Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].die demagogischen Umtriebe sich zu regen. Manche meiner Bekannten nahmen daran Theil, und vielleicht nur durch einen glücklichen Zufall wurde ich nicht mit hineingezogen. Die Studenten, welche damals unberufener Weise Politik machten, fanden wenig Behagen an Solgers ganz korrekter, aber marmorkalter Darstellung der verschiedenen Staatstheorien von Aristoteles an, bis auf Hobbes und Haller herab. Die Restauration der Staatswissenschaft des letzten Autors machte großes Aufsehn. Solger urtheilte, so viel ich mich entsinne, sehr geringschätzig darüber. Das Werk wurde besonders von den Adligen mit Freuden begrüßt, weil es dem festen Grundbesitze und der unbeschränkten patriarchalischen Regierung der Fürsten das Wort redete, wogegen die einer freien Verfassung sich zuneigenden Bürgerlichen nichts davon wissen wollten. Vor dem Anfange der Vorlesung entspann sich nicht selten ein heftiger Streit, der durch Solgers Eintreten ein plötzliches Ende nahm; es wollte mir aber oft vorkommen, als ob keine der beiden Parteien das mehrbändige Hallersche Werk durchgelesen habe, sondern nur nach einer oberflächlichen Kenntniß urtheile. Die Verfassungsfreunde, zu denen auch ich gehörte, machten es geltend, daß in der Wiener Bundesakte allen deutschen Staaten eine ständische Verfassung zugesichert sei, und wir Preußen wußten uns nicht wenig damit, daß dieser Paragraph auf den Betrieb Wilhelm von Humboldts in jene Akte gekommen sei; die Absolutisten, unter denen einige Kurländer die schlimmsten waren, konnten dieses formelle Versprechen zwar nicht wegläugnen, allein sie wußten so viel zum Nachtheil der getheilten Staatsgewalt anzuführen, daß sie es ganz in der Ordnung fanden, wenn die Fürsten mit der die demagogischen Umtriebe sich zu regen. Manche meiner Bekannten nahmen daran Theil, und vielleicht nur durch einen glücklichen Zufall wurde ich nicht mit hineingezogen. Die Studenten, welche damals unberufener Weise Politik machten, fanden wenig Behagen an Solgers ganz korrekter, aber marmorkalter Darstellung der verschiedenen Staatstheorien von Aristoteles an, bis auf Hobbes und Haller herab. Die Restauration der Staatswissenschaft des letzten Autors machte großes Aufsehn. Solger urtheilte, so viel ich mich entsinne, sehr geringschätzig darüber. Das Werk wurde besonders von den Adligen mit Freuden begrüßt, weil es dem festen Grundbesitze und der unbeschränkten patriarchalischen Regierung der Fürsten das Wort redete, wogegen die einer freien Verfassung sich zuneigenden Bürgerlichen nichts davon wissen wollten. Vor dem Anfange der Vorlesung entspann sich nicht selten ein heftiger Streit, der durch Solgers Eintreten ein plötzliches Ende nahm; es wollte mir aber oft vorkommen, als ob keine der beiden Parteien das mehrbändige Hallersche Werk durchgelesen habe, sondern nur nach einer oberflächlichen Kenntniß urtheile. Die Verfassungsfreunde, zu denen auch ich gehörte, machten es geltend, daß in der Wiener Bundesakte allen deutschen Staaten eine ständische Verfassung zugesichert sei, und wir Preußen wußten uns nicht wenig damit, daß dieser Paragraph auf den Betrieb Wilhelm von Humboldts in jene Akte gekommen sei; die Absolutisten, unter denen einige Kurländer die schlimmsten waren, konnten dieses formelle Versprechen zwar nicht wegläugnen, allein sie wußten so viel zum Nachtheil der getheilten Staatsgewalt anzuführen, daß sie es ganz in der Ordnung fanden, wenn die Fürsten mit der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0232" n="224"/> die demagogischen Umtriebe sich zu regen. Manche meiner Bekannten nahmen daran Theil, und vielleicht nur durch einen glücklichen Zufall wurde ich nicht mit hineingezogen. Die Studenten, welche damals unberufener Weise Politik machten, fanden wenig Behagen an Solgers ganz korrekter, aber marmorkalter Darstellung der verschiedenen Staatstheorien von Aristoteles an, bis auf Hobbes und Haller herab. Die Restauration der Staatswissenschaft des letzten Autors machte großes Aufsehn. Solger urtheilte, so viel ich mich entsinne, sehr geringschätzig darüber. Das Werk wurde besonders von den Adligen mit Freuden begrüßt, weil es dem festen Grundbesitze und der unbeschränkten patriarchalischen Regierung der Fürsten das Wort redete, wogegen die einer freien Verfassung sich zuneigenden Bürgerlichen nichts davon wissen wollten. Vor dem Anfange der Vorlesung entspann sich nicht selten ein heftiger Streit, der durch Solgers Eintreten ein plötzliches Ende nahm; es wollte mir aber oft vorkommen, als ob keine der beiden Parteien das mehrbändige Hallersche Werk durchgelesen habe, sondern nur nach einer oberflächlichen Kenntniß urtheile. Die Verfassungsfreunde, zu denen auch ich gehörte, machten es geltend, daß in der Wiener Bundesakte allen deutschen Staaten eine ständische Verfassung zugesichert sei, und wir Preußen wußten uns nicht wenig damit, daß dieser Paragraph auf den Betrieb Wilhelm von Humboldts in jene Akte gekommen sei; die Absolutisten, unter denen einige Kurländer die schlimmsten waren, konnten dieses formelle Versprechen zwar nicht wegläugnen, allein sie wußten so viel zum Nachtheil der getheilten Staatsgewalt anzuführen, daß sie es ganz in der Ordnung fanden, wenn die Fürsten mit der </p> </div> </body> </text> </TEI> [224/0232]
die demagogischen Umtriebe sich zu regen. Manche meiner Bekannten nahmen daran Theil, und vielleicht nur durch einen glücklichen Zufall wurde ich nicht mit hineingezogen. Die Studenten, welche damals unberufener Weise Politik machten, fanden wenig Behagen an Solgers ganz korrekter, aber marmorkalter Darstellung der verschiedenen Staatstheorien von Aristoteles an, bis auf Hobbes und Haller herab. Die Restauration der Staatswissenschaft des letzten Autors machte großes Aufsehn. Solger urtheilte, so viel ich mich entsinne, sehr geringschätzig darüber. Das Werk wurde besonders von den Adligen mit Freuden begrüßt, weil es dem festen Grundbesitze und der unbeschränkten patriarchalischen Regierung der Fürsten das Wort redete, wogegen die einer freien Verfassung sich zuneigenden Bürgerlichen nichts davon wissen wollten. Vor dem Anfange der Vorlesung entspann sich nicht selten ein heftiger Streit, der durch Solgers Eintreten ein plötzliches Ende nahm; es wollte mir aber oft vorkommen, als ob keine der beiden Parteien das mehrbändige Hallersche Werk durchgelesen habe, sondern nur nach einer oberflächlichen Kenntniß urtheile. Die Verfassungsfreunde, zu denen auch ich gehörte, machten es geltend, daß in der Wiener Bundesakte allen deutschen Staaten eine ständische Verfassung zugesichert sei, und wir Preußen wußten uns nicht wenig damit, daß dieser Paragraph auf den Betrieb Wilhelm von Humboldts in jene Akte gekommen sei; die Absolutisten, unter denen einige Kurländer die schlimmsten waren, konnten dieses formelle Versprechen zwar nicht wegläugnen, allein sie wußten so viel zum Nachtheil der getheilten Staatsgewalt anzuführen, daß sie es ganz in der Ordnung fanden, wenn die Fürsten mit der
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/232>, abgerufen am 16.07.2024. |