Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].Geistesknechtung in seinen Schriften vertheidigte, löste jene Verbindung sich von selbst auf; in einem Briefe an Boisseree äußert sich Schlegel sehr wegwerfend über seinen ehemaligen Freund und Stubengenossen. Die Vielseitigkeit von Schleiermachers Geiste zeigte sich auch darin, daß es ihm Vergnügen machte, Räthsel zu erfinden; sie bewegten sich in den feinsten antithetischen und witzigen Wendungen; in ihrer dialektischen Abrundung können sie als wahre kleine Kunstwerke gelten. Nach seinem Tode wurden mehrere Samlungen gedruckt; ich will hier eins anführen, was noch darin fehlt. Bei einer Mittagsgesellschaft wendet sich Schleiermacher an meinen Oheim, den Arzt Kohlrausch, mit der Frage: Was ist das? Das erste macht Leibweh, das zweite macht Kopfweh, das Ganze heilt beides. Mit der Familie meines Grosvaters Eichmann war Schleiermacher in früheren Zeiten sehr gut bekannt gewesen, und blieb mit allen Gliedern derselben auf dem freundschaftlichsten Fuße. Als eine von Schleiermachers Töchtern sich mit einem viel älteren Manne verlobte, gratulirte ihm meine Mutter dazu, und fragte mit theilnehmender Besorgniß, ob die Braut, die doch gar zu jung sei, nicht noch etwas warten könne? Er entgegnete mit dem ihm eignen humoristischen Lächeln: das wäre wohl gut, liebe Frau Hofräthin, wenn der Bräutigam auch so lange könnte stehn bleiben. Unter Friedrich Wilhelm III. kam im Jahre 1817 die segensreiche Union der Lutheraner und Reformirten zu Stande. Schleiermacher gehörte, wie sich dies nicht anders erwarten ließ, zu ihren eifrigsten Beförderern, wenngleich die Einführung einer allgemeinen Agende nicht ganz Geistesknechtung in seinen Schriften vertheidigte, löste jene Verbindung sich von selbst auf; in einem Briefe an Boisserée äußert sich Schlegel sehr wegwerfend über seinen ehemaligen Freund und Stubengenossen. Die Vielseitigkeit von Schleiermachers Geiste zeigte sich auch darin, daß es ihm Vergnügen machte, Räthsel zu erfinden; sie bewegten sich in den feinsten antithetischen und witzigen Wendungen; in ihrer dialektischen Abrundung können sie als wahre kleine Kunstwerke gelten. Nach seinem Tode wurden mehrere Samlungen gedruckt; ich will hier eins anführen, was noch darin fehlt. Bei einer Mittagsgesellschaft wendet sich Schleiermacher an meinen Oheim, den Arzt Kohlrausch, mit der Frage: Was ist das? Das erste macht Leibweh, das zweite macht Kopfweh, das Ganze heilt beides. Mit der Familie meines Grosvaters Eichmann war Schleiermacher in früheren Zeiten sehr gut bekannt gewesen, und blieb mit allen Gliedern derselben auf dem freundschaftlichsten Fuße. Als eine von Schleiermachers Töchtern sich mit einem viel älteren Manne verlobte, gratulirte ihm meine Mutter dazu, und fragte mit theilnehmender Besorgniß, ob die Braut, die doch gar zu jung sei, nicht noch etwas warten könne? Er entgegnete mit dem ihm eignen humoristischen Lächeln: das wäre wohl gut, liebe Frau Hofräthin, wenn der Bräutigam auch so lange könnte stehn bleiben. Unter Friedrich Wilhelm III. kam im Jahre 1817 die segensreiche Union der Lutheraner und Reformirten zu Stande. Schleiermacher gehörte, wie sich dies nicht anders erwarten ließ, zu ihren eifrigsten Beförderern, wenngleich die Einführung einer allgemeinen Agende nicht ganz <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0238" n="230"/> Geistesknechtung in seinen Schriften vertheidigte, löste jene Verbindung sich von selbst auf; in einem Briefe an Boisserée äußert sich Schlegel sehr wegwerfend über seinen ehemaligen Freund und Stubengenossen. </p><lb/> <p>Die Vielseitigkeit von Schleiermachers Geiste zeigte sich auch darin, daß es ihm Vergnügen machte, Räthsel zu erfinden; sie bewegten sich in den feinsten antithetischen und witzigen Wendungen; in ihrer dialektischen Abrundung können sie als wahre kleine Kunstwerke gelten. Nach seinem Tode wurden mehrere Samlungen gedruckt; ich will hier eins anführen, was noch darin fehlt. Bei einer Mittagsgesellschaft wendet sich Schleiermacher an meinen Oheim, den Arzt Kohlrausch, mit der Frage: Was ist das? Das erste macht Leibweh, das zweite macht Kopfweh, das Ganze heilt beides. </p><lb/> <p>Mit der Familie meines Grosvaters Eichmann war Schleiermacher in früheren Zeiten sehr gut bekannt gewesen, und blieb mit allen Gliedern derselben auf dem freundschaftlichsten Fuße. Als eine von Schleiermachers Töchtern sich mit einem viel älteren Manne verlobte, gratulirte ihm meine Mutter dazu, und fragte mit theilnehmender Besorgniß, ob die Braut, die doch gar zu jung sei, nicht noch etwas warten könne? Er entgegnete mit dem ihm eignen humoristischen Lächeln: das wäre wohl gut, liebe Frau Hofräthin, wenn der Bräutigam auch so lange könnte stehn bleiben. </p><lb/> <p>Unter Friedrich Wilhelm III. kam im Jahre 1817 die segensreiche Union der Lutheraner und Reformirten zu Stande. Schleiermacher gehörte, wie sich dies nicht anders erwarten ließ, zu ihren eifrigsten Beförderern, wenngleich die Einführung einer allgemeinen Agende nicht ganz </p> </div> </body> </text> </TEI> [230/0238]
Geistesknechtung in seinen Schriften vertheidigte, löste jene Verbindung sich von selbst auf; in einem Briefe an Boisserée äußert sich Schlegel sehr wegwerfend über seinen ehemaligen Freund und Stubengenossen.
Die Vielseitigkeit von Schleiermachers Geiste zeigte sich auch darin, daß es ihm Vergnügen machte, Räthsel zu erfinden; sie bewegten sich in den feinsten antithetischen und witzigen Wendungen; in ihrer dialektischen Abrundung können sie als wahre kleine Kunstwerke gelten. Nach seinem Tode wurden mehrere Samlungen gedruckt; ich will hier eins anführen, was noch darin fehlt. Bei einer Mittagsgesellschaft wendet sich Schleiermacher an meinen Oheim, den Arzt Kohlrausch, mit der Frage: Was ist das? Das erste macht Leibweh, das zweite macht Kopfweh, das Ganze heilt beides.
Mit der Familie meines Grosvaters Eichmann war Schleiermacher in früheren Zeiten sehr gut bekannt gewesen, und blieb mit allen Gliedern derselben auf dem freundschaftlichsten Fuße. Als eine von Schleiermachers Töchtern sich mit einem viel älteren Manne verlobte, gratulirte ihm meine Mutter dazu, und fragte mit theilnehmender Besorgniß, ob die Braut, die doch gar zu jung sei, nicht noch etwas warten könne? Er entgegnete mit dem ihm eignen humoristischen Lächeln: das wäre wohl gut, liebe Frau Hofräthin, wenn der Bräutigam auch so lange könnte stehn bleiben.
Unter Friedrich Wilhelm III. kam im Jahre 1817 die segensreiche Union der Lutheraner und Reformirten zu Stande. Schleiermacher gehörte, wie sich dies nicht anders erwarten ließ, zu ihren eifrigsten Beförderern, wenngleich die Einführung einer allgemeinen Agende nicht ganz
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription.
(2014-01-07T13:04:32Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1)
(2014-01-07T13:04:32Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |