Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].Nach meiner Ankunft in Paris besuchte mich Dr. Ganzel, ein Mediziner, dem ich in Berlin bei August kennen gelernt. Nachdem Ganzel in Berlin promovirt, wollte er durch den Besuch der grosartigen pariser Anstalten seine ärztliche Erfahrungen vermehren und befestigen. Wir fühlten gleich eine entschiedene Wahlverwandtschaft und würden uns noch öfter gesehn haben, wenn er nicht gar zu weit in einer engen Straße des Quartier latin gewohnt hätte. Ich ging bis zu ihm dreiviertel Stunden; Omnibus gab es noch nicht. Indessen schlossen wir uns als Deutsche in der fremden Stadt gern an einander an. Sobald er allein, oder mit ein paar deutschen Freunden, meist Strasburgern, zu mir kam, so wurde die Austernfrau vor der Thüre in Nahrung gesetzt, und Johann holte vom Hauswirte den besten Chablis. Mit Ganzel theilte ich die Vorliebe für die freie Natur und einen weiten Horizont. Wir gingen einige Male zusammen nach dem Jardin des plantes, um im Schatten der von Tournefort vor 100 Jahren gepflanzten Ceder vom Libanon über die langweiligen Getreidehügel der Umgebung von Paris hinzublicken. Wir versuchten auch einige Spaziergänge außerhalb der Mautlinie des damals noch nicht befestigten Paris, aber die Flachheit der wohlbebauten Gegend konnte uns nicht in ein solches Entzücken versetzen, wie die Pariser es an den Tag legten. Auf diesen Spaziergängen ward auch tüchtig disputirt und philosophirt. Ganzel hatte eine große Neigung, sich zu höheren allgemeinen Ansichten zu erheben. Interessant war es mir, in ihm einen Zuhörer von Hegel kennen zu lernen, dessen Philosophie er über alles setzte. Da ich von dieser Lehre noch sehr wenig wußte (ich hatte nur einmal bei Hegel Nach meiner Ankunft in Paris besuchte mich Dr. Ganzel, ein Mediziner, dem ich in Berlin bei August kennen gelernt. Nachdem Ganzel in Berlin promovirt, wollte er durch den Besuch der grosartigen pariser Anstalten seine ärztliche Erfahrungen vermehren und befestigen. Wir fühlten gleich eine entschiedene Wahlverwandtschaft und würden uns noch öfter gesehn haben, wenn er nicht gar zu weit in einer engen Straße des Quartier latin gewohnt hätte. Ich ging bis zu ihm dreiviertel Stunden; Omnibus gab es noch nicht. Indessen schlossen wir uns als Deutsche in der fremden Stadt gern an einander an. Sobald er allein, oder mit ein paar deutschen Freunden, meist Strasburgern, zu mir kam, so wurde die Austernfrau vor der Thüre in Nahrung gesetzt, und Johann holte vom Hauswirte den besten Chablis. Mit Ganzel theilte ich die Vorliebe für die freie Natur und einen weiten Horizont. Wir gingen einige Male zusammen nach dem Jardin des plantes, um im Schatten der von Tournefort vor 100 Jahren gepflanzten Ceder vom Libanon über die langweiligen Getreidehügel der Umgebung von Paris hinzublicken. Wir versuchten auch einige Spaziergänge außerhalb der Mautlinie des damals noch nicht befestigten Paris, aber die Flachheit der wohlbebauten Gegend konnte uns nicht in ein solches Entzücken versetzen, wie die Pariser es an den Tag legten. Auf diesen Spaziergängen ward auch tüchtig disputirt und philosophirt. Ganzel hatte eine große Neigung, sich zu höheren allgemeinen Ansichten zu erheben. Interessant war es mir, in ihm einen Zuhörer von Hegel kennen zu lernen, dessen Philosophie er über alles setzte. Da ich von dieser Lehre noch sehr wenig wußte (ich hatte nur einmal bei Hegel <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p> <pb facs="#f0443" n="435"/> </p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Nach meiner Ankunft in Paris besuchte mich Dr. Ganzel, ein Mediziner, dem ich in Berlin bei August kennen gelernt. Nachdem Ganzel in Berlin promovirt, wollte er durch den Besuch der grosartigen pariser Anstalten seine ärztliche Erfahrungen vermehren und befestigen. 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Wir versuchten auch einige Spaziergänge außerhalb der Mautlinie des damals noch nicht befestigten Paris, aber die Flachheit der wohlbebauten Gegend konnte uns nicht in ein solches Entzücken versetzen, wie die Pariser es an den Tag legten. Auf diesen Spaziergängen ward auch tüchtig disputirt und philosophirt. Ganzel hatte eine große Neigung, sich zu höheren allgemeinen Ansichten zu erheben. Interessant war es mir, in ihm einen Zuhörer von Hegel kennen zu lernen, dessen Philosophie er über alles setzte. Da ich von dieser Lehre noch sehr wenig wußte (ich hatte nur einmal bei Hegel </p> </div> </body> </text> </TEI> [435/0443]
Nach meiner Ankunft in Paris besuchte mich Dr. Ganzel, ein Mediziner, dem ich in Berlin bei August kennen gelernt. Nachdem Ganzel in Berlin promovirt, wollte er durch den Besuch der grosartigen pariser Anstalten seine ärztliche Erfahrungen vermehren und befestigen. Wir fühlten gleich eine entschiedene Wahlverwandtschaft und würden uns noch öfter gesehn haben, wenn er nicht gar zu weit in einer engen Straße des Quartier latin gewohnt hätte. Ich ging bis zu ihm dreiviertel Stunden; Omnibus gab es noch nicht. Indessen schlossen wir uns als Deutsche in der fremden Stadt gern an einander an. Sobald er allein, oder mit ein paar deutschen Freunden, meist Strasburgern, zu mir kam, so wurde die Austernfrau vor der Thüre in Nahrung gesetzt, und Johann holte vom Hauswirte den besten Chablis.
Mit Ganzel theilte ich die Vorliebe für die freie Natur und einen weiten Horizont. Wir gingen einige Male zusammen nach dem Jardin des plantes, um im Schatten der von Tournefort vor 100 Jahren gepflanzten Ceder vom Libanon über die langweiligen Getreidehügel der Umgebung von Paris hinzublicken. Wir versuchten auch einige Spaziergänge außerhalb der Mautlinie des damals noch nicht befestigten Paris, aber die Flachheit der wohlbebauten Gegend konnte uns nicht in ein solches Entzücken versetzen, wie die Pariser es an den Tag legten. Auf diesen Spaziergängen ward auch tüchtig disputirt und philosophirt. Ganzel hatte eine große Neigung, sich zu höheren allgemeinen Ansichten zu erheben. Interessant war es mir, in ihm einen Zuhörer von Hegel kennen zu lernen, dessen Philosophie er über alles setzte. Da ich von dieser Lehre noch sehr wenig wußte (ich hatte nur einmal bei Hegel
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 435. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/443>, abgerufen am 16.07.2024. |