Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].seiner Meinung. Da Klein, wenn er wollte, von unwiderstehlicher Liebenswürdigkeit sein konnte, und außerdem den mancherlei feinen Weinen an meines Vaters Tische die vollste Gerechtigkeit widerfahren ließ, so mochte ihn mein Vater sehr gut leiden, allein er äußerte einmal im Vertrauen zu Tante Jettchen: meine Lilli geb' ich ihm doch nicht! Erst 2 Jahre nach meines Vaters Tode heirathete Klein meine Schwester. Kleins Aeußeres war auf den ersten Blick nicht gewinnend. Mehr groß als schlank zeigte er in seinen Bewegungen etwas eckiges und unbeholfenes, seine Sprache war kurz, abgerissen, heftig. Unter einer hohen bedeutenden Stirn lagen die kleinen grauen Augen hinter einer Brille versteckt, die er manchmal sogar in der Nacht trug. Wenn er sie ja einmal abnahm, so sah er aus wie ein Maulwurf, den man an das Tageslicht gezogen. Wilhelm Schadows Zeichnung seines Kopfes ist ohne Brille, giebt daher den Karakter des Mannes gar nicht wieder. Die Nase war klein und stumpf, die vorstehende Unterlippe beim Sprechen sehr leicht zu einem höhnischen Lächeln verzogen. Alle diese Mängel verschwanden, sobald er sich zu Gesang oder Spiel an das Klavier setzte. Hier war er recht eigentlich an seinem Platze. Das blöde Auge schien sich zu höherem Glänze zu verklären, der Ausdruck des blassen Gesichtes ward ein erhobener, begeisterter. An Fingerfertigkeit that es ihm mancher der damaligen Klavierseiltänzer zuvor, in der melodischen Zartheit des Anschlages war ihm sein Freund Ludwig Berger überlegen, doch in dem seelenvollen Vortrage, in dem ächt musikalischen Ausdrucke, im tiefen Verständnisse des Sinnes war Klein seiner Meinung. Da Klein, wenn er wollte, von unwiderstehlicher Liebenswürdigkeit sein konnte, und außerdem den mancherlei feinen Weinen an meines Vaters Tische die vollste Gerechtigkeit widerfahren ließ, so mochte ihn mein Vater sehr gut leiden, allein er äußerte einmal im Vertrauen zu Tante Jettchen: meine Lilli geb’ ich ihm doch nicht! Erst 2 Jahre nach meines Vaters Tode heirathete Klein meine Schwester. Kleins Aeußeres war auf den ersten Blick nicht gewinnend. Mehr groß als schlank zeigte er in seinen Bewegungen etwas eckiges und unbeholfenes, seine Sprache war kurz, abgerissen, heftig. Unter einer hohen bedeutenden Stirn lagen die kleinen grauen Augen hinter einer Brille versteckt, die er manchmal sogar in der Nacht trug. Wenn er sie ja einmal abnahm, so sah er aus wie ein Maulwurf, den man an das Tageslicht gezogen. Wilhelm Schadows Zeichnung seines Kopfes ist ohne Brille, giebt daher den Karakter des Mannes gar nicht wieder. Die Nase war klein und stumpf, die vorstehende Unterlippe beim Sprechen sehr leicht zu einem höhnischen Lächeln verzogen. Alle diese Mängel verschwanden, sobald er sich zu Gesang oder Spiel an das Klavier setzte. Hier war er recht eigentlich an seinem Platze. Das blöde Auge schien sich zu höherem Glänze zu verklären, der Ausdruck des blassen Gesichtes ward ein erhobener, begeisterter. An Fingerfertigkeit that es ihm mancher der damaligen Klavierseiltänzer zuvor, in der melodischen Zartheit des Anschlages war ihm sein Freund Ludwig Berger überlegen, doch in dem seelenvollen Vortrage, in dem ächt musikalischen Ausdrucke, im tiefen Verständnisse des Sinnes war Klein <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0203" n="195"/> seiner Meinung. 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Die Nase war klein und stumpf, die vorstehende Unterlippe beim Sprechen sehr leicht zu einem höhnischen Lächeln verzogen. </p><lb/> <p>Alle diese Mängel verschwanden, sobald er sich zu Gesang oder Spiel an das Klavier setzte. Hier war er recht eigentlich an seinem Platze. Das blöde Auge schien sich zu höherem Glänze zu verklären, der Ausdruck des blassen Gesichtes ward ein erhobener, begeisterter. An Fingerfertigkeit that es ihm mancher der damaligen Klavierseiltänzer zuvor, in der melodischen Zartheit des Anschlages war ihm sein Freund Ludwig Berger überlegen, doch in dem seelenvollen Vortrage, in dem ächt musikalischen Ausdrucke, im tiefen Verständnisse des Sinnes war Klein </p> </div> </body> </text> </TEI> [195/0203]
seiner Meinung. Da Klein, wenn er wollte, von unwiderstehlicher Liebenswürdigkeit sein konnte, und außerdem den mancherlei feinen Weinen an meines Vaters Tische die vollste Gerechtigkeit widerfahren ließ, so mochte ihn mein Vater sehr gut leiden, allein er äußerte einmal im Vertrauen zu Tante Jettchen: meine Lilli geb’ ich ihm doch nicht! Erst 2 Jahre nach meines Vaters Tode heirathete Klein meine Schwester.
Kleins Aeußeres war auf den ersten Blick nicht gewinnend. Mehr groß als schlank zeigte er in seinen Bewegungen etwas eckiges und unbeholfenes, seine Sprache war kurz, abgerissen, heftig. Unter einer hohen bedeutenden Stirn lagen die kleinen grauen Augen hinter einer Brille versteckt, die er manchmal sogar in der Nacht trug. Wenn er sie ja einmal abnahm, so sah er aus wie ein Maulwurf, den man an das Tageslicht gezogen. Wilhelm Schadows Zeichnung seines Kopfes ist ohne Brille, giebt daher den Karakter des Mannes gar nicht wieder. Die Nase war klein und stumpf, die vorstehende Unterlippe beim Sprechen sehr leicht zu einem höhnischen Lächeln verzogen.
Alle diese Mängel verschwanden, sobald er sich zu Gesang oder Spiel an das Klavier setzte. Hier war er recht eigentlich an seinem Platze. Das blöde Auge schien sich zu höherem Glänze zu verklären, der Ausdruck des blassen Gesichtes ward ein erhobener, begeisterter. An Fingerfertigkeit that es ihm mancher der damaligen Klavierseiltänzer zuvor, in der melodischen Zartheit des Anschlages war ihm sein Freund Ludwig Berger überlegen, doch in dem seelenvollen Vortrage, in dem ächt musikalischen Ausdrucke, im tiefen Verständnisse des Sinnes war Klein
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