Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

scheinbar schroffsten Gegensätze; er besaß das weichste Gemüth und den schärfsten Verstand, die festeste Tiefe der Gedanken und den behendesten Witz. Mit der gründlichsten philologischen Bildung verband er das innigste Christenthum, und dieses Christenthum war von so universeller Natur, daß bald die Pietisten, bald die Rationalisten glaubten, ihn zu den ihrigen zählen zu dürfen. Was man früher ihm zum Vorwurfe machte, daß er keine eigentliche theologische Schule gebildet, das gereicht ihm jetzt, wo man eben die Feier seines hundertjährigen Geburtstages (21. Nov. 1768) vorbereitet, zum höchsten Lobe; er bildete keine Schleiermacherianer, wohl aber Menschen und Christen. So gern ich seine Predigten hörte, so sah ich ihn doch noch lieber auf dem Katheder. Er war klein von Gestalt und hatte einen Höcker, weshalb ich mich oft gewundert, daß man ihn zum geistlichen Stande zugelassen: denn sowohl nach den katholischen, als auch nach den alten protestantischen Kirchensatzungen soll der Diener des göttlichen Wortes ein vollkomner Mann ohne Makel sein. Allein jenen Mangel bemerkte man bei Schleiermacher nicht, wenn man ihn von vorn ansah; die Brust war breit und wohlgebaut, das helle Auge, wenn es nicht durch die Brille verdeckt wurde, gab einen wohlthuenden Glanz, der unendlich bewegliche Mund konnte den Ausdruck des tiefsten Ernstes annehmen, und eben sowohl zu dem feinsten Epigramme sich zuspitzen. Die Stimme hatte eine zum Herzen gehende Modulation; sie war mehr scharf, als voll, daher sagten seine Predigten am wenigsten denen zu, die an dem laut tönenden Donner so mancher andern berliner Kanzelredner Wohlgefallen fanden. Man prägte später eine Denkmünze mit Schleier-

scheinbar schroffsten Gegensätze; er besaß das weichste Gemüth und den schärfsten Verstand, die festeste Tiefe der Gedanken und den behendesten Witz. Mit der gründlichsten philologischen Bildung verband er das innigste Christenthum, und dieses Christenthum war von so universeller Natur, daß bald die Pietisten, bald die Rationalisten glaubten, ihn zu den ihrigen zählen zu dürfen. Was man früher ihm zum Vorwurfe machte, daß er keine eigentliche theologische Schule gebildet, das gereicht ihm jetzt, wo man eben die Feier seines hundertjährigen Geburtstages (21. Nov. 1768) vorbereitet, zum höchsten Lobe; er bildete keine Schleiermacherianer, wohl aber Menschen und Christen. So gern ich seine Predigten hörte, so sah ich ihn doch noch lieber auf dem Katheder. Er war klein von Gestalt und hatte einen Höcker, weshalb ich mich oft gewundert, daß man ihn zum geistlichen Stande zugelassen: denn sowohl nach den katholischen, als auch nach den alten protestantischen Kirchensatzungen soll der Diener des göttlichen Wortes ein vollkomner Mann ohne Makel sein. Allein jenen Mangel bemerkte man bei Schleiermacher nicht, wenn man ihn von vorn ansah; die Brust war breit und wohlgebaut, das helle Auge, wenn es nicht durch die Brille verdeckt wurde, gab einen wohlthuenden Glanz, der unendlich bewegliche Mund konnte den Ausdruck des tiefsten Ernstes annehmen, und eben sowohl zu dem feinsten Epigramme sich zuspitzen. Die Stimme hatte eine zum Herzen gehende Modulation; sie war mehr scharf, als voll, daher sagten seine Predigten am wenigsten denen zu, die an dem laut tönenden Donner so mancher andern berliner Kanzelredner Wohlgefallen fanden. Man prägte später eine Denkmünze mit Schleier-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0235" n="227"/>
scheinbar schroffsten Gegensätze; er besaß das weichste Gemüth und den schärfsten Verstand, die festeste Tiefe der Gedanken und den behendesten Witz. Mit der gründlichsten philologischen Bildung verband er das innigste Christenthum, und dieses Christenthum war von so universeller Natur, daß bald die Pietisten, bald die Rationalisten glaubten, ihn zu den ihrigen zählen zu dürfen. Was man früher ihm zum Vorwurfe machte, daß er keine eigentliche theologische Schule gebildet, das gereicht ihm jetzt, wo man eben die Feier seines hundertjährigen Geburtstages (21. Nov. 1768) vorbereitet, zum höchsten Lobe; er bildete keine Schleiermacherianer, wohl aber Menschen und Christen. So gern ich seine Predigten hörte, so sah ich ihn doch noch lieber auf dem Katheder. Er war klein von Gestalt und hatte einen Höcker, weshalb ich mich oft gewundert, daß man ihn zum geistlichen Stande zugelassen: denn sowohl nach den katholischen, als auch nach den alten protestantischen Kirchensatzungen soll der Diener des göttlichen Wortes ein vollkomner Mann ohne Makel sein. Allein jenen Mangel bemerkte man bei Schleiermacher nicht, wenn man ihn von vorn ansah; die Brust war breit und wohlgebaut, das helle Auge, wenn es nicht durch die Brille verdeckt wurde, gab einen wohlthuenden Glanz, der unendlich bewegliche Mund konnte den Ausdruck des tiefsten Ernstes annehmen, und eben sowohl zu dem feinsten Epigramme sich zuspitzen. Die Stimme hatte eine zum Herzen gehende Modulation; sie war mehr scharf, als voll, daher sagten seine Predigten am wenigsten denen zu, die an dem laut tönenden Donner so mancher andern berliner Kanzelredner Wohlgefallen fanden. Man prägte später eine Denkmünze mit Schleier-
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[227/0235] scheinbar schroffsten Gegensätze; er besaß das weichste Gemüth und den schärfsten Verstand, die festeste Tiefe der Gedanken und den behendesten Witz. Mit der gründlichsten philologischen Bildung verband er das innigste Christenthum, und dieses Christenthum war von so universeller Natur, daß bald die Pietisten, bald die Rationalisten glaubten, ihn zu den ihrigen zählen zu dürfen. Was man früher ihm zum Vorwurfe machte, daß er keine eigentliche theologische Schule gebildet, das gereicht ihm jetzt, wo man eben die Feier seines hundertjährigen Geburtstages (21. Nov. 1768) vorbereitet, zum höchsten Lobe; er bildete keine Schleiermacherianer, wohl aber Menschen und Christen. So gern ich seine Predigten hörte, so sah ich ihn doch noch lieber auf dem Katheder. Er war klein von Gestalt und hatte einen Höcker, weshalb ich mich oft gewundert, daß man ihn zum geistlichen Stande zugelassen: denn sowohl nach den katholischen, als auch nach den alten protestantischen Kirchensatzungen soll der Diener des göttlichen Wortes ein vollkomner Mann ohne Makel sein. Allein jenen Mangel bemerkte man bei Schleiermacher nicht, wenn man ihn von vorn ansah; die Brust war breit und wohlgebaut, das helle Auge, wenn es nicht durch die Brille verdeckt wurde, gab einen wohlthuenden Glanz, der unendlich bewegliche Mund konnte den Ausdruck des tiefsten Ernstes annehmen, und eben sowohl zu dem feinsten Epigramme sich zuspitzen. Die Stimme hatte eine zum Herzen gehende Modulation; sie war mehr scharf, als voll, daher sagten seine Predigten am wenigsten denen zu, die an dem laut tönenden Donner so mancher andern berliner Kanzelredner Wohlgefallen fanden. Man prägte später eine Denkmünze mit Schleier-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/235
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/235>, abgerufen am 24.11.2024.