Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].Geschäftskenntniß. In den Ruhestand versetzt lebte er einige Jahre in Bonn, und starb, mehr als 80jährig in Berlin. Als ich ihn kurz vor seinem Tode noch einmal wiedersah, war es mir ein unbeschreiblich wohlthuendes Gefühl, daß er sich meiner Aeltern und des ganzen schönen Kreises in unserem Hause mit wahrer Anerkennung und mit der wärmsten Dankbarkeit erinnerte. Ueber religiöse Gegenstände hatte ich bei zunehmenden Jahren auch Unterredungen mit meinem Vater, die von denen mit Paul sehr verschieden waren. Auf metaphysische oder dogmatische Fragen ließ mein Vater sich gar nicht ein, aber dafür fand ich bei ihm die wahre Religion des Herzens, der ein gottgefälliger Wandel mehr gilt als ein todtes Glaubensbekenntniß. Meines Vaters Jugend lag in einer Zeit, wo zwar die Orthodoxie von allen Kanzeln herab gegen alle Andersdenkenden donnerte, wo aber auch Lessings Wolfenbütteler Fragmente, Eberhards Apologie des Sokrates u. a. Eingang beim denkenden Publikum fanden. Franklins Ansehn als Philanthrop und Freund der Freiheit, sein Ruhm als bürgerlicher Gesandter der jungen Republik Amerika in Paris, standen damals in höchster Blüte. Mein Vater schätzte diesen ausgezeichneten Mann auf das höchste; er gab mir ein kleines Büchlein von Franklin, das eine kurze Anweisung zur Uebung in der Tugend enthielt. Die verschiedenen guten und schlechten Eigenschaften des Menschen waren darin aufgezählt, und es wurde die Aufgabe gestellt, sich nach und nach, in kurzen Zwischenräumen im Guten zu üben und vom Schlechten abzuwenden. Eine Woche lang sollte man sich besonders Geschäftskenntniß. In den Ruhestand versetzt lebte er einige Jahre in Bonn, und starb, mehr als 80jährig in Berlin. Als ich ihn kurz vor seinem Tode noch einmal wiedersah, war es mir ein unbeschreiblich wohlthuendes Gefühl, daß er sich meiner Aeltern und des ganzen schönen Kreises in unserem Hause mit wahrer Anerkennung und mit der wärmsten Dankbarkeit erinnerte. Ueber religiöse Gegenstände hatte ich bei zunehmenden Jahren auch Unterredungen mit meinem Vater, die von denen mit Paul sehr verschieden waren. Auf metaphysische oder dogmatische Fragen ließ mein Vater sich gar nicht ein, aber dafür fand ich bei ihm die wahre Religion des Herzens, der ein gottgefälliger Wandel mehr gilt als ein todtes Glaubensbekenntniß. Meines Vaters Jugend lag in einer Zeit, wo zwar die Orthodoxie von allen Kanzeln herab gegen alle Andersdenkenden donnerte, wo aber auch Lessings Wolfenbütteler Fragmente, Eberhards Apologie des Sokrates u. a. Eingang beim denkenden Publikum fanden. Franklins Ansehn als Philanthrop und Freund der Freiheit, sein Ruhm als bürgerlicher Gesandter der jungen Republik Amerika in Paris, standen damals in höchster Blüte. Mein Vater schätzte diesen ausgezeichneten Mann auf das höchste; er gab mir ein kleines Büchlein von Franklin, das eine kurze Anweisung zur Uebung in der Tugend enthielt. Die verschiedenen guten und schlechten Eigenschaften des Menschen waren darin aufgezählt, und es wurde die Aufgabe gestellt, sich nach und nach, in kurzen Zwischenräumen im Guten zu üben und vom Schlechten abzuwenden. Eine Woche lang sollte man sich besonders <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0182" n="174"/> Geschäftskenntniß. In den Ruhestand versetzt lebte er einige Jahre in Bonn, und starb, mehr als 80jährig in Berlin. Als ich ihn kurz vor seinem Tode noch einmal wiedersah, war es mir ein unbeschreiblich wohlthuendes Gefühl, daß er sich meiner Aeltern und des ganzen schönen Kreises in unserem Hause mit wahrer Anerkennung und mit der wärmsten Dankbarkeit erinnerte. </p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Ueber religiöse Gegenstände hatte ich bei zunehmenden Jahren auch Unterredungen mit meinem Vater, die von denen mit Paul sehr verschieden waren. Auf metaphysische oder dogmatische Fragen ließ mein Vater sich gar nicht ein, aber dafür fand ich bei ihm die wahre Religion des Herzens, der ein gottgefälliger Wandel mehr gilt als ein todtes Glaubensbekenntniß. Meines Vaters Jugend lag in einer Zeit, wo zwar die Orthodoxie von allen Kanzeln herab gegen alle Andersdenkenden donnerte, wo aber auch Lessings Wolfenbütteler Fragmente, Eberhards Apologie des Sokrates u. a. Eingang beim denkenden Publikum fanden. Franklins Ansehn als Philanthrop und Freund der Freiheit, sein Ruhm als bürgerlicher Gesandter der jungen Republik Amerika in Paris, standen damals in höchster Blüte. Mein Vater schätzte diesen ausgezeichneten Mann auf das höchste; er gab mir ein kleines Büchlein von Franklin, das eine kurze Anweisung zur Uebung in der Tugend enthielt. Die verschiedenen guten und schlechten Eigenschaften des Menschen waren darin aufgezählt, und es wurde die Aufgabe gestellt, sich nach und nach, in kurzen Zwischenräumen im Guten zu üben und vom Schlechten abzuwenden. Eine Woche lang sollte man sich besonders </p> </div> </body> </text> </TEI> [174/0182]
Geschäftskenntniß. In den Ruhestand versetzt lebte er einige Jahre in Bonn, und starb, mehr als 80jährig in Berlin. Als ich ihn kurz vor seinem Tode noch einmal wiedersah, war es mir ein unbeschreiblich wohlthuendes Gefühl, daß er sich meiner Aeltern und des ganzen schönen Kreises in unserem Hause mit wahrer Anerkennung und mit der wärmsten Dankbarkeit erinnerte.
Ueber religiöse Gegenstände hatte ich bei zunehmenden Jahren auch Unterredungen mit meinem Vater, die von denen mit Paul sehr verschieden waren. Auf metaphysische oder dogmatische Fragen ließ mein Vater sich gar nicht ein, aber dafür fand ich bei ihm die wahre Religion des Herzens, der ein gottgefälliger Wandel mehr gilt als ein todtes Glaubensbekenntniß. Meines Vaters Jugend lag in einer Zeit, wo zwar die Orthodoxie von allen Kanzeln herab gegen alle Andersdenkenden donnerte, wo aber auch Lessings Wolfenbütteler Fragmente, Eberhards Apologie des Sokrates u. a. Eingang beim denkenden Publikum fanden. Franklins Ansehn als Philanthrop und Freund der Freiheit, sein Ruhm als bürgerlicher Gesandter der jungen Republik Amerika in Paris, standen damals in höchster Blüte. Mein Vater schätzte diesen ausgezeichneten Mann auf das höchste; er gab mir ein kleines Büchlein von Franklin, das eine kurze Anweisung zur Uebung in der Tugend enthielt. Die verschiedenen guten und schlechten Eigenschaften des Menschen waren darin aufgezählt, und es wurde die Aufgabe gestellt, sich nach und nach, in kurzen Zwischenräumen im Guten zu üben und vom Schlechten abzuwenden. Eine Woche lang sollte man sich besonders
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/182>, abgerufen am 16.02.2025. |