Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].Weise den großen Bruch des moralischen Weltalles, die ewige Dissonanz der Begebenheiten zu erklären. Aber die opponirenden Söhne des Lichtes waren nicht gleich besiegt: sie setzten sich tapfer zur Wehr, und es entspann sich ein hartnäckiger Streit gegen das unbedingte Primat, oder wenn man will, gegen die Secundogenitur Christi. Milton geht so weit, daß bei ihm die rebellischen Engel Kanonen verfertigen und damit kämpfen. Diese gewaltige Anticipation würde bei jedem andern Autor lächerlich erscheinen; bei Milton ist sie nicht lächerlich, weil sein Gedicht durchweg von der edelsten Gesinnung, von wärmster Begeisterung für seinen hohen Gegenstand getragen wird, und weil in letzter Instanz jeder Dichter aus sich selbst beurtheilt sein will. Nun ist die Erde mit dem Paradise und dem ersten Menschenpaare geschaffen, die beiden Bäume der Erkenntniß und des Lebens sind gepflanzt, aber Satan, der schlimmste der gefallenen Engel, schleicht sich, von Gott Vater unbemerkt, in den Garten Eden, verführt das Weib zum Bisse des Apfels, und das Paradis geht unwiederbringlich verloren. Durch diesen Antheil des Teufels am Sündenfalle wird die grandiose, unendlich schöne Simplicität der Erzählung in der Genesis bedeutend abgeschwächt, wo einfach der Ungehorsam der ersten Aeltern seine Strafe erhält. Die Menschen sind viel weniger schuldig, wenn der Satan den Sündenfall herbeiführt. Diese Verführung wird jedoch von Gott mit gutem Vorbedacht zugelassen, damit er später seinen eingeborenen Sohn als Sühnopfer hingeben könne. Es wollte uns scheinen, als ob diese ganz anthropomorphische Zurechtlegung der christlichen Mythologeme Weise den großen Bruch des moralischen Weltalles, die ewige Dissonanz der Begebenheiten zu erklären. Aber die opponirenden Söhne des Lichtes waren nicht gleich besiegt: sie setzten sich tapfer zur Wehr, und es entspann sich ein hartnäckiger Streit gegen das unbedingte Primat, oder wenn man will, gegen die Secundogenitur Christi. Milton geht so weit, daß bei ihm die rebellischen Engel Kanonen verfertigen und damit kämpfen. Diese gewaltige Anticipation würde bei jedem andern Autor lächerlich erscheinen; bei Milton ist sie nicht lächerlich, weil sein Gedicht durchweg von der edelsten Gesinnung, von wärmster Begeisterung für seinen hohen Gegenstand getragen wird, und weil in letzter Instanz jeder Dichter aus sich selbst beurtheilt sein will. Nun ist die Erde mit dem Paradise und dem ersten Menschenpaare geschaffen, die beiden Bäume der Erkenntniß und des Lebens sind gepflanzt, aber Satan, der schlimmste der gefallenen Engel, schleicht sich, von Gott Vater unbemerkt, in den Garten Eden, verführt das Weib zum Bisse des Apfels, und das Paradis geht unwiederbringlich verloren. Durch diesen Antheil des Teufels am Sündenfalle wird die grandiose, unendlich schöne Simplicität der Erzählung in der Genesis bedeutend abgeschwächt, wo einfach der Ungehorsam der ersten Aeltern seine Strafe erhält. Die Menschen sind viel weniger schuldig, wenn der Satan den Sündenfall herbeiführt. Diese Verführung wird jedoch von Gott mit gutem Vorbedacht zugelassen, damit er später seinen eingeborenen Sohn als Sühnopfer hingeben könne. Es wollte uns scheinen, als ob diese ganz anthropomorphische Zurechtlegung der christlichen Mythologeme <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0375" n="367"/> Weise den großen Bruch des moralischen Weltalles, die ewige Dissonanz der Begebenheiten zu erklären. </p><lb/> <p>Aber die opponirenden Söhne des Lichtes waren nicht gleich besiegt: sie setzten sich tapfer zur Wehr, und es entspann sich ein hartnäckiger Streit gegen das unbedingte Primat, oder wenn man will, gegen die Secundogenitur Christi. 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Weise den großen Bruch des moralischen Weltalles, die ewige Dissonanz der Begebenheiten zu erklären.
Aber die opponirenden Söhne des Lichtes waren nicht gleich besiegt: sie setzten sich tapfer zur Wehr, und es entspann sich ein hartnäckiger Streit gegen das unbedingte Primat, oder wenn man will, gegen die Secundogenitur Christi. Milton geht so weit, daß bei ihm die rebellischen Engel Kanonen verfertigen und damit kämpfen. Diese gewaltige Anticipation würde bei jedem andern Autor lächerlich erscheinen; bei Milton ist sie nicht lächerlich, weil sein Gedicht durchweg von der edelsten Gesinnung, von wärmster Begeisterung für seinen hohen Gegenstand getragen wird, und weil in letzter Instanz jeder Dichter aus sich selbst beurtheilt sein will.
Nun ist die Erde mit dem Paradise und dem ersten Menschenpaare geschaffen, die beiden Bäume der Erkenntniß und des Lebens sind gepflanzt, aber Satan, der schlimmste der gefallenen Engel, schleicht sich, von Gott Vater unbemerkt, in den Garten Eden, verführt das Weib zum Bisse des Apfels, und das Paradis geht unwiederbringlich verloren.
Durch diesen Antheil des Teufels am Sündenfalle wird die grandiose, unendlich schöne Simplicität der Erzählung in der Genesis bedeutend abgeschwächt, wo einfach der Ungehorsam der ersten Aeltern seine Strafe erhält. Die Menschen sind viel weniger schuldig, wenn der Satan den Sündenfall herbeiführt. Diese Verführung wird jedoch von Gott mit gutem Vorbedacht zugelassen, damit er später seinen eingeborenen Sohn als Sühnopfer hingeben könne.
Es wollte uns scheinen, als ob diese ganz anthropomorphische Zurechtlegung der christlichen Mythologeme
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 367. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/375>, abgerufen am 18.07.2024. |