Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].zuerst eines Dolmetschers, dann erfand er eine Art von Zeichensprache; beides vergeblich: denn die Rothmäntel seien allzu stupide; sie verstünden nichts anderes als Kopfabschneiden und Knoblauchessen. Die Herzogin behandelte ihren ehemaligen Schwiegersohn bei der allerstriktesten Höflichkeit mit einer gewissen Kälte, die er wohl durchfühlen mochte: denn er wiederholte in diesem Winter seine Besuche nur sehr spärlich. Als Hausarzt konsultirte die Herzogin den berühmten Schädellehrer Gall, der sehr bald seinen Antrittsbesuch machte. Da sie (im 60. Jahre stehend) einer vortrefflichen Gesundheit genoß, so nahm sie seine Hülfe sehr selten in Anspruch. Er debütirte mit der Versicherung, daß er nur komme, um sich über ihr Wohlbefinden zu freuen, und sie in Paris willkommen zu heißen. Ein langer hagrer Mann mit einem Sammtkäppchen auf den ergrauenden Haaren, ganz schwarz gekleidet, mit kurzen Beinkleidern und seidnen Strümpfen. Die jedem Arzte eigne Sicherheit des Auftretens verband sich bei Gall mit der feinsten Lebensart eines gebildeten Weltmannes, was seine Gregenwart sehr angenehm machte. Seinen schwäbischen Dialekt konnte er auch im fließendsten französisch nicht ganz loswerden. Schon in Berlin hatte ich manches von Gall und seiner Schädellehre gehört; die Zahl seiner Gegner war aber viel größer als die seiner Anhänger. Daß zwischen dem Gehirne und der Bildung der Hirnschale eine gewisse Wechselwirkung stattfinde, läßt sich vielleicht mit eben so viel Recht behaupten, als daß die Gesichtsbildung mit dem Karakter des Menschen im Zusammenhang stehe. Den ersten Satz suchte Gall in seiner Schädellehre näher aus- zuerst eines Dolmetschers, dann erfand er eine Art von Zeichensprache; beides vergeblich: denn die Rothmäntel seien allzu stupide; sie verstünden nichts anderes als Kopfabschneiden und Knoblauchessen. Die Herzogin behandelte ihren ehemaligen Schwiegersohn bei der allerstriktesten Höflichkeit mit einer gewissen Kälte, die er wohl durchfühlen mochte: denn er wiederholte in diesem Winter seine Besuche nur sehr spärlich. Als Hausarzt konsultirte die Herzogin den berühmten Schädellehrer Gall, der sehr bald seinen Antrittsbesuch machte. Da sie (im 60. Jahre stehend) einer vortrefflichen Gesundheit genoß, so nahm sie seine Hülfe sehr selten in Anspruch. Er debütirte mit der Versicherung, daß er nur komme, um sich über ihr Wohlbefinden zu freuen, und sie in Paris willkommen zu heißen. Ein langer hagrer Mann mit einem Sammtkäppchen auf den ergrauenden Haaren, ganz schwarz gekleidet, mit kurzen Beinkleidern und seidnen Strümpfen. Die jedem Arzte eigne Sicherheit des Auftretens verband sich bei Gall mit der feinsten Lebensart eines gebildeten Weltmannes, was seine Gregenwart sehr angenehm machte. Seinen schwäbischen Dialekt konnte er auch im fließendsten französisch nicht ganz loswerden. Schon in Berlin hatte ich manches von Gall und seiner Schädellehre gehört; die Zahl seiner Gegner war aber viel größer als die seiner Anhänger. Daß zwischen dem Gehirne und der Bildung der Hirnschale eine gewisse Wechselwirkung stattfinde, läßt sich vielleicht mit eben so viel Recht behaupten, als daß die Gesichtsbildung mit dem Karakter des Menschen im Zusammenhang stehe. Den ersten Satz suchte Gall in seiner Schädellehre näher aus- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0429" n="421"/> zuerst eines Dolmetschers, dann erfand er eine Art von Zeichensprache; beides vergeblich: denn die Rothmäntel seien allzu stupide; sie verstünden nichts anderes als Kopfabschneiden und Knoblauchessen. Die Herzogin behandelte ihren ehemaligen Schwiegersohn bei der allerstriktesten Höflichkeit mit einer gewissen Kälte, die er wohl durchfühlen mochte: denn er wiederholte in diesem Winter seine Besuche nur sehr spärlich. </p><lb/> <p>Als Hausarzt konsultirte die Herzogin den berühmten Schädellehrer Gall, der sehr bald seinen Antrittsbesuch machte. Da sie (im 60. Jahre stehend) einer vortrefflichen Gesundheit genoß, so nahm sie seine Hülfe sehr selten in Anspruch. Er debütirte mit der Versicherung, daß er nur komme, um sich über ihr Wohlbefinden zu freuen, und sie in Paris willkommen zu heißen. Ein langer hagrer Mann mit einem Sammtkäppchen auf den ergrauenden Haaren, ganz schwarz gekleidet, mit kurzen Beinkleidern und seidnen Strümpfen. Die jedem Arzte eigne Sicherheit des Auftretens verband sich bei Gall mit der feinsten Lebensart eines gebildeten Weltmannes, was seine Gregenwart sehr angenehm machte. Seinen schwäbischen Dialekt konnte er auch im fließendsten französisch nicht ganz loswerden. </p><lb/> <p>Schon in Berlin hatte ich manches von Gall und seiner Schädellehre gehört; die Zahl seiner Gegner war aber viel größer als die seiner Anhänger. Daß zwischen dem Gehirne und der Bildung der Hirnschale eine gewisse Wechselwirkung stattfinde, läßt sich vielleicht mit eben so viel Recht behaupten, als daß die Gesichtsbildung mit dem Karakter des Menschen im Zusammenhang stehe. Den ersten Satz suchte Gall in seiner Schädellehre näher aus- </p> </div> </body> </text> </TEI> [421/0429]
zuerst eines Dolmetschers, dann erfand er eine Art von Zeichensprache; beides vergeblich: denn die Rothmäntel seien allzu stupide; sie verstünden nichts anderes als Kopfabschneiden und Knoblauchessen. Die Herzogin behandelte ihren ehemaligen Schwiegersohn bei der allerstriktesten Höflichkeit mit einer gewissen Kälte, die er wohl durchfühlen mochte: denn er wiederholte in diesem Winter seine Besuche nur sehr spärlich.
Als Hausarzt konsultirte die Herzogin den berühmten Schädellehrer Gall, der sehr bald seinen Antrittsbesuch machte. Da sie (im 60. Jahre stehend) einer vortrefflichen Gesundheit genoß, so nahm sie seine Hülfe sehr selten in Anspruch. Er debütirte mit der Versicherung, daß er nur komme, um sich über ihr Wohlbefinden zu freuen, und sie in Paris willkommen zu heißen. Ein langer hagrer Mann mit einem Sammtkäppchen auf den ergrauenden Haaren, ganz schwarz gekleidet, mit kurzen Beinkleidern und seidnen Strümpfen. Die jedem Arzte eigne Sicherheit des Auftretens verband sich bei Gall mit der feinsten Lebensart eines gebildeten Weltmannes, was seine Gregenwart sehr angenehm machte. Seinen schwäbischen Dialekt konnte er auch im fließendsten französisch nicht ganz loswerden.
Schon in Berlin hatte ich manches von Gall und seiner Schädellehre gehört; die Zahl seiner Gegner war aber viel größer als die seiner Anhänger. Daß zwischen dem Gehirne und der Bildung der Hirnschale eine gewisse Wechselwirkung stattfinde, läßt sich vielleicht mit eben so viel Recht behaupten, als daß die Gesichtsbildung mit dem Karakter des Menschen im Zusammenhang stehe. Den ersten Satz suchte Gall in seiner Schädellehre näher aus-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription.
(2014-01-07T13:04:32Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1)
(2014-01-07T13:04:32Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |