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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

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faden über das Leben Jesu drucken lassen, wonach er uns unterrichtete. Er verweilte hauptsächlich bei den ewig schönen Parabeln und Gleichnissen, deren tiefer sittlicher Gehalt den Menschen als Heilmittel der moralischen Gebrechen für alle Zeiten dienen wird. Die Wunder betrachtete er als damals geglaubte Vorgänge, über die wir nicht urtheilen können, die aber für den Inhalt der christlichen Lehre nicht die mindeste Beweiskraft haben. Später fand ich, daß dies nahezu mit Lessings Ansicht übereinstimmt. Von dem geisttödtenden Auswendiglernen der veralteten und oft unverständlichen Kirchenlieder, welches jetzt wieder Mode geworden, blieben wir gänzlich verschont.

Auf dem Grauen Kloster wurden die beiden wöchentlichen Religionsstunden mit Bibellesen ausgefüllt. In Secunda hielt der Prediger (später Bischof) Ritschl uns allgemein-moralische Vorträge, die in der Form nichts zu wünschen übrig ließen, doch nicht im Stande waren, die Aufmerksamkeit auf längere Zeit zu fesseln. In Prima leitete Direktor Bellermann den Religionsunterricht, und behandelte sehr ausführlich die drei Hauptthemata: Gott, Vorsehung, Unsterblichkeit. Noch heute ist es mir auffallend, daß in der Schule und auf dem Gymnasium die Kirchengeschichte ganz vernachlässigt wurde: denn ich bin der Ueberzeugung, daß eine verständige vorurtheilsfreie biblische und Kirchengeschichte die beste Grundlage für allen Religionsunterricht bildet.

Der Gegenstand meiner Unterredungen mit Paul auf unseren einsamen Spaziergängen durch den trostlosen Sand der Hasenheide und die öden Steppen des Tempelhofer (jetzt Kreuz-) Berges lag anfangs im Gebiete der Dogmatik. Paul war der anregende, zweifelnde, dialektische

faden über das Leben Jesu drucken lassen, wonach er uns unterrichtete. Er verweilte hauptsächlich bei den ewig schönen Parabeln und Gleichnissen, deren tiefer sittlicher Gehalt den Menschen als Heilmittel der moralischen Gebrechen für alle Zeiten dienen wird. Die Wunder betrachtete er als damals geglaubte Vorgänge, über die wir nicht urtheilen können, die aber für den Inhalt der christlichen Lehre nicht die mindeste Beweiskraft haben. Später fand ich, daß dies nahezu mit Lessings Ansicht übereinstimmt. Von dem geisttödtenden Auswendiglernen der veralteten und oft unverständlichen Kirchenlieder, welches jetzt wieder Mode geworden, blieben wir gänzlich verschont.

Auf dem Grauen Kloster wurden die beiden wöchentlichen Religionsstunden mit Bibellesen ausgefüllt. In Secunda hielt der Prediger (später Bischof) Ritschl uns allgemein-moralische Vorträge, die in der Form nichts zu wünschen übrig ließen, doch nicht im Stande waren, die Aufmerksamkeit auf längere Zeit zu fesseln. In Prima leitete Direktor Bellermann den Religionsunterricht, und behandelte sehr ausführlich die drei Hauptthemata: Gott, Vorsehung, Unsterblichkeit. Noch heute ist es mir auffallend, daß in der Schule und auf dem Gymnasium die Kirchengeschichte ganz vernachlässigt wurde: denn ich bin der Ueberzeugung, daß eine verständige vorurtheilsfreie biblische und Kirchengeschichte die beste Grundlage für allen Religionsunterricht bildet.

Der Gegenstand meiner Unterredungen mit Paul auf unseren einsamen Spaziergängen durch den trostlosen Sand der Hasenheide und die öden Steppen des Tempelhofer (jetzt Kreuz-) Berges lag anfangs im Gebiete der Dogmatik. Paul war der anregende, zweifelnde, dialektische

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[161/0169] faden über das Leben Jesu drucken lassen, wonach er uns unterrichtete. Er verweilte hauptsächlich bei den ewig schönen Parabeln und Gleichnissen, deren tiefer sittlicher Gehalt den Menschen als Heilmittel der moralischen Gebrechen für alle Zeiten dienen wird. Die Wunder betrachtete er als damals geglaubte Vorgänge, über die wir nicht urtheilen können, die aber für den Inhalt der christlichen Lehre nicht die mindeste Beweiskraft haben. Später fand ich, daß dies nahezu mit Lessings Ansicht übereinstimmt. Von dem geisttödtenden Auswendiglernen der veralteten und oft unverständlichen Kirchenlieder, welches jetzt wieder Mode geworden, blieben wir gänzlich verschont. Auf dem Grauen Kloster wurden die beiden wöchentlichen Religionsstunden mit Bibellesen ausgefüllt. In Secunda hielt der Prediger (später Bischof) Ritschl uns allgemein-moralische Vorträge, die in der Form nichts zu wünschen übrig ließen, doch nicht im Stande waren, die Aufmerksamkeit auf längere Zeit zu fesseln. In Prima leitete Direktor Bellermann den Religionsunterricht, und behandelte sehr ausführlich die drei Hauptthemata: Gott, Vorsehung, Unsterblichkeit. Noch heute ist es mir auffallend, daß in der Schule und auf dem Gymnasium die Kirchengeschichte ganz vernachlässigt wurde: denn ich bin der Ueberzeugung, daß eine verständige vorurtheilsfreie biblische und Kirchengeschichte die beste Grundlage für allen Religionsunterricht bildet. Der Gegenstand meiner Unterredungen mit Paul auf unseren einsamen Spaziergängen durch den trostlosen Sand der Hasenheide und die öden Steppen des Tempelhofer (jetzt Kreuz-) Berges lag anfangs im Gebiete der Dogmatik. Paul war der anregende, zweifelnde, dialektische

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/169>, abgerufen am 22.11.2024.