Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

Personen bestanden. Nicht sehr ermuthigend war die Aeußerung, das Kollegium über Aristophanes, das ich eben belegt hatte, lese er von 2-3 Uhr einzig und allein seiner Verdauung wegen. Die unbegränzte Verehrung von seiner Gelehrsamkeit erlitt aber dadurch keinen Abbruch. Er beschäftigte sich damals, um die Muße seines Alters auszufüllen, mit der griechischen Musik, und war sehr entzückt von einer antiken Komposition, die man in unsere heutigen Noten übertragen hatte. Es machte mir einen unvergeßlichen Eindruck, als der große stattliche Mann sich an das Klavier setzte, und uns mit seiner 60jährigen Stimme einen Hymnus an den Dionysos griechisch vorsang. So harmonisch sein Organ beim Vortrage der homerischen Verse klang, so wenig war es für ein regelrechtes Gesangstück geeignet. Man konnte aber sehr wohl bemerken, daß Wolf auf diese musikalische Leistung sich etwas zu Gute that. Da seine Notenschrift sehr unvollkommen war, so erbot sich Tante Jettchen, das Stück zu kopiren; als sie ihm die saubre Abschrift einige Zeit nachher überreichte, so glaubte er anfangs allen Ernstes, sie habe das Blatt ihm zu Gefallen in Kupfer stechen lassen. Das Originalmanuscript von Wolf wußte ich mir zuzueignen, und bewahre es in meiner Autographensammlung.

Wolfs Aeußeres hatte etwas imponirendes. Von mehr als gewöhnlicher Länge und kerzengerader Haltung war er in allen seinen Bewegungen großartig und entschieden. Das zurückgekämmte silberweiße Haar zeigte eine flache, vielfach gefurchte Denkerstirn, wie ich sie später bei dem großen Freiherm von Stein wieder angetroffen; die Nase von ungewöhnlicher Prominenz, der Mund von einem sarkastischen Lächeln umspielt, das helle Auge voll von Geist

Personen bestanden. Nicht sehr ermuthigend war die Aeußerung, das Kollegium über Aristophanes, das ich eben belegt hatte, lese er von 2–3 Uhr einzig und allein seiner Verdauung wegen. Die unbegränzte Verehrung von seiner Gelehrsamkeit erlitt aber dadurch keinen Abbruch. Er beschäftigte sich damals, um die Muße seines Alters auszufüllen, mit der griechischen Musik, und war sehr entzückt von einer antiken Komposition, die man in unsere heutigen Noten übertragen hatte. Es machte mir einen unvergeßlichen Eindruck, als der große stattliche Mann sich an das Klavier setzte, und uns mit seiner 60jährigen Stimme einen Hymnus an den Dionysos griechisch vorsang. So harmonisch sein Organ beim Vortrage der homerischen Verse klang, so wenig war es für ein regelrechtes Gesangstück geeignet. Man konnte aber sehr wohl bemerken, daß Wolf auf diese musikalische Leistung sich etwas zu Gute that. Da seine Notenschrift sehr unvollkommen war, so erbot sich Tante Jettchen, das Stück zu kopiren; als sie ihm die saubre Abschrift einige Zeit nachher überreichte, so glaubte er anfangs allen Ernstes, sie habe das Blatt ihm zu Gefallen in Kupfer stechen lassen. Das Originalmanuscript von Wolf wußte ich mir zuzueignen, und bewahre es in meiner Autographensammlung.

Wolfs Aeußeres hatte etwas imponirendes. Von mehr als gewöhnlicher Länge und kerzengerader Haltung war er in allen seinen Bewegungen großartig und entschieden. Das zurückgekämmte silberweiße Haar zeigte eine flache, vielfach gefurchte Denkerstirn, wie ich sie später bei dem großen Freiherm von Stein wieder angetroffen; die Nase von ungewöhnlicher Prominenz, der Mund von einem sarkastischen Lächeln umspielt, das helle Auge voll von Geist

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0227" n="219"/>
Personen bestanden. Nicht sehr ermuthigend war die Aeußerung, das Kollegium über Aristophanes, das ich eben belegt hatte, lese er von 2&#x2013;3 Uhr einzig und allein seiner Verdauung wegen. Die unbegränzte Verehrung von seiner Gelehrsamkeit erlitt aber dadurch keinen Abbruch. Er beschäftigte sich damals, um die Muße seines Alters auszufüllen, mit der griechischen Musik, und war sehr entzückt von einer antiken Komposition, die man in unsere heutigen Noten übertragen hatte. Es machte mir einen unvergeßlichen Eindruck, als der große stattliche Mann sich an das Klavier setzte, und uns mit seiner 60jährigen Stimme einen Hymnus an den Dionysos griechisch vorsang. So harmonisch sein Organ beim Vortrage der homerischen Verse klang, so wenig war es für ein regelrechtes Gesangstück geeignet. Man konnte aber sehr wohl bemerken, daß Wolf auf diese musikalische Leistung sich etwas zu Gute that. Da seine Notenschrift sehr unvollkommen war, so erbot sich Tante Jettchen, das Stück zu kopiren; als sie ihm die saubre Abschrift einige Zeit nachher überreichte, so glaubte er anfangs allen Ernstes, sie habe das Blatt ihm zu Gefallen in Kupfer stechen lassen. Das Originalmanuscript von Wolf wußte ich mir zuzueignen, und bewahre es in meiner Autographensammlung. </p><lb/>
        <p>Wolfs Aeußeres hatte etwas imponirendes. Von mehr als gewöhnlicher Länge und kerzengerader Haltung war er in allen seinen Bewegungen großartig und entschieden. Das zurückgekämmte silberweiße Haar zeigte eine flache, vielfach gefurchte Denkerstirn, wie ich sie später bei dem großen Freiherm von Stein wieder angetroffen; die Nase von ungewöhnlicher Prominenz, der Mund von einem sarkastischen Lächeln umspielt, das helle Auge voll von Geist
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[219/0227] Personen bestanden. Nicht sehr ermuthigend war die Aeußerung, das Kollegium über Aristophanes, das ich eben belegt hatte, lese er von 2–3 Uhr einzig und allein seiner Verdauung wegen. Die unbegränzte Verehrung von seiner Gelehrsamkeit erlitt aber dadurch keinen Abbruch. Er beschäftigte sich damals, um die Muße seines Alters auszufüllen, mit der griechischen Musik, und war sehr entzückt von einer antiken Komposition, die man in unsere heutigen Noten übertragen hatte. Es machte mir einen unvergeßlichen Eindruck, als der große stattliche Mann sich an das Klavier setzte, und uns mit seiner 60jährigen Stimme einen Hymnus an den Dionysos griechisch vorsang. So harmonisch sein Organ beim Vortrage der homerischen Verse klang, so wenig war es für ein regelrechtes Gesangstück geeignet. Man konnte aber sehr wohl bemerken, daß Wolf auf diese musikalische Leistung sich etwas zu Gute that. Da seine Notenschrift sehr unvollkommen war, so erbot sich Tante Jettchen, das Stück zu kopiren; als sie ihm die saubre Abschrift einige Zeit nachher überreichte, so glaubte er anfangs allen Ernstes, sie habe das Blatt ihm zu Gefallen in Kupfer stechen lassen. Das Originalmanuscript von Wolf wußte ich mir zuzueignen, und bewahre es in meiner Autographensammlung. Wolfs Aeußeres hatte etwas imponirendes. Von mehr als gewöhnlicher Länge und kerzengerader Haltung war er in allen seinen Bewegungen großartig und entschieden. Das zurückgekämmte silberweiße Haar zeigte eine flache, vielfach gefurchte Denkerstirn, wie ich sie später bei dem großen Freiherm von Stein wieder angetroffen; die Nase von ungewöhnlicher Prominenz, der Mund von einem sarkastischen Lächeln umspielt, das helle Auge voll von Geist

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/227
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/227>, abgerufen am 27.11.2024.