Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].herum, verzehrte sein Mittagbrodt und kehrte gleich wieder zur Arbeit zurück. Da wir zu Schlossers gründlichem Wissen ein ganz besonderes Vertrauen gefaßt, so baten wir ihn, mit uns in einem Privatissimum den Thucydides zu lesen. Dies lehnte er zu unserem Leidwesen ab, weil er eben mit der Vollendung eines historischen Werkes beschäftigt sei, wies uns aber an einen Magister Rost, der den Thucydides zu seinem Specialstudium gemacht. Bei diesem kam denn auch das Privatissimum zu Stande, entsprach aber keineswegs unseren Erwartungen. Magister Rost war das kläglichste Bild eines körperlich und geistig verkommenen deutschen Gelehrten. Klein von Gestalt, unschön von Antlitz, schwer von Sprache, ungeschickt im Betragen, dürftig im Anzuge, war er auf seiner Lebensfahrt in Heidelberg gestrandet, und lebte hier in den ärmlichsten Verhältnissen, nachdem er einige Male vergeblich versucht, in reichen Häusern als Informator fortzukommen. Er war in Heidelberg eine allbekannte komische Person, und der satirische Hofrath Nägele wußte die allerabentheuerlichsten Geschichten von ihm zu erzählen, die aber alle sich nicht gut schriftlich wiedergeben lassen. Seinen Lieblingschriftsteller Thucydides kannte Rost ganz gut den Worten nach, aber um den historischen Zusammenhang der Begebenheiten und um das Verhältniß zu anderen Autoren hatte er sich nie bekümmert. Auf Diskussionen ließ er sich nicht ein, sondern blieb steif bei seiner Meinung. Er sprach altgriechisch nicht ohne Geläufigkeit, insofern seine schwere Zunge ihm dies gestattete, und wollte auch den Thucydides griechisch interpretiren. Dagegen lehnten wir uns aber auf, und baten, er möge nur lateinisch sprechen. herum, verzehrte sein Mittagbrodt und kehrte gleich wieder zur Arbeit zurück. Da wir zu Schlossers gründlichem Wissen ein ganz besonderes Vertrauen gefaßt, so baten wir ihn, mit uns in einem Privatissimum den Thucydides zu lesen. Dies lehnte er zu unserem Leidwesen ab, weil er eben mit der Vollendung eines historischen Werkes beschäftigt sei, wies uns aber an einen Magister Rost, der den Thucydides zu seinem Specialstudium gemacht. Bei diesem kam denn auch das Privatissimum zu Stande, entsprach aber keineswegs unseren Erwartungen. Magister Rost war das kläglichste Bild eines körperlich und geistig verkommenen deutschen Gelehrten. Klein von Gestalt, unschön von Antlitz, schwer von Sprache, ungeschickt im Betragen, dürftig im Anzuge, war er auf seiner Lebensfahrt in Heidelberg gestrandet, und lebte hier in den ärmlichsten Verhältnissen, nachdem er einige Male vergeblich versucht, in reichen Häusern als Informator fortzukommen. Er war in Heidelberg eine allbekannte komische Person, und der satirische Hofrath Nägele wußte die allerabentheuerlichsten Geschichten von ihm zu erzählen, die aber alle sich nicht gut schriftlich wiedergeben lassen. Seinen Lieblingschriftsteller Thucydides kannte Rost ganz gut den Worten nach, aber um den historischen Zusammenhang der Begebenheiten und um das Verhältniß zu anderen Autoren hatte er sich nie bekümmert. Auf Diskussionen ließ er sich nicht ein, sondern blieb steif bei seiner Meinung. Er sprach altgriechisch nicht ohne Geläufigkeit, insofern seine schwere Zunge ihm dies gestattete, und wollte auch den Thucydides griechisch interpretiren. Dagegen lehnten wir uns aber auf, und baten, er möge nur lateinisch sprechen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0338" n="330"/> herum, verzehrte sein Mittagbrodt und kehrte gleich wieder zur Arbeit zurück. </p><lb/> <p>Da wir zu Schlossers gründlichem Wissen ein ganz besonderes Vertrauen gefaßt, so baten wir ihn, mit uns in einem Privatissimum den Thucydides zu lesen. 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Seinen Lieblingschriftsteller Thucydides kannte Rost ganz gut den Worten nach, aber um den historischen Zusammenhang der Begebenheiten und um das Verhältniß zu anderen Autoren hatte er sich nie bekümmert. Auf Diskussionen ließ er sich nicht ein, sondern blieb steif bei seiner Meinung. Er sprach altgriechisch nicht ohne Geläufigkeit, insofern seine schwere Zunge ihm dies gestattete, und wollte auch den Thucydides griechisch interpretiren. Dagegen lehnten wir uns aber auf, und baten, er möge nur lateinisch sprechen. </p> </div> </body> </text> </TEI> [330/0338]
herum, verzehrte sein Mittagbrodt und kehrte gleich wieder zur Arbeit zurück.
Da wir zu Schlossers gründlichem Wissen ein ganz besonderes Vertrauen gefaßt, so baten wir ihn, mit uns in einem Privatissimum den Thucydides zu lesen. Dies lehnte er zu unserem Leidwesen ab, weil er eben mit der Vollendung eines historischen Werkes beschäftigt sei, wies uns aber an einen Magister Rost, der den Thucydides zu seinem Specialstudium gemacht. Bei diesem kam denn auch das Privatissimum zu Stande, entsprach aber keineswegs unseren Erwartungen.
Magister Rost war das kläglichste Bild eines körperlich und geistig verkommenen deutschen Gelehrten. Klein von Gestalt, unschön von Antlitz, schwer von Sprache, ungeschickt im Betragen, dürftig im Anzuge, war er auf seiner Lebensfahrt in Heidelberg gestrandet, und lebte hier in den ärmlichsten Verhältnissen, nachdem er einige Male vergeblich versucht, in reichen Häusern als Informator fortzukommen. Er war in Heidelberg eine allbekannte komische Person, und der satirische Hofrath Nägele wußte die allerabentheuerlichsten Geschichten von ihm zu erzählen, die aber alle sich nicht gut schriftlich wiedergeben lassen. Seinen Lieblingschriftsteller Thucydides kannte Rost ganz gut den Worten nach, aber um den historischen Zusammenhang der Begebenheiten und um das Verhältniß zu anderen Autoren hatte er sich nie bekümmert. Auf Diskussionen ließ er sich nicht ein, sondern blieb steif bei seiner Meinung. Er sprach altgriechisch nicht ohne Geläufigkeit, insofern seine schwere Zunge ihm dies gestattete, und wollte auch den Thucydides griechisch interpretiren. Dagegen lehnten wir uns aber auf, und baten, er möge nur lateinisch sprechen.
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