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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

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ganz vorzüglich thätig und hülfreich, indem er die Genugthuung hatte, seine medizinischen Kenntnisse zur Geltung zu bringen. Er belehrte uns, daß die Vereinigung der Kniemuskeln zur mannigfaltigen Bewegung des Beines eine sehr zusammengesetzte sei; sie finde ihren Mittelpunkt in der Kniescheibe, die deshalb im kunstvollen Baue des menschlichen Körpers ganz einzig dastehe. Wir litten durchaus keinen bezahlten Krankenwärter, sondern theilten uns in die Nachtwachen, die zum Glück nicht lange nöthig blieben. Die Kur nahm einen so günstigen Verlauf, daß Kohlrausch mehr als einmal versicherte, eine solche vis medicatrix (Heilkraft) sei ihm bei einem Manne von 70 Jahren nicht leicht vorgekommen.

Als es nun ausführlich besprochen ward, wie es denn gekommen sei, daß mein Vater ganz gegen seine Gewohnheit den schneebedekten Hof betreten habe, so stellte es sich heraus, daß der Marschall Ney, mittelbar also der Kaiser Napoleon I., der schon soviel Unheil über uns gebracht, auch an diesem Unfalle Schuld sei. Ney war bekanntlich wegen seines Verhaltens während der hundert Tage von der bourbonischen Regierung verhaftet und kriegsrechtlich erschossen worden. Man konnte den muthigen Feldherm bedauern, den Napoleon 1812 "le brave des braves" genannt, aber gegen die Korrektheit des Urtheils ließ sich kaum etwas einwenden: denn Ney hatte offenbar den König Ludwig XVIII. verrathen, indem er mit seinem ganzen Armeecorps zu Napoleon überging. Nun ließ irgend ein deutscher Litterat sich beikommen, eine Vertbeidigung des Marschalls Ney zu schreiben, und sie meinem Vater zum Verlage anzubieten. Dieser hatte durchaus keine Neigung, die Broschüre zu drucken, überließ aber gern die abschlä-

ganz vorzüglich thätig und hülfreich, indem er die Genugthuung hatte, seine medizinischen Kenntnisse zur Geltung zu bringen. Er belehrte uns, daß die Vereinigung der Kniemuskeln zur mannigfaltigen Bewegung des Beines eine sehr zusammengesetzte sei; sie finde ihren Mittelpunkt in der Kniescheibe, die deshalb im kunstvollen Baue des menschlichen Körpers ganz einzig dastehe. Wir litten durchaus keinen bezahlten Krankenwärter, sondern theilten uns in die Nachtwachen, die zum Glück nicht lange nöthig blieben. Die Kur nahm einen so günstigen Verlauf, daß Kohlrausch mehr als einmal versicherte, eine solche vis medicatrix (Heilkraft) sei ihm bei einem Manne von 70 Jahren nicht leicht vorgekommen.

Als es nun ausführlich besprochen ward, wie es denn gekommen sei, daß mein Vater ganz gegen seine Gewohnheit den schneebedekten Hof betreten habe, so stellte es sich heraus, daß der Marschall Ney, mittelbar also der Kaiser Napoléon I., der schon soviel Unheil über uns gebracht, auch an diesem Unfalle Schuld sei. Ney war bekanntlich wegen seines Verhaltens während der hundert Tage von der bourbonischen Regierung verhaftet und kriegsrechtlich erschossen worden. Man konnte den muthigen Feldherm bedauern, den Napoléon 1812 „le brave des braves“ genannt, aber gegen die Korrektheit des Urtheils ließ sich kaum etwas einwenden: denn Ney hatte offenbar den König Ludwig XVIII. verrathen, indem er mit seinem ganzen Armeecorps zu Napoléon überging. Nun ließ irgend ein deutscher Litterat sich beikommen, eine Vertbeidigung des Marschalls Ney zu schreiben, und sie meinem Vater zum Verlage anzubieten. Dieser hatte durchaus keine Neigung, die Broschüre zu drucken, überließ aber gern die abschlä-

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[181/0189] ganz vorzüglich thätig und hülfreich, indem er die Genugthuung hatte, seine medizinischen Kenntnisse zur Geltung zu bringen. Er belehrte uns, daß die Vereinigung der Kniemuskeln zur mannigfaltigen Bewegung des Beines eine sehr zusammengesetzte sei; sie finde ihren Mittelpunkt in der Kniescheibe, die deshalb im kunstvollen Baue des menschlichen Körpers ganz einzig dastehe. Wir litten durchaus keinen bezahlten Krankenwärter, sondern theilten uns in die Nachtwachen, die zum Glück nicht lange nöthig blieben. Die Kur nahm einen so günstigen Verlauf, daß Kohlrausch mehr als einmal versicherte, eine solche vis medicatrix (Heilkraft) sei ihm bei einem Manne von 70 Jahren nicht leicht vorgekommen. Als es nun ausführlich besprochen ward, wie es denn gekommen sei, daß mein Vater ganz gegen seine Gewohnheit den schneebedekten Hof betreten habe, so stellte es sich heraus, daß der Marschall Ney, mittelbar also der Kaiser Napoléon I., der schon soviel Unheil über uns gebracht, auch an diesem Unfalle Schuld sei. Ney war bekanntlich wegen seines Verhaltens während der hundert Tage von der bourbonischen Regierung verhaftet und kriegsrechtlich erschossen worden. Man konnte den muthigen Feldherm bedauern, den Napoléon 1812 „le brave des braves“ genannt, aber gegen die Korrektheit des Urtheils ließ sich kaum etwas einwenden: denn Ney hatte offenbar den König Ludwig XVIII. verrathen, indem er mit seinem ganzen Armeecorps zu Napoléon überging. Nun ließ irgend ein deutscher Litterat sich beikommen, eine Vertbeidigung des Marschalls Ney zu schreiben, und sie meinem Vater zum Verlage anzubieten. Dieser hatte durchaus keine Neigung, die Broschüre zu drucken, überließ aber gern die abschlä-

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/189>, abgerufen am 22.11.2024.