Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].setzte; was würde er jetzt sagen, wenn er die breiten Fahrwege, das elegante Etablissement mit rauschender Musik, mit sauber frisirten Kellnern, silberbeschlagenen Bierseideln, vornehmen Weinetiketten und entsprechenden Preisen von einer wogenden Menschenmenge belebt sähe? Seine Trauer mochte ihren Grund darin haben, daß er bei seinem zweiten Besuche manches einsame Plätzchen vermißte, das ihn das erste Mal in süße Melancholie versenkt, aber die Welt steht nicht still; das Bedürfniß oder die Laune der fortschreitenden Gegenwart verändern ohne Unterlaß das Alte, manchmal zum schlimmeren, öfter zum besseren; die Modernisirung des heidelberger Schlosses konnte Tieck wohl im Interesse der absterbenden Romantik bedauern; sie ließ sich eben so wenig aufhalten, als die Verdrängung der gemüthlichen langsamen Hauderer durch die Eilwagen, oder die Vernichtung der Extraposten durch die Eisenbahnen. Eines Nachmittags begegneten wir Creuzern oben auf dem Schlosse, und begleiteten ihn durch ein paar Gänge. Er hielt ein Blatt des wunderbaren chinesischen oder japanischen Baumes Gingko biloba in der Hand, von dem ein Stämmchen im Schloßgarten steht. Dabei theilte er uns mit, er habe, als Göthe 1815 Heidelberg besuchte, mit diesem bei einem Spaziergange im Schlosse, ein langes und interessantes Gespräch über die symbolische Deutung und Sinnigkeit der hellenischen mythologischen Personen und Erzählungen geführt; er habe versucht Göthen auseinander zu setzen, wie jede hellenische Gestalt doppelt anzusehn sei, weil hinter der bloßen Realität ein höheres Symbol verborgen liege. Die einfachen Fälle seien bekannt genug: Ares als Kriegsgott bedeute auch den setzte; was würde er jetzt sagen, wenn er die breiten Fahrwege, das elegante Etablissement mit rauschender Musik, mit sauber frisirten Kellnern, silberbeschlagenen Bierseideln, vornehmen Weinetiketten und entsprechenden Preisen von einer wogenden Menschenmenge belebt sähe? Seine Trauer mochte ihren Grund darin haben, daß er bei seinem zweiten Besuche manches einsame Plätzchen vermißte, das ihn das erste Mal in süße Melancholie versenkt, aber die Welt steht nicht still; das Bedürfniß oder die Laune der fortschreitenden Gegenwart verändern ohne Unterlaß das Alte, manchmal zum schlimmeren, öfter zum besseren; die Modernisirung des heidelberger Schlosses konnte Tieck wohl im Interesse der absterbenden Romantik bedauern; sie ließ sich eben so wenig aufhalten, als die Verdrängung der gemüthlichen langsamen Hauderer durch die Eilwagen, oder die Vernichtung der Extraposten durch die Eisenbahnen. Eines Nachmittags begegneten wir Creuzern oben auf dem Schlosse, und begleiteten ihn durch ein paar Gänge. Er hielt ein Blatt des wunderbaren chinesischen oder japanischen Baumes Gingko biloba in der Hand, von dem ein Stämmchen im Schloßgarten steht. Dabei theilte er uns mit, er habe, als Göthe 1815 Heidelberg besuchte, mit diesem bei einem Spaziergange im Schlosse, ein langes und interessantes Gespräch über die symbolische Deutung und Sinnigkeit der hellenischen mythologischen Personen und Erzählungen geführt; er habe versucht Göthen auseinander zu setzen, wie jede hellenische Gestalt doppelt anzusehn sei, weil hinter der bloßen Realität ein höheres Symbol verborgen liege. Die einfachen Fälle seien bekannt genug: Ares als Kriegsgott bedeute auch den <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0370" n="362"/> setzte; was würde er jetzt sagen, wenn er die breiten Fahrwege, das elegante Etablissement mit rauschender Musik, mit sauber frisirten Kellnern, silberbeschlagenen Bierseideln, vornehmen Weinetiketten und entsprechenden Preisen von einer wogenden Menschenmenge belebt sähe? Seine Trauer mochte ihren Grund darin haben, daß er bei seinem zweiten Besuche manches einsame Plätzchen vermißte, das ihn das erste Mal in süße Melancholie versenkt, aber die Welt steht nicht still; das Bedürfniß oder die Laune der fortschreitenden Gegenwart verändern ohne Unterlaß das Alte, manchmal zum schlimmeren, öfter zum besseren; die Modernisirung des heidelberger Schlosses konnte Tieck wohl im Interesse der absterbenden Romantik bedauern; sie ließ sich eben so wenig aufhalten, als die Verdrängung der gemüthlichen langsamen Hauderer durch die Eilwagen, oder die Vernichtung der Extraposten durch die Eisenbahnen. </p><lb/> <p>Eines Nachmittags begegneten wir Creuzern oben auf dem Schlosse, und begleiteten ihn durch ein paar Gänge. Er hielt ein Blatt des wunderbaren chinesischen oder japanischen Baumes Gingko biloba in der Hand, von dem ein Stämmchen im Schloßgarten steht. Dabei theilte er uns mit, er habe, als Göthe 1815 Heidelberg besuchte, mit diesem bei einem Spaziergange im Schlosse, ein langes und interessantes Gespräch über die symbolische Deutung und Sinnigkeit der hellenischen mythologischen Personen und Erzählungen geführt; er habe versucht Göthen auseinander zu setzen, wie jede hellenische Gestalt doppelt anzusehn sei, weil hinter der bloßen Realität ein höheres Symbol verborgen liege. Die einfachen Fälle seien bekannt genug: Ares als Kriegsgott bedeute auch den </p> </div> </body> </text> </TEI> [362/0370]
setzte; was würde er jetzt sagen, wenn er die breiten Fahrwege, das elegante Etablissement mit rauschender Musik, mit sauber frisirten Kellnern, silberbeschlagenen Bierseideln, vornehmen Weinetiketten und entsprechenden Preisen von einer wogenden Menschenmenge belebt sähe? Seine Trauer mochte ihren Grund darin haben, daß er bei seinem zweiten Besuche manches einsame Plätzchen vermißte, das ihn das erste Mal in süße Melancholie versenkt, aber die Welt steht nicht still; das Bedürfniß oder die Laune der fortschreitenden Gegenwart verändern ohne Unterlaß das Alte, manchmal zum schlimmeren, öfter zum besseren; die Modernisirung des heidelberger Schlosses konnte Tieck wohl im Interesse der absterbenden Romantik bedauern; sie ließ sich eben so wenig aufhalten, als die Verdrängung der gemüthlichen langsamen Hauderer durch die Eilwagen, oder die Vernichtung der Extraposten durch die Eisenbahnen.
Eines Nachmittags begegneten wir Creuzern oben auf dem Schlosse, und begleiteten ihn durch ein paar Gänge. Er hielt ein Blatt des wunderbaren chinesischen oder japanischen Baumes Gingko biloba in der Hand, von dem ein Stämmchen im Schloßgarten steht. Dabei theilte er uns mit, er habe, als Göthe 1815 Heidelberg besuchte, mit diesem bei einem Spaziergange im Schlosse, ein langes und interessantes Gespräch über die symbolische Deutung und Sinnigkeit der hellenischen mythologischen Personen und Erzählungen geführt; er habe versucht Göthen auseinander zu setzen, wie jede hellenische Gestalt doppelt anzusehn sei, weil hinter der bloßen Realität ein höheres Symbol verborgen liege. Die einfachen Fälle seien bekannt genug: Ares als Kriegsgott bedeute auch den
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