Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].Zeune u. a. Einen schönen, schlanken, jungen Mann nannte man mir als den Doktor von Bethmann-Hollweg aus Frankfurt a. M. Von kümmerlichem Aussehn und stotternder Sprache war der Dichter Schink, über welchen Tiedge sehr naiv und mit voller Ueberzeugung mir mittheilte: Schink habe auch einen Faust geschrieben, aber eben als er ihn herausgeben gewollt, sei der Faust von Göthe erschienen, und diese Priorität habe das später ans Licht getretene Stück von Schink sehr beeinträchtigt. Läugnen will ich nicht, daß es manche Abende bei Frau von der Recke gab, an denen es sehr steif und trocken herging: dann wußte Tiedge auf eine geschickte Weise sich nach seinem Zimmer zurückzuziehn, indem er vorgab, ein Buch holen zu wollen, oder dergleichen, und sobald wir diese List gemerkt, folgten wir ihm nach, um bei ihm das angefangene Gespräch fortzusetzen. Darüber gab es denn am andern Tage von Frau von der Recke gelinde Vorwürfe, und wenn ich mich nicht enthalten konnte, es unumwunden auszusprechen, daß der alte General von Schlieffen oder der Kammerherr von Ende aus Dresden doch gar zu langweilig gewesen seien, so pflegte sie mit unnachahmlicher ernster Grazie zu sagen: mein lieber Gustav, in der großen Welt mußt du lernen, dich mit Anstand zu ennuyiren! Es läßt sich denken, wie wenig diese gute Lehre fruchtete. Meine näheren Freunde, August und Paul wurden auch bei Frau von der Recke eingeführt. Der erste bewegte sich in dem ungewohnten Kreise mit vieler Leichtigkeit und mit natürlichem Anstande, aber der gute Bücherwurm Paul konnte sich in dieser neuen Welt nicht gleich zurecht finden. Er gab uns, und noch mehr sich selbst Zeune u. a. Einen schönen, schlanken, jungen Mann nannte man mir als den Doktor von Bethmann-Hollweg aus Frankfurt a. M. Von kümmerlichem Aussehn und stotternder Sprache war der Dichter Schink, über welchen Tiedge sehr naiv und mit voller Ueberzeugung mir mittheilte: Schink habe auch einen Faust geschrieben, aber eben als er ihn herausgeben gewollt, sei der Faust von Göthe erschienen, und diese Priorität habe das später ans Licht getretene Stück von Schink sehr beeinträchtigt. Läugnen will ich nicht, daß es manche Abende bei Frau von der Recke gab, an denen es sehr steif und trocken herging: dann wußte Tiedge auf eine geschickte Weise sich nach seinem Zimmer zurückzuziehn, indem er vorgab, ein Buch holen zu wollen, oder dergleichen, und sobald wir diese List gemerkt, folgten wir ihm nach, um bei ihm das angefangene Gespräch fortzusetzen. Darüber gab es denn am andern Tage von Frau von der Recke gelinde Vorwürfe, und wenn ich mich nicht enthalten konnte, es unumwunden auszusprechen, daß der alte General von Schlieffen oder der Kammerherr von Ende aus Dresden doch gar zu langweilig gewesen seien, so pflegte sie mit unnachahmlicher ernster Grazie zu sagen: mein lieber Gustav, in der großen Welt mußt du lernen, dich mit Anstand zu ennuyiren! Es läßt sich denken, wie wenig diese gute Lehre fruchtete. Meine näheren Freunde, August und Paul wurden auch bei Frau von der Recke eingeführt. Der erste bewegte sich in dem ungewohnten Kreise mit vieler Leichtigkeit und mit natürlichem Anstande, aber der gute Bücherwurm Paul konnte sich in dieser neuen Welt nicht gleich zurecht finden. Er gab uns, und noch mehr sich selbst <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0021" n="13"/> Zeune u. a. Einen schönen, schlanken, jungen Mann nannte man mir als den Doktor von Bethmann-Hollweg aus Frankfurt a. M. Von kümmerlichem Aussehn und stotternder Sprache war der Dichter Schink, über welchen Tiedge sehr naiv und mit voller Ueberzeugung mir mittheilte: Schink habe auch einen Faust geschrieben, aber eben als er ihn herausgeben gewollt, sei der Faust von Göthe erschienen, und diese Priorität habe das später ans Licht getretene Stück von Schink sehr beeinträchtigt. </p><lb/> <p>Läugnen will ich nicht, daß es manche Abende bei Frau von der Recke gab, an denen es sehr steif und trocken herging: dann wußte Tiedge auf eine geschickte Weise sich nach seinem Zimmer zurückzuziehn, indem er vorgab, ein Buch holen zu wollen, oder dergleichen, und sobald wir diese List gemerkt, folgten wir ihm nach, um bei ihm das angefangene Gespräch fortzusetzen. Darüber gab es denn am andern Tage von Frau von der Recke gelinde Vorwürfe, und wenn ich mich nicht enthalten konnte, es unumwunden auszusprechen, daß der alte General von Schlieffen oder der Kammerherr von Ende aus Dresden doch gar zu langweilig gewesen seien, so pflegte sie mit unnachahmlicher ernster Grazie zu sagen: mein lieber Gustav, in der großen Welt mußt du lernen, dich mit Anstand zu ennuyiren! Es läßt sich denken, wie wenig diese gute Lehre fruchtete. </p><lb/> <p>Meine näheren Freunde, August und Paul wurden auch bei Frau von der Recke eingeführt. Der erste bewegte sich in dem ungewohnten Kreise mit vieler Leichtigkeit und mit natürlichem Anstande, aber der gute Bücherwurm Paul konnte sich in dieser neuen Welt nicht gleich zurecht finden. Er gab uns, und noch mehr sich selbst </p> </div> </body> </text> </TEI> [13/0021]
Zeune u. a. Einen schönen, schlanken, jungen Mann nannte man mir als den Doktor von Bethmann-Hollweg aus Frankfurt a. M. Von kümmerlichem Aussehn und stotternder Sprache war der Dichter Schink, über welchen Tiedge sehr naiv und mit voller Ueberzeugung mir mittheilte: Schink habe auch einen Faust geschrieben, aber eben als er ihn herausgeben gewollt, sei der Faust von Göthe erschienen, und diese Priorität habe das später ans Licht getretene Stück von Schink sehr beeinträchtigt.
Läugnen will ich nicht, daß es manche Abende bei Frau von der Recke gab, an denen es sehr steif und trocken herging: dann wußte Tiedge auf eine geschickte Weise sich nach seinem Zimmer zurückzuziehn, indem er vorgab, ein Buch holen zu wollen, oder dergleichen, und sobald wir diese List gemerkt, folgten wir ihm nach, um bei ihm das angefangene Gespräch fortzusetzen. Darüber gab es denn am andern Tage von Frau von der Recke gelinde Vorwürfe, und wenn ich mich nicht enthalten konnte, es unumwunden auszusprechen, daß der alte General von Schlieffen oder der Kammerherr von Ende aus Dresden doch gar zu langweilig gewesen seien, so pflegte sie mit unnachahmlicher ernster Grazie zu sagen: mein lieber Gustav, in der großen Welt mußt du lernen, dich mit Anstand zu ennuyiren! Es läßt sich denken, wie wenig diese gute Lehre fruchtete.
Meine näheren Freunde, August und Paul wurden auch bei Frau von der Recke eingeführt. Der erste bewegte sich in dem ungewohnten Kreise mit vieler Leichtigkeit und mit natürlichem Anstande, aber der gute Bücherwurm Paul konnte sich in dieser neuen Welt nicht gleich zurecht finden. Er gab uns, und noch mehr sich selbst
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/21>, abgerufen am 26.07.2024. |