Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

mit dem er die schöngeformte Hand der Herzogin küßte; das Kinn steckte fast bis zur Unterlippe in einer übermäßig weiten weißen Halsbinde, unter welcher ein gekniffter Jabot sichtbar ward; den Kopf bedeckte ein gewaltig hohes gepudertes Toupe mit zwei Taubenflügeln; dazu ein dunkelgrauer altmodischer Leibrock, graue Unterkleider, weißseidene Strümpfe und Schnallenschuhe. Diese Tracht war in Paris zwar nicht ganz veraltet, doch sah man die weißseidenen Strümpfe und die Schnallenschuhe nicht häufig auf der Straße. Zum Frühstücke und den ganzen Vormittag hindurch erschienen die jüngeren Leute im Gehrock, schwarzer Halsbinde, langen Beinkleidern und Stiefeln; zum Diner im Frack, weißer Halsbinde, langen Beinkleidern, schwarzseidnen Strümpfen und Schuhen.

Hätte ich geglaubt, beim Fürsten Talleyrand in die Schule der feinsten pariser Lebensart gehn zu können, so würde ich mich bitter getäuscht haben. Alles was man uns als unanständig verwiesen und verboten hatte, das that der Fürst. Seinem rasenden Appetite legte er durchaus keinen Zwang an und verschlang was ihm vorkam; er griff mit der Hand in die Schüssel, und drehte eine eingemachte Pflaume in der Sauce herum, ehe er sie mit den dürren Fingern in die Mundhöhle beförderte. In den kurzen Pausen zwischen den Gerichten trug er die erklärteste Langeweile zur Schau; er sprach fast kein Wort, gähnte aber mehrmals mit einer Art von Geblök. Seine tiefe Baßstimme klang rauh und höchst unmelodisch, er konnte sie aber auch, wie ich später wahrnahm, zu einem recht einschmeichelnden Adagio abdämpfen.

Am Schlusse des Diners wurden die bekannten blauen Glasschalen zum Mundausspülen aufgesetzt; diese rührte

mit dem er die schöngeformte Hand der Herzogin küßte; das Kinn steckte fast bis zur Unterlippe in einer übermäßig weiten weißen Halsbinde, unter welcher ein gekniffter Jabot sichtbar ward; den Kopf bedeckte ein gewaltig hohes gepudertes Toupé mit zwei Taubenflügeln; dazu ein dunkelgrauer altmodischer Leibrock, graue Unterkleider, weißseidene Strümpfe und Schnallenschuhe. Diese Tracht war in Paris zwar nicht ganz veraltet, doch sah man die weißseidenen Strümpfe und die Schnallenschuhe nicht häufig auf der Straße. Zum Frühstücke und den ganzen Vormittag hindurch erschienen die jüngeren Leute im Gehrock, schwarzer Halsbinde, langen Beinkleidern und Stiefeln; zum Diner im Frack, weißer Halsbinde, langen Beinkleidern, schwarzseidnen Strümpfen und Schuhen.

Hätte ich geglaubt, beim Fürsten Talleyrand in die Schule der feinsten pariser Lebensart gehn zu können, so würde ich mich bitter getäuscht haben. Alles was man uns als unanständig verwiesen und verboten hatte, das that der Fürst. Seinem rasenden Appetite legte er durchaus keinen Zwang an und verschlang was ihm vorkam; er griff mit der Hand in die Schüssel, und drehte eine eingemachte Pflaume in der Sauce herum, ehe er sie mit den dürren Fingern in die Mundhöhle beförderte. In den kurzen Pausen zwischen den Gerichten trug er die erklärteste Langeweile zur Schau; er sprach fast kein Wort, gähnte aber mehrmals mit einer Art von Geblök. Seine tiefe Baßstimme klang rauh und höchst unmelodisch, er konnte sie aber auch, wie ich später wahrnahm, zu einem recht einschmeichelnden Adagio abdämpfen.

Am Schlusse des Diners wurden die bekannten blauen Glasschalen zum Mundausspülen aufgesetzt; diese rührte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0423" n="415"/>
mit dem er die schöngeformte Hand der Herzogin küßte; das Kinn steckte fast bis zur Unterlippe in einer übermäßig weiten weißen Halsbinde, unter welcher ein gekniffter Jabot sichtbar ward; den Kopf bedeckte ein gewaltig hohes gepudertes Toupé mit zwei Taubenflügeln; dazu ein dunkelgrauer altmodischer Leibrock, graue Unterkleider, weißseidene Strümpfe und Schnallenschuhe. Diese Tracht war in Paris zwar nicht ganz veraltet, doch sah man die weißseidenen Strümpfe und die Schnallenschuhe nicht häufig auf der Straße. Zum Frühstücke und den ganzen Vormittag hindurch erschienen die jüngeren Leute im Gehrock, schwarzer Halsbinde, langen Beinkleidern und Stiefeln; zum Diner im Frack, weißer Halsbinde, langen Beinkleidern, schwarzseidnen Strümpfen und Schuhen. </p><lb/>
        <p>Hätte ich geglaubt, beim Fürsten Talleyrand in die Schule der feinsten pariser Lebensart gehn zu können, so würde ich mich bitter getäuscht haben. Alles was man uns als unanständig verwiesen und verboten hatte, das that der Fürst. Seinem rasenden Appetite legte er durchaus keinen Zwang an und verschlang was ihm vorkam; er griff mit der Hand in die Schüssel, und drehte eine eingemachte Pflaume in der Sauce herum, ehe er sie mit den dürren Fingern in die Mundhöhle beförderte. In den kurzen Pausen zwischen den Gerichten trug er die erklärteste Langeweile zur Schau; er sprach fast kein Wort, gähnte aber mehrmals mit einer Art von Geblök. Seine tiefe Baßstimme klang rauh und höchst unmelodisch, er konnte sie aber auch, wie ich später wahrnahm, zu einem recht einschmeichelnden Adagio abdämpfen. </p><lb/>
        <p>Am Schlusse des Diners wurden die bekannten blauen Glasschalen zum Mundausspülen aufgesetzt; diese rührte
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[415/0423] mit dem er die schöngeformte Hand der Herzogin küßte; das Kinn steckte fast bis zur Unterlippe in einer übermäßig weiten weißen Halsbinde, unter welcher ein gekniffter Jabot sichtbar ward; den Kopf bedeckte ein gewaltig hohes gepudertes Toupé mit zwei Taubenflügeln; dazu ein dunkelgrauer altmodischer Leibrock, graue Unterkleider, weißseidene Strümpfe und Schnallenschuhe. Diese Tracht war in Paris zwar nicht ganz veraltet, doch sah man die weißseidenen Strümpfe und die Schnallenschuhe nicht häufig auf der Straße. Zum Frühstücke und den ganzen Vormittag hindurch erschienen die jüngeren Leute im Gehrock, schwarzer Halsbinde, langen Beinkleidern und Stiefeln; zum Diner im Frack, weißer Halsbinde, langen Beinkleidern, schwarzseidnen Strümpfen und Schuhen. Hätte ich geglaubt, beim Fürsten Talleyrand in die Schule der feinsten pariser Lebensart gehn zu können, so würde ich mich bitter getäuscht haben. Alles was man uns als unanständig verwiesen und verboten hatte, das that der Fürst. Seinem rasenden Appetite legte er durchaus keinen Zwang an und verschlang was ihm vorkam; er griff mit der Hand in die Schüssel, und drehte eine eingemachte Pflaume in der Sauce herum, ehe er sie mit den dürren Fingern in die Mundhöhle beförderte. In den kurzen Pausen zwischen den Gerichten trug er die erklärteste Langeweile zur Schau; er sprach fast kein Wort, gähnte aber mehrmals mit einer Art von Geblök. Seine tiefe Baßstimme klang rauh und höchst unmelodisch, er konnte sie aber auch, wie ich später wahrnahm, zu einem recht einschmeichelnden Adagio abdämpfen. Am Schlusse des Diners wurden die bekannten blauen Glasschalen zum Mundausspülen aufgesetzt; diese rührte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/423
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 415. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/423>, abgerufen am 16.07.2024.