Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].kurz beseitigt, alle einzelnen Fälle unter die allgemeine Regel mit bindender Nothwendigkeit subsummirt. Bei Schleiermacher erhielten wir kein festes System, sondern er ließ uns den Prozeß des Geistes zur Annäherung an die Wahrheit durchmachen; die Einwürfe wurden in der verschiedensten, dialektischen Beleuchtung betrachtet, die Mannigfaltigkeit der Erscheinungen bekam durch den Hinweis auf eine einheitliche Weltregierung einen mehr idealen als formalen Abschluß. Es war mehr ein Philosophiren, als eine Philosophie, und diese Art paßte ganz naturgemäß für den Uebersetzer des Plato. Die Verschiedenheit Schleiermachers und Savignys zeigte sich auch in ihrem äußeren Gebahren als Universitätslehrer. Beide hatten damals fast die besuchtesten Kollegia, an beide wurden von unbemittelten Studenten sehr oft Bitten um Nachlaß des Honorars gerichtet. Schleiermacher war von Herzen geneigt, diesen Bitten zu willfahren, allein bei gänzlicher Freigebung würde der Ausfall an seiner Einnahme ein sehr empfindlicher geworden sein. Er kam daher auf den guten Einfall, die Honorare zu stunden, d. h. erst dann Bezahlung zu verlangen, wenn der Student durch eine auskömmliche Stelle in den Stand gesetzt werde, Zahlung zu leisten. Diese wohlthätige Einrichtung, von Schleiermacher zuerst privatim in Gang gebracht, wurde bald allgemein angenommen. Seit Erfindung der Eisenbahnen bildet die nach den entferntesten Ländern geführte amtliche Korrespondenz zur Eintreibung der gestundeten Honorare einen sehr ausgedehnten Geschäftszweig der akademischen Quästur, und gewährt den Docenten eine oft verspätete, aber doch recht ansehnliche Vergütung für ihre Arbeit. Savigny beharrte mit uner- kurz beseitigt, alle einzelnen Fälle unter die allgemeine Regel mit bindender Nothwendigkeit subsummirt. Bei Schleiermacher erhielten wir kein festes System, sondern er ließ uns den Prozeß des Geistes zur Annäherung an die Wahrheit durchmachen; die Einwürfe wurden in der verschiedensten, dialektischen Beleuchtung betrachtet, die Mannigfaltigkeit der Erscheinungen bekam durch den Hinweis auf eine einheitliche Weltregierung einen mehr idealen als formalen Abschluß. Es war mehr ein Philosophiren, als eine Philosophie, und diese Art paßte ganz naturgemäß für den Uebersetzer des Plato. Die Verschiedenheit Schleiermachers und Savignys zeigte sich auch in ihrem äußeren Gebahren als Universitätslehrer. Beide hatten damals fast die besuchtesten Kollegia, an beide wurden von unbemittelten Studenten sehr oft Bitten um Nachlaß des Honorars gerichtet. Schleiermacher war von Herzen geneigt, diesen Bitten zu willfahren, allein bei gänzlicher Freigebung würde der Ausfall an seiner Einnahme ein sehr empfindlicher geworden sein. Er kam daher auf den guten Einfall, die Honorare zu stunden, d. h. erst dann Bezahlung zu verlangen, wenn der Student durch eine auskömmliche Stelle in den Stand gesetzt werde, Zahlung zu leisten. Diese wohlthätige Einrichtung, von Schleiermacher zuerst privatim in Gang gebracht, wurde bald allgemein angenommen. Seit Erfindung der Eisenbahnen bildet die nach den entferntesten Ländern geführte amtliche Korrespondenz zur Eintreibung der gestundeten Honorare einen sehr ausgedehnten Geschäftszweig der akademischen Quästur, und gewährt den Docenten eine oft verspätete, aber doch recht ansehnliche Vergütung für ihre Arbeit. Savigny beharrte mit uner- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0245" n="237"/> kurz beseitigt, alle einzelnen Fälle unter die allgemeine Regel mit bindender Nothwendigkeit subsummirt. Bei Schleiermacher erhielten wir kein festes System, sondern er ließ uns den Prozeß des Geistes zur Annäherung an die Wahrheit durchmachen; die Einwürfe wurden in der verschiedensten, dialektischen Beleuchtung betrachtet, die Mannigfaltigkeit der Erscheinungen bekam durch den Hinweis auf eine einheitliche Weltregierung einen mehr idealen als formalen Abschluß. Es war mehr ein Philosophiren, als eine Philosophie, und diese Art paßte ganz naturgemäß für den Uebersetzer des Plato. </p><lb/> <p>Die Verschiedenheit Schleiermachers und Savignys zeigte sich auch in ihrem äußeren Gebahren als Universitätslehrer. Beide hatten damals fast die besuchtesten Kollegia, an beide wurden von unbemittelten Studenten sehr oft Bitten um Nachlaß des Honorars gerichtet. Schleiermacher war von Herzen geneigt, diesen Bitten zu willfahren, allein bei gänzlicher Freigebung würde der Ausfall an seiner Einnahme ein sehr empfindlicher geworden sein. Er kam daher auf den guten Einfall, die Honorare zu stunden, d. h. erst dann Bezahlung zu verlangen, wenn der Student durch eine auskömmliche Stelle in den Stand gesetzt werde, Zahlung zu leisten. Diese wohlthätige Einrichtung, von Schleiermacher zuerst privatim in Gang gebracht, wurde bald allgemein angenommen. Seit Erfindung der Eisenbahnen bildet die nach den entferntesten Ländern geführte amtliche Korrespondenz zur Eintreibung der gestundeten Honorare einen sehr ausgedehnten Geschäftszweig der akademischen Quästur, und gewährt den Docenten eine oft verspätete, aber doch recht ansehnliche Vergütung für ihre Arbeit. Savigny beharrte mit uner- </p> </div> </body> </text> </TEI> [237/0245]
kurz beseitigt, alle einzelnen Fälle unter die allgemeine Regel mit bindender Nothwendigkeit subsummirt. Bei Schleiermacher erhielten wir kein festes System, sondern er ließ uns den Prozeß des Geistes zur Annäherung an die Wahrheit durchmachen; die Einwürfe wurden in der verschiedensten, dialektischen Beleuchtung betrachtet, die Mannigfaltigkeit der Erscheinungen bekam durch den Hinweis auf eine einheitliche Weltregierung einen mehr idealen als formalen Abschluß. Es war mehr ein Philosophiren, als eine Philosophie, und diese Art paßte ganz naturgemäß für den Uebersetzer des Plato.
Die Verschiedenheit Schleiermachers und Savignys zeigte sich auch in ihrem äußeren Gebahren als Universitätslehrer. Beide hatten damals fast die besuchtesten Kollegia, an beide wurden von unbemittelten Studenten sehr oft Bitten um Nachlaß des Honorars gerichtet. Schleiermacher war von Herzen geneigt, diesen Bitten zu willfahren, allein bei gänzlicher Freigebung würde der Ausfall an seiner Einnahme ein sehr empfindlicher geworden sein. Er kam daher auf den guten Einfall, die Honorare zu stunden, d. h. erst dann Bezahlung zu verlangen, wenn der Student durch eine auskömmliche Stelle in den Stand gesetzt werde, Zahlung zu leisten. Diese wohlthätige Einrichtung, von Schleiermacher zuerst privatim in Gang gebracht, wurde bald allgemein angenommen. Seit Erfindung der Eisenbahnen bildet die nach den entferntesten Ländern geführte amtliche Korrespondenz zur Eintreibung der gestundeten Honorare einen sehr ausgedehnten Geschäftszweig der akademischen Quästur, und gewährt den Docenten eine oft verspätete, aber doch recht ansehnliche Vergütung für ihre Arbeit. Savigny beharrte mit uner-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription.
(2014-01-07T13:04:32Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1)
(2014-01-07T13:04:32Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |