Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].zweckmäßig im Halbkreise mit aufsteigenden Bänken. Die Celli kamen in die obersten Reihen, wir hatten also den vollen Einblick in den dichtgedrängten, bis auf den letzten Platz besetzten Saal. Rodenstein, der zu den Tenorssängern hinabstieg, zeigte mir vorher den neben dem Kapellmeister stehenden Boucher, welcher beflissen war, sein napoleonisches Profil nach allen Seiten hin zu zeigen. Er stellte sich nachher als Contrabassist dicht hinter mich, und handhabte sein Rieseninstrument mit solcher Gewalt, daß mir oft Hören und Sehn verging. Anfänglich störte es mich sehr, von meinem eignen Tone nicht das mindeste zu vernehmen, allein bald gewöhnte ich mich daran, indem ich überlegte, daß es den andern ja auch so gehn müsse. Die Soli hatten eine sehr gute Besetzung, die Chöre gingen fest zusammen, die ganze Aufführung war eine gelungene zu nennen. Sie gab den Heidelbergern, welche schaarenweis hinüber geströmt waren, auf lange Zeit eine willkomne Unterhaltung. Julchen Hepp wußte sich nicht wenig damit, daß sie mich in der obersten Celloreihe gleich an meiner weißen Weste erkannt habe. Wenige Tage vor dem mannheimer Musikfeste ward in Heidelberg einer von jenen Studentenexcessen verübt, die mit fortschreitender Bildung der Universitäten immer seltener werden. Die Sache war nicht ganz Original, sondern die Kopie eines ähnlichen Ereignisses in Göttingen. Dort hatten die Studenten geglaubt, sich gegen einen misliebigen Bürger selbst Recht nehmen zu dürfen; sie hatten sein Haus zerstört, und einen Massenauszug aus der Stadt, eine secessio in montem sacrum veranstaltet. Dieses Beispiel weckte die Nacheiferung der heidelberger Brauseköpfe, zweckmäßig im Halbkreise mit aufsteigenden Bänken. Die Celli kamen in die obersten Reihen, wir hatten also den vollen Einblick in den dichtgedrängten, bis auf den letzten Platz besetzten Saal. Rodenstein, der zu den Tenorssängern hinabstieg, zeigte mir vorher den neben dem Kapellmeister stehenden Boucher, welcher beflissen war, sein napoleonisches Profil nach allen Seiten hin zu zeigen. Er stellte sich nachher als Contrabassist dicht hinter mich, und handhabte sein Rieseninstrument mit solcher Gewalt, daß mir oft Hören und Sehn verging. Anfänglich störte es mich sehr, von meinem eignen Tone nicht das mindeste zu vernehmen, allein bald gewöhnte ich mich daran, indem ich überlegte, daß es den andern ja auch so gehn müsse. Die Soli hatten eine sehr gute Besetzung, die Chöre gingen fest zusammen, die ganze Aufführung war eine gelungene zu nennen. Sie gab den Heidelbergern, welche schaarenweis hinüber geströmt waren, auf lange Zeit eine willkomne Unterhaltung. Julchen Hepp wußte sich nicht wenig damit, daß sie mich in der obersten Celloreihe gleich an meiner weißen Weste erkannt habe. Wenige Tage vor dem mannheimer Musikfeste ward in Heidelberg einer von jenen Studentenexcessen verübt, die mit fortschreitender Bildung der Universitäten immer seltener werden. Die Sache war nicht ganz Original, sondern die Kopie eines ähnlichen Ereignisses in Göttingen. Dort hatten die Studenten geglaubt, sich gegen einen misliebigen Bürger selbst Recht nehmen zu dürfen; sie hatten sein Haus zerstört, und einen Massenauszug aus der Stadt, eine secessio in montem sacrum veranstaltet. Dieses Beispiel weckte die Nacheiferung der heidelberger Brauseköpfe, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0382" n="374"/> zweckmäßig im Halbkreise mit aufsteigenden Bänken. Die Celli kamen in die obersten Reihen, wir hatten also den vollen Einblick in den dichtgedrängten, bis auf den letzten Platz besetzten Saal. Rodenstein, der zu den Tenorssängern hinabstieg, zeigte mir vorher den neben dem Kapellmeister stehenden Boucher, welcher beflissen war, sein napoleonisches Profil nach allen Seiten hin zu zeigen. Er stellte sich nachher als Contrabassist dicht hinter mich, und handhabte sein Rieseninstrument mit solcher Gewalt, daß mir oft Hören und Sehn verging. Anfänglich störte es mich sehr, von meinem eignen Tone nicht das mindeste zu vernehmen, allein bald gewöhnte ich mich daran, indem ich überlegte, daß es den andern ja auch so gehn müsse. Die Soli hatten eine sehr gute Besetzung, die Chöre gingen fest zusammen, die ganze Aufführung war eine gelungene zu nennen. Sie gab den Heidelbergern, welche schaarenweis hinüber geströmt waren, auf lange Zeit eine willkomne Unterhaltung. 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zweckmäßig im Halbkreise mit aufsteigenden Bänken. Die Celli kamen in die obersten Reihen, wir hatten also den vollen Einblick in den dichtgedrängten, bis auf den letzten Platz besetzten Saal. Rodenstein, der zu den Tenorssängern hinabstieg, zeigte mir vorher den neben dem Kapellmeister stehenden Boucher, welcher beflissen war, sein napoleonisches Profil nach allen Seiten hin zu zeigen. Er stellte sich nachher als Contrabassist dicht hinter mich, und handhabte sein Rieseninstrument mit solcher Gewalt, daß mir oft Hören und Sehn verging. Anfänglich störte es mich sehr, von meinem eignen Tone nicht das mindeste zu vernehmen, allein bald gewöhnte ich mich daran, indem ich überlegte, daß es den andern ja auch so gehn müsse. Die Soli hatten eine sehr gute Besetzung, die Chöre gingen fest zusammen, die ganze Aufführung war eine gelungene zu nennen. Sie gab den Heidelbergern, welche schaarenweis hinüber geströmt waren, auf lange Zeit eine willkomne Unterhaltung. Julchen Hepp wußte sich nicht wenig damit, daß sie mich in der obersten Celloreihe gleich an meiner weißen Weste erkannt habe.
Wenige Tage vor dem mannheimer Musikfeste ward in Heidelberg einer von jenen Studentenexcessen verübt, die mit fortschreitender Bildung der Universitäten immer seltener werden. Die Sache war nicht ganz Original, sondern die Kopie eines ähnlichen Ereignisses in Göttingen. Dort hatten die Studenten geglaubt, sich gegen einen misliebigen Bürger selbst Recht nehmen zu dürfen; sie hatten sein Haus zerstört, und einen Massenauszug aus der Stadt, eine secessio in montem sacrum veranstaltet. Dieses Beispiel weckte die Nacheiferung der heidelberger Brauseköpfe,
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