Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].Paul malte ihm aus, welch ein Glück es sein müsse, selbst im Besitze einer solchen Kostbarkeit zu sein, und fragte, was wohl geschehn könne, wenn die Handschrift durch die Unvorsichtigkeit des Bibliothekars verloren ginge? Dann, rief Rost ganz außer sich, müßte Schlosser die Flucht ergreifen! Meine Vorliebe für das italiänische veranlaßte mich, bald nach unsrer Ankunft in Heidelberg eine italiänische Gesellschaft zu stiften, an der ein Dr. Wagner, der Erzieher eines jungen Grafen von Larosee aus München, und ein Student, Namens Chandeau, Theil nahmen. Wir warfen uns wieder auf den Dante, von dem die Universitäts-Bibliothek mehrere gute Ausgaben bereitwillig hergab. Dr. Wagner, seines Zeichens ein Philologe, hatte einen offnen Sinn für die Schönheiten des Dichters, in deren Bewunderung wir uns oft begegneten. In einem andern Punkte gingen wir auseinander. Er verfocht die, von manchen italiänischen Kritikern aufgestellte Ansicht: Dante habe sein ganzes Gedicht nur zur Verherrlichung seiner Freunde und zur Schmach seiner Feinde verfaßt, alles übrige sei Beiwerk. Dies mochte ich in dem von ihm behaupteten Umfange nicht zugeben, räumte vielmehr dem katholischen Dogmatismus und dem religiösen Mysticismus eine bedeutende Stelle ein. Paul meinte, der Geschmack an der Mystik sei ihm durch Zacharias Werner gründlich verdorben, er lese den Dante nur, um italiänisch zu lernen. Chandeau verhielt sich bei diesen Kontestationen ganz passiv; es wollte sich kein recht trauliches Verhältniß zu ihm herstellen. Dies italiänische Lesen verschaffte uns eine andre Beschäftigung, die manchen langen Winterabend angenehm Paul malte ihm aus, welch ein Glück es sein müsse, selbst im Besitze einer solchen Kostbarkeit zu sein, und fragte, was wohl geschehn könne, wenn die Handschrift durch die Unvorsichtigkeit des Bibliothekars verloren ginge? Dann, rief Rost ganz außer sich, müßte Schlosser die Flucht ergreifen! Meine Vorliebe für das italiänische veranlaßte mich, bald nach unsrer Ankunft in Heidelberg eine italiänische Gesellschaft zu stiften, an der ein Dr. Wagner, der Erzieher eines jungen Grafen von Larosee aus München, und ein Student, Namens Chandeau, Theil nahmen. Wir warfen uns wieder auf den Dante, von dem die Universitäts-Bibliothek mehrere gute Ausgaben bereitwillig hergab. Dr. Wagner, seines Zeichens ein Philologe, hatte einen offnen Sinn für die Schönheiten des Dichters, in deren Bewunderung wir uns oft begegneten. In einem andern Punkte gingen wir auseinander. Er verfocht die, von manchen italiänischen Kritikern aufgestellte Ansicht: Dante habe sein ganzes Gedicht nur zur Verherrlichung seiner Freunde und zur Schmach seiner Feinde verfaßt, alles übrige sei Beiwerk. Dies mochte ich in dem von ihm behaupteten Umfange nicht zugeben, räumte vielmehr dem katholischen Dogmatismus und dem religiösen Mysticismus eine bedeutende Stelle ein. Paul meinte, der Geschmack an der Mystik sei ihm durch Zacharias Werner gründlich verdorben, er lese den Dante nur, um italiänisch zu lernen. Chandeau verhielt sich bei diesen Kontestationen ganz passiv; es wollte sich kein recht trauliches Verhältniß zu ihm herstellen. Dies italiänische Lesen verschaffte uns eine andre Beschäftigung, die manchen langen Winterabend angenehm <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0340" n="332"/> Paul malte ihm aus, welch ein Glück es sein müsse, selbst im Besitze einer solchen Kostbarkeit zu sein, und fragte, was wohl geschehn könne, wenn die Handschrift durch die Unvorsichtigkeit des Bibliothekars verloren ginge? 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Dies mochte ich in dem von ihm behaupteten Umfange nicht zugeben, räumte vielmehr dem katholischen Dogmatismus und dem religiösen Mysticismus eine bedeutende Stelle ein. Paul meinte, der Geschmack an der Mystik sei ihm durch Zacharias Werner gründlich verdorben, er lese den Dante nur, um italiänisch zu lernen. Chandeau verhielt sich bei diesen Kontestationen ganz passiv; es wollte sich kein recht trauliches Verhältniß zu ihm herstellen. </p><lb/> <p>Dies italiänische Lesen verschaffte uns eine andre Beschäftigung, die manchen langen Winterabend angenehm </p> </div> </body> </text> </TEI> [332/0340]
Paul malte ihm aus, welch ein Glück es sein müsse, selbst im Besitze einer solchen Kostbarkeit zu sein, und fragte, was wohl geschehn könne, wenn die Handschrift durch die Unvorsichtigkeit des Bibliothekars verloren ginge? Dann, rief Rost ganz außer sich, müßte Schlosser die Flucht ergreifen!
Meine Vorliebe für das italiänische veranlaßte mich, bald nach unsrer Ankunft in Heidelberg eine italiänische Gesellschaft zu stiften, an der ein Dr. Wagner, der Erzieher eines jungen Grafen von Larosee aus München, und ein Student, Namens Chandeau, Theil nahmen. Wir warfen uns wieder auf den Dante, von dem die Universitäts-Bibliothek mehrere gute Ausgaben bereitwillig hergab. Dr. Wagner, seines Zeichens ein Philologe, hatte einen offnen Sinn für die Schönheiten des Dichters, in deren Bewunderung wir uns oft begegneten. In einem andern Punkte gingen wir auseinander. Er verfocht die, von manchen italiänischen Kritikern aufgestellte Ansicht: Dante habe sein ganzes Gedicht nur zur Verherrlichung seiner Freunde und zur Schmach seiner Feinde verfaßt, alles übrige sei Beiwerk. Dies mochte ich in dem von ihm behaupteten Umfange nicht zugeben, räumte vielmehr dem katholischen Dogmatismus und dem religiösen Mysticismus eine bedeutende Stelle ein. Paul meinte, der Geschmack an der Mystik sei ihm durch Zacharias Werner gründlich verdorben, er lese den Dante nur, um italiänisch zu lernen. Chandeau verhielt sich bei diesen Kontestationen ganz passiv; es wollte sich kein recht trauliches Verhältniß zu ihm herstellen.
Dies italiänische Lesen verschaffte uns eine andre Beschäftigung, die manchen langen Winterabend angenehm
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/340>, abgerufen am 27.07.2024. |