Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].der Fürst nicht an, stellte sich aber nach aufgehobener Tafel an die Schenke, und gurgelte sich hier privatim mit einem schreckenerregenden Getöse. Wäre ihm nur eine Spur von Schicklichkeits-Rücksichten zuzutrauen gewesen, so hätte man annehmen können, er thue es, um der Tischgesellschaft den näheren Anblick seiner abgenutzten Freßwerkzeuge zu ersparen. Jene blauen Tassen waren, wie ich nachher erfuhr, eine Errungenschaft der Revolution von 1789; unter dem alten Regime, unter Ludwig dem XV. und XVI. hielt man es für unanständig, sich in feiner Gesellschaft den Mund zu reinigen. Die Jugend des Fürsten, der damals in seinem 66. Jahre stand, lag in jener längst vergangenen Zeit; er konnte sich nicht entschließen, die ihm widerstrebende Neuerung anzunehmen. Als wir nach Tische um den Kamin saßen, kroch der Fürst hinter den Stühlen der Damen herum, und machte ihnen sehr vertrauliche Liebkosungen, von denen selbst die Herzogin nicht verschont blieb. Die Häslichkeit des Fürsten bildete eine wirksame Folie für die unverwelkliche Schönheit seiner Nichte, der Herzogin von Dino, unserer geliebten Prinzessin Dorothea. Die interessanten Umstände, in denen sie sich befand, machten sie etwas blaß; das feine Oval ihres klassischen Kopfes erhielt dadurch einen erhöhten Reiz. Es that mir ungemein wohl, daß Prinzeßchen sich unserer berliner Spiele huldvoll erinnerte, und mich im Laufe des Gespräches: lieber Gustav! nannte. So tief hatten die Erinnerungen der glücklichen Jugend in ihrem Gemüthe Wurzel gefaßt. Zu den Tischgästen gehörten ferner ein unverheiratheter ältlicher Italiäner, Marchese Giamboni de' Sposetti, der Fürst nicht an, stellte sich aber nach aufgehobener Tafel an die Schenke, und gurgelte sich hier privatim mit einem schreckenerregenden Getöse. Wäre ihm nur eine Spur von Schicklichkeits-Rücksichten zuzutrauen gewesen, so hätte man annehmen können, er thue es, um der Tischgesellschaft den näheren Anblick seiner abgenutzten Freßwerkzeuge zu ersparen. Jene blauen Tassen waren, wie ich nachher erfuhr, eine Errungenschaft der Revolution von 1789; unter dem alten Regime, unter Ludwig dem XV. und XVI. hielt man es für unanständig, sich in feiner Gesellschaft den Mund zu reinigen. Die Jugend des Fürsten, der damals in seinem 66. Jahre stand, lag in jener längst vergangenen Zeit; er konnte sich nicht entschließen, die ihm widerstrebende Neuerung anzunehmen. Als wir nach Tische um den Kamin saßen, kroch der Fürst hinter den Stühlen der Damen herum, und machte ihnen sehr vertrauliche Liebkosungen, von denen selbst die Herzogin nicht verschont blieb. Die Häslichkeit des Fürsten bildete eine wirksame Folie für die unverwelkliche Schönheit seiner Nichte, der Herzogin von Dino, unserer geliebten Prinzessin Dorothea. Die interessanten Umstände, in denen sie sich befand, machten sie etwas blaß; das feine Oval ihres klassischen Kopfes erhielt dadurch einen erhöhten Reiz. Es that mir ungemein wohl, daß Prinzeßchen sich unserer berliner Spiele huldvoll erinnerte, und mich im Laufe des Gespräches: lieber Gustav! nannte. So tief hatten die Erinnerungen der glücklichen Jugend in ihrem Gemüthe Wurzel gefaßt. 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Als wir nach Tische um den Kamin saßen, kroch der Fürst hinter den Stühlen der Damen herum, und machte ihnen sehr vertrauliche Liebkosungen, von denen selbst die Herzogin nicht verschont blieb. </p><lb/> <p>Die Häslichkeit des Fürsten bildete eine wirksame Folie für die unverwelkliche Schönheit seiner Nichte, der Herzogin von <hi rendition="#b">Dino</hi>, unserer geliebten Prinzessin Dorothea. Die interessanten Umstände, in denen sie sich befand, machten sie etwas blaß; das feine Oval ihres klassischen Kopfes erhielt dadurch einen erhöhten Reiz. Es that mir ungemein wohl, daß Prinzeßchen sich unserer berliner Spiele huldvoll erinnerte, und mich im Laufe des Gespräches: lieber Gustav! nannte. So tief hatten die Erinnerungen der glücklichen Jugend in ihrem Gemüthe Wurzel gefaßt. </p><lb/> <p>Zu den Tischgästen gehörten ferner ein unverheiratheter ältlicher Italiäner, Marchese Giamboni de’ Sposetti, </p> </div> </body> </text> </TEI> [416/0424]
der Fürst nicht an, stellte sich aber nach aufgehobener Tafel an die Schenke, und gurgelte sich hier privatim mit einem schreckenerregenden Getöse. Wäre ihm nur eine Spur von Schicklichkeits-Rücksichten zuzutrauen gewesen, so hätte man annehmen können, er thue es, um der Tischgesellschaft den näheren Anblick seiner abgenutzten Freßwerkzeuge zu ersparen. Jene blauen Tassen waren, wie ich nachher erfuhr, eine Errungenschaft der Revolution von 1789; unter dem alten Regime, unter Ludwig dem XV. und XVI. hielt man es für unanständig, sich in feiner Gesellschaft den Mund zu reinigen. Die Jugend des Fürsten, der damals in seinem 66. Jahre stand, lag in jener längst vergangenen Zeit; er konnte sich nicht entschließen, die ihm widerstrebende Neuerung anzunehmen. Als wir nach Tische um den Kamin saßen, kroch der Fürst hinter den Stühlen der Damen herum, und machte ihnen sehr vertrauliche Liebkosungen, von denen selbst die Herzogin nicht verschont blieb.
Die Häslichkeit des Fürsten bildete eine wirksame Folie für die unverwelkliche Schönheit seiner Nichte, der Herzogin von Dino, unserer geliebten Prinzessin Dorothea. Die interessanten Umstände, in denen sie sich befand, machten sie etwas blaß; das feine Oval ihres klassischen Kopfes erhielt dadurch einen erhöhten Reiz. Es that mir ungemein wohl, daß Prinzeßchen sich unserer berliner Spiele huldvoll erinnerte, und mich im Laufe des Gespräches: lieber Gustav! nannte. So tief hatten die Erinnerungen der glücklichen Jugend in ihrem Gemüthe Wurzel gefaßt.
Zu den Tischgästen gehörten ferner ein unverheiratheter ältlicher Italiäner, Marchese Giamboni de’ Sposetti,
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