Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

zu finden; er spielte auch, um seine schwere Hand zu üben, mehrere Monate mit Gewichten an den Handgelenken, doch sah er bald ein, daß das geisttödtende Ueben seinem schaffenden Talente nicht zusagte. In Gesellschaft eines reichen schwedischen Kaufmannes machte er eine Kunstreise durch die Niederlande, um Konzerte zu geben, aber der Erfolg entsprach sehr wenig seinen Erwartungen.

Diese Lebensumstände erfuhren wir nur ruck- und stoßweise: denn Klein vermied es, von sich selbst zu sprechen, auch verbrämte er seine kurzen Notizen mit allerhand lächerlichen Ausschmückungen, die uns oft zweifelhaft ließen, ob er die Wahrheit sage oder nicht. Seine Sucht, alles in das komische zu ziehn, verließ ihn auch hier keinen Augenblick. Er verfiel dann in den höchst naiven Kölner Dialekt, obgleich er sonst ein völlig reines Deutsch sprach. Das Drastische seiner Anekdoten lag mehr in dem Ausdrucke, als in der Sache: denn wenn wir die Geschichten nacherzählen wollten, so wurden sie schaal. In entgegengesetzter Richtung gewannen seine Kompositionen ebenfalls ihre höchste Weihe erst durch die tiefe Innigkeit seines Vortrages; von anderen Stimmen gesungen behielten sie zwar immer ihren musikalischen Werth, aber es fehlte ihnen der schönste Schmelz.

Neben den Opernaufführungen gedenke ich als Lichtpunktes unserer musikalischen Leistungen einer Spreefahrt nach Treptow im Sommer 1818. Klein komponirte dazu vierstimmig die beiden reizenden Lieder aus dem Anfange des Wilhelm Tell: Es lächelt der See, und Ihr Matten lebt wohl. Bei der Heimfahrt im ruhigen Mondschein wurden diese und andere Stücke von den bekannten ausgesuchten Stimmen mit seltner Vollendung vorgetragen.

zu finden; er spielte auch, um seine schwere Hand zu üben, mehrere Monate mit Gewichten an den Handgelenken, doch sah er bald ein, daß das geisttödtende Ueben seinem schaffenden Talente nicht zusagte. In Gesellschaft eines reichen schwedischen Kaufmannes machte er eine Kunstreise durch die Niederlande, um Konzerte zu geben, aber der Erfolg entsprach sehr wenig seinen Erwartungen.

Diese Lebensumstände erfuhren wir nur ruck- und stoßweise: denn Klein vermied es, von sich selbst zu sprechen, auch verbrämte er seine kurzen Notizen mit allerhand lächerlichen Ausschmückungen, die uns oft zweifelhaft ließen, ob er die Wahrheit sage oder nicht. Seine Sucht, alles in das komische zu ziehn, verließ ihn auch hier keinen Augenblick. Er verfiel dann in den höchst naiven Kölner Dialekt, obgleich er sonst ein völlig reines Deutsch sprach. Das Drastische seiner Anekdoten lag mehr in dem Ausdrucke, als in der Sache: denn wenn wir die Geschichten nacherzählen wollten, so wurden sie schaal. In entgegengesetzter Richtung gewannen seine Kompositionen ebenfalls ihre höchste Weihe erst durch die tiefe Innigkeit seines Vortrages; von anderen Stimmen gesungen behielten sie zwar immer ihren musikalischen Werth, aber es fehlte ihnen der schönste Schmelz.

Neben den Opernaufführungen gedenke ich als Lichtpunktes unserer musikalischen Leistungen einer Spreefahrt nach Treptow im Sommer 1818. Klein komponirte dazu vierstimmig die beiden reizenden Lieder aus dem Anfange des Wilhelm Tell: Es lächelt der See, und Ihr Matten lebt wohl. Bei der Heimfahrt im ruhigen Mondschein wurden diese und andere Stücke von den bekannten ausgesuchten Stimmen mit seltner Vollendung vorgetragen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0208" n="200"/>
zu finden; er spielte auch, um seine schwere Hand zu üben, mehrere Monate mit Gewichten an den Handgelenken, doch sah er bald ein, daß das geisttödtende Ueben seinem schaffenden Talente nicht zusagte. In Gesellschaft eines reichen schwedischen Kaufmannes machte er eine Kunstreise durch die Niederlande, um Konzerte zu geben, aber der Erfolg entsprach sehr wenig seinen Erwartungen. </p><lb/>
        <p>Diese Lebensumstände erfuhren wir nur ruck- und stoßweise: denn Klein vermied es, von sich selbst zu sprechen, auch verbrämte er seine kurzen Notizen mit allerhand lächerlichen Ausschmückungen, die uns oft zweifelhaft ließen, ob er die Wahrheit sage oder nicht. Seine Sucht, alles in das komische zu ziehn, verließ ihn auch hier keinen Augenblick. Er verfiel dann in den höchst naiven Kölner Dialekt, obgleich er sonst ein völlig reines Deutsch sprach. Das Drastische seiner Anekdoten lag mehr in dem Ausdrucke, als in der Sache: denn wenn wir die Geschichten nacherzählen wollten, so wurden sie schaal. In entgegengesetzter Richtung gewannen seine Kompositionen ebenfalls ihre höchste Weihe erst durch die tiefe Innigkeit seines Vortrages; von anderen Stimmen gesungen behielten sie zwar immer ihren musikalischen Werth, aber es fehlte ihnen der schönste Schmelz. </p><lb/>
        <p>Neben den Opernaufführungen gedenke ich als Lichtpunktes unserer musikalischen Leistungen einer Spreefahrt nach Treptow im Sommer 1818. Klein komponirte dazu vierstimmig die beiden reizenden Lieder aus dem Anfange des Wilhelm Tell: Es lächelt der See, und Ihr Matten lebt wohl. Bei der Heimfahrt im ruhigen Mondschein wurden diese und andere Stücke von den bekannten ausgesuchten Stimmen mit seltner Vollendung vorgetragen.
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[200/0208] zu finden; er spielte auch, um seine schwere Hand zu üben, mehrere Monate mit Gewichten an den Handgelenken, doch sah er bald ein, daß das geisttödtende Ueben seinem schaffenden Talente nicht zusagte. In Gesellschaft eines reichen schwedischen Kaufmannes machte er eine Kunstreise durch die Niederlande, um Konzerte zu geben, aber der Erfolg entsprach sehr wenig seinen Erwartungen. Diese Lebensumstände erfuhren wir nur ruck- und stoßweise: denn Klein vermied es, von sich selbst zu sprechen, auch verbrämte er seine kurzen Notizen mit allerhand lächerlichen Ausschmückungen, die uns oft zweifelhaft ließen, ob er die Wahrheit sage oder nicht. Seine Sucht, alles in das komische zu ziehn, verließ ihn auch hier keinen Augenblick. Er verfiel dann in den höchst naiven Kölner Dialekt, obgleich er sonst ein völlig reines Deutsch sprach. Das Drastische seiner Anekdoten lag mehr in dem Ausdrucke, als in der Sache: denn wenn wir die Geschichten nacherzählen wollten, so wurden sie schaal. In entgegengesetzter Richtung gewannen seine Kompositionen ebenfalls ihre höchste Weihe erst durch die tiefe Innigkeit seines Vortrages; von anderen Stimmen gesungen behielten sie zwar immer ihren musikalischen Werth, aber es fehlte ihnen der schönste Schmelz. Neben den Opernaufführungen gedenke ich als Lichtpunktes unserer musikalischen Leistungen einer Spreefahrt nach Treptow im Sommer 1818. Klein komponirte dazu vierstimmig die beiden reizenden Lieder aus dem Anfange des Wilhelm Tell: Es lächelt der See, und Ihr Matten lebt wohl. Bei der Heimfahrt im ruhigen Mondschein wurden diese und andere Stücke von den bekannten ausgesuchten Stimmen mit seltner Vollendung vorgetragen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/208
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/208>, abgerufen am 27.11.2024.