Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].liebenswürdigsten Laune, sie umarmte und küßte ihn zu widerholten Malen, erinnerte ihn, wie streng er früher gegen sie gewesen, daß er ihr nicht erlaubt, sich in Kartoffeln ganz satt zu essen, und schmeichelte ihm auf alle Weise. Er nahm dies alles mit lächelndem Humor auf, wußte ihre Angriffe mit heiterem Ernste abzuschlagen, und bewahrte in allen Stücken seine ruhige Superiorität. Ein geistreicher Scherz folgte dem andern, und niemand von uns dachte an diesen Abenden daran, nach Tiedges stillem Stübchen hinüberzuschleichen. Die Wohnung in unserem Hause hatte neben vielen Annehmlichkeiten für Frau von der Recke auch manches unbequeme. Die zwei Treppen wurden ihr sauer, da sie anfing, an asthmatischen Beschwerden zu leiden. Durch eine Grille des Baumeisters war der Mittelsaal der unteren Wohnung im ersten Stocke höher gemacht, als die Nebenzimmer; es mußten also im zweiten Stocke die Nebenzimmer durch zwei Stufen mit den Mittelräumen verbunden werden. Dies erregte vielfaches Ungemach, und war besonders für Tiedges Klumpfuß sehr beschwerlich. Als daher eine bequeme Parterrewohnung im kurländischen Hause unter den Linden frei wurde, nahm Frau von der Recke den Vorschlag ihrer jüngsten Nichte, der Prinzessin Dorothea, sehr gern an, diese Wohnung im Herbste 1815 zu beziehn. Hier im elegantesten und vornehmsten Theile der Stadt wurden die Abendgesellschaften bei Frau von der Recke der Vereinigungspunkt aller derer, die auf feinere Bildung Anspruch machten. Einheimische und Fremde aus allen Ständen strömten in solcher Menge herbei, daß man zuweilen in den geräumigen Zimmern sich kaum bewegen konnte. liebenswürdigsten Laune, sie umarmte und küßte ihn zu widerholten Malen, erinnerte ihn, wie streng er früher gegen sie gewesen, daß er ihr nicht erlaubt, sich in Kartoffeln ganz satt zu essen, und schmeichelte ihm auf alle Weise. Er nahm dies alles mit lächelndem Humor auf, wußte ihre Angriffe mit heiterem Ernste abzuschlagen, und bewahrte in allen Stücken seine ruhige Superiorität. Ein geistreicher Scherz folgte dem andern, und niemand von uns dachte an diesen Abenden daran, nach Tiedges stillem Stübchen hinüberzuschleichen. Die Wohnung in unserem Hause hatte neben vielen Annehmlichkeiten für Frau von der Recke auch manches unbequeme. Die zwei Treppen wurden ihr sauer, da sie anfing, an asthmatischen Beschwerden zu leiden. Durch eine Grille des Baumeisters war der Mittelsaal der unteren Wohnung im ersten Stocke höher gemacht, als die Nebenzimmer; es mußten also im zweiten Stocke die Nebenzimmer durch zwei Stufen mit den Mittelräumen verbunden werden. Dies erregte vielfaches Ungemach, und war besonders für Tiedges Klumpfuß sehr beschwerlich. Als daher eine bequeme Parterrewohnung im kurländischen Hause unter den Linden frei wurde, nahm Frau von der Recke den Vorschlag ihrer jüngsten Nichte, der Prinzessin Dorothea, sehr gern an, diese Wohnung im Herbste 1815 zu beziehn. Hier im elegantesten und vornehmsten Theile der Stadt wurden die Abendgesellschaften bei Frau von der Recke der Vereinigungspunkt aller derer, die auf feinere Bildung Anspruch machten. Einheimische und Fremde aus allen Ständen strömten in solcher Menge herbei, daß man zuweilen in den geräumigen Zimmern sich kaum bewegen konnte. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0029" n="21"/> liebenswürdigsten Laune, sie umarmte und küßte ihn zu widerholten Malen, erinnerte ihn, wie streng er früher gegen sie gewesen, daß er ihr nicht erlaubt, sich in Kartoffeln ganz satt zu essen, und schmeichelte ihm auf alle Weise. Er nahm dies alles mit lächelndem Humor auf, wußte ihre Angriffe mit heiterem Ernste abzuschlagen, und bewahrte in allen Stücken seine ruhige Superiorität. Ein geistreicher Scherz folgte dem andern, und niemand von uns dachte an diesen Abenden daran, nach Tiedges stillem Stübchen hinüberzuschleichen. </p><lb/> <p>Die Wohnung in unserem Hause hatte neben vielen Annehmlichkeiten für Frau von der Recke auch manches unbequeme. Die zwei Treppen wurden ihr sauer, da sie anfing, an asthmatischen Beschwerden zu leiden. Durch eine Grille des Baumeisters war der Mittelsaal der unteren Wohnung im ersten Stocke höher gemacht, als die Nebenzimmer; es mußten also im zweiten Stocke die Nebenzimmer durch zwei Stufen mit den Mittelräumen verbunden werden. Dies erregte vielfaches Ungemach, und war besonders für Tiedges Klumpfuß sehr beschwerlich. Als daher eine bequeme Parterrewohnung im kurländischen Hause unter den Linden frei wurde, nahm Frau von der Recke den Vorschlag ihrer jüngsten Nichte, der Prinzessin Dorothea, sehr gern an, diese Wohnung im Herbste 1815 zu beziehn. </p><lb/> <p>Hier im elegantesten und vornehmsten Theile der Stadt wurden die Abendgesellschaften bei Frau von der Recke der Vereinigungspunkt aller derer, die auf feinere Bildung Anspruch machten. Einheimische und Fremde aus allen Ständen strömten in solcher Menge herbei, daß man zuweilen in den geräumigen Zimmern sich kaum bewegen konnte. </p> </div> </body> </text> </TEI> [21/0029]
liebenswürdigsten Laune, sie umarmte und küßte ihn zu widerholten Malen, erinnerte ihn, wie streng er früher gegen sie gewesen, daß er ihr nicht erlaubt, sich in Kartoffeln ganz satt zu essen, und schmeichelte ihm auf alle Weise. Er nahm dies alles mit lächelndem Humor auf, wußte ihre Angriffe mit heiterem Ernste abzuschlagen, und bewahrte in allen Stücken seine ruhige Superiorität. Ein geistreicher Scherz folgte dem andern, und niemand von uns dachte an diesen Abenden daran, nach Tiedges stillem Stübchen hinüberzuschleichen.
Die Wohnung in unserem Hause hatte neben vielen Annehmlichkeiten für Frau von der Recke auch manches unbequeme. Die zwei Treppen wurden ihr sauer, da sie anfing, an asthmatischen Beschwerden zu leiden. Durch eine Grille des Baumeisters war der Mittelsaal der unteren Wohnung im ersten Stocke höher gemacht, als die Nebenzimmer; es mußten also im zweiten Stocke die Nebenzimmer durch zwei Stufen mit den Mittelräumen verbunden werden. Dies erregte vielfaches Ungemach, und war besonders für Tiedges Klumpfuß sehr beschwerlich. Als daher eine bequeme Parterrewohnung im kurländischen Hause unter den Linden frei wurde, nahm Frau von der Recke den Vorschlag ihrer jüngsten Nichte, der Prinzessin Dorothea, sehr gern an, diese Wohnung im Herbste 1815 zu beziehn.
Hier im elegantesten und vornehmsten Theile der Stadt wurden die Abendgesellschaften bei Frau von der Recke der Vereinigungspunkt aller derer, die auf feinere Bildung Anspruch machten. Einheimische und Fremde aus allen Ständen strömten in solcher Menge herbei, daß man zuweilen in den geräumigen Zimmern sich kaum bewegen konnte.
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/29>, abgerufen am 16.02.2025. |