der Hofhung, sie werde fallen. Aber dem pariser Publikum muß man es zum Lobe nachsagen, daß es für alle seine künstlerischen Celebritäten eine große Pietät bewahrt; die Oper ward zwar nicht mit Enthusiasmus, doch mit warmer Anerkennung aufgenommen; sie errang einen succès d’estime und verschwand nach einiger Zeit von der Bühne.
Von Mozarts unsterblichen Opern wurde der ‹Don Giovanni› mit höchster Vollendung gegeben. Die meisterhaften, von Klein geleiteten Aufführungen in unserm Hause lagen mir sehr deutlich im Sinne; ich mußte mir jedoch gestehn, daß der Zauber der italiänischen Stimmen, verbunden mit der vollen Wirkung eines gutgeschulten Orchesters einen weit höheren Genuß gewähre. Auch die Discretion in Bezug auf die Tempi ließ nichts zu wünschen übrig. Die Oper schloß hier, wie auf allen andern Schaubühnen, wo ich sie gesehn, mit Don Giovannis Höllenfahrt und dem unvermeidlichen Feuerregen; es fehlte der von Mozart mit so vieler Einsicht hinzugefügte fugirte Satz: Questo è il fin di chi fa mal, der allerdings eine sehr trockne Moral enthält, aber zur Beruhigung des Gefühles mir unerläßlich scheint; er glättet wie zähes Oel die hochgehende Brandung der Leidenschaften; ohne diesen prosaischen Schluß wäre es geradezu unerklärlich, wie Mozart das tieftragische Werk eine Opera buffa nennen konnte.
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