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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

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sich von den Blumengerüsten vor dem Fenster in die stille Stube verirrten. Ihre Altstimme hatte keinen großen Umfang, aber ihr Gesang sprach zum Herzen durch die Wärme des Vortrages.

Das meiste Talent zur Musik zeigte mein jüngerer Bruder Moritz, der schon am Klaviere saß, ehe seine Beinchen den Boden erreichten. Im Ueben war er unverdrossen, und besiegte bald, unter der treflichen Leitung von Ludwig Berger, die grösten Schwierigkeiten. Er widmete sich später ganz der Musik; da ihm aber die Gabe, eigenes zu schaffen, versagt war, und er sich niemals öffentlich hören ließ, so begnügte er sich mit dem bescheidenen Loose eines Privatvirtuosen. Seine musikalische Bibliothek umfaßt alle modernen Werke in seltner Vollständigkeit.



Mein Vater verdankte, wie schon bemerkt, die gute Aufnahme im Nikolaischen Hause seinem ausgezeichneten Flötenspiel, doch hörten wir mehrmals, wie er sich scherzend beklagte, daß seine beiden Frauen die Flöte nicht geliebt. Er nahm sie daher nur selten zur Hand. Desto mehr staunten wir, als eines Tages laute Flötenmusik aus des Vaters Zimmer herüberschallte, und wir beim Eintritte sahen, daß er ein glänzendes Flötenduett mit einer uns unbekannten Dame ausführte. Es war dies eine ältliche verwittwete Frau von Ehrenberg aus Gera, die auf der Durchreise meinen Vater, als einen früheren Bekannten, aufsuchte. Sie blieb zum Essen, und gefiel uns allen wegen ihres freundlichen anspruchlosen Wesens. Es war viel vom Flötenspiel die Rede und da erregte es die allgemeinste Heiterkeit, als sie uns mittheilte, daß sie zweimal

sich von den Blumengerüsten vor dem Fenster in die stille Stube verirrten. Ihre Altstimme hatte keinen großen Umfang, aber ihr Gesang sprach zum Herzen durch die Wärme des Vortrages.

Das meiste Talent zur Musik zeigte mein jüngerer Bruder Moritz, der schon am Klaviere saß, ehe seine Beinchen den Boden erreichten. Im Ueben war er unverdrossen, und besiegte bald, unter der treflichen Leitung von Ludwig Berger, die grösten Schwierigkeiten. Er widmete sich später ganz der Musik; da ihm aber die Gabe, eigenes zu schaffen, versagt war, und er sich niemals öffentlich hören ließ, so begnügte er sich mit dem bescheidenen Loose eines Privatvirtuosen. Seine musikalische Bibliothek umfaßt alle modernen Werke in seltner Vollständigkeit.



Mein Vater verdankte, wie schon bemerkt, die gute Aufnahme im Nikolaischen Hause seinem ausgezeichneten Flötenspiel, doch hörten wir mehrmals, wie er sich scherzend beklagte, daß seine beiden Frauen die Flöte nicht geliebt. Er nahm sie daher nur selten zur Hand. Desto mehr staunten wir, als eines Tages laute Flötenmusik aus des Vaters Zimmer herüberschallte, und wir beim Eintritte sahen, daß er ein glänzendes Flötenduett mit einer uns unbekannten Dame ausführte. Es war dies eine ältliche verwittwete Frau von Ehrenberg aus Gera, die auf der Durchreise meinen Vater, als einen früheren Bekannten, aufsuchte. Sie blieb zum Essen, und gefiel uns allen wegen ihres freundlichen anspruchlosen Wesens. Es war viel vom Flötenspiel die Rede und da erregte es die allgemeinste Heiterkeit, als sie uns mittheilte, daß sie zweimal

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[115/0123] sich von den Blumengerüsten vor dem Fenster in die stille Stube verirrten. Ihre Altstimme hatte keinen großen Umfang, aber ihr Gesang sprach zum Herzen durch die Wärme des Vortrages. Das meiste Talent zur Musik zeigte mein jüngerer Bruder Moritz, der schon am Klaviere saß, ehe seine Beinchen den Boden erreichten. Im Ueben war er unverdrossen, und besiegte bald, unter der treflichen Leitung von Ludwig Berger, die grösten Schwierigkeiten. Er widmete sich später ganz der Musik; da ihm aber die Gabe, eigenes zu schaffen, versagt war, und er sich niemals öffentlich hören ließ, so begnügte er sich mit dem bescheidenen Loose eines Privatvirtuosen. Seine musikalische Bibliothek umfaßt alle modernen Werke in seltner Vollständigkeit. Mein Vater verdankte, wie schon bemerkt, die gute Aufnahme im Nikolaischen Hause seinem ausgezeichneten Flötenspiel, doch hörten wir mehrmals, wie er sich scherzend beklagte, daß seine beiden Frauen die Flöte nicht geliebt. Er nahm sie daher nur selten zur Hand. Desto mehr staunten wir, als eines Tages laute Flötenmusik aus des Vaters Zimmer herüberschallte, und wir beim Eintritte sahen, daß er ein glänzendes Flötenduett mit einer uns unbekannten Dame ausführte. Es war dies eine ältliche verwittwete Frau von Ehrenberg aus Gera, die auf der Durchreise meinen Vater, als einen früheren Bekannten, aufsuchte. Sie blieb zum Essen, und gefiel uns allen wegen ihres freundlichen anspruchlosen Wesens. Es war viel vom Flötenspiel die Rede und da erregte es die allgemeinste Heiterkeit, als sie uns mittheilte, daß sie zweimal

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/123>, abgerufen am 24.11.2024.