Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].in seiner Selbstbiographie, daß er in Göthe "die schönste Vereinigung körperlicher und geistiger Vollkommenheit" gesehn habe. Kaulbachs herrliche Zeichnung führt uns diese Vorstellung in klarster Wirklichkeit vor Augen. Im Tasso fielen dem Wolfschen Ehepaare die beiden Hauptrollen zu. Göthe hatte anfangs geglaubt, daß Wolf der Rolle des Tasso nicht gewachsen sei; dieser hoffte ihn vom Gegentheile zu überzeugen, und spazierte wohl ein halbes Jahr lang alle Morgen mehrere Stunden im Park, den Tasso in der Tasche, so daß er zuletzt fast das ganze Stück auswendig wußte. Nun bat er Göthen, ihm den Tasso vorlesen zu dürfen, und erhielt denn auch die unbedingte Erlaubniß zum Spiel. Man konnte mithin annehmen, in Wolf die Göthesche Idee, so weit dies möglich ist, verkörpert zu sehn. Frau Wolf war als Prinzessin ganz an ihrer Stelle; die vornehme Kälte, die einer aufkeimenden Neigung sich kaum gewachsen zeigt, konnte nicht besser dargestellt werden. Unter uns jungen Leuten bildeten sich bald zwei Parteien, nicht etwa für oder gegen Wolfs Spiel, dessen Vorzüglichkeit keinen Widerspruch fand, wohl aber für und gegen das Stück. Den einen erschienen die Interessen dieses kleinen Hofstaates gar zu kleinlich; das Fleckchen Land, das Antonio für den Herzog erwirbt, sei ja kaum der Rede werth; das Verbrechen, im herzoglichen Palaste den Degen zu ziehn, das doch eigentlich die Peripetie bilde, sei nur ein Verstoß gegen die Hofetikette; Antonios Karakter sei unwahr: denn nach seinem ersten hämischen Benehmen gegen Tasso könne er nicht als sein Freund dargestellt werden, und habe denn der Fels, an den der Schiffbrüchige sich klammert, ihm etwa Rettung aus der in seiner Selbstbiographie, daß er in Göthe „die schönste Vereinigung körperlicher und geistiger Vollkommenheit“ gesehn habe. Kaulbachs herrliche Zeichnung führt uns diese Vorstellung in klarster Wirklichkeit vor Augen. Im Tasso fielen dem Wolfschen Ehepaare die beiden Hauptrollen zu. Göthe hatte anfangs geglaubt, daß Wolf der Rolle des Tasso nicht gewachsen sei; dieser hoffte ihn vom Gegentheile zu überzeugen, und spazierte wohl ein halbes Jahr lang alle Morgen mehrere Stunden im Park, den Tasso in der Tasche, so daß er zuletzt fast das ganze Stück auswendig wußte. Nun bat er Göthen, ihm den Tasso vorlesen zu dürfen, und erhielt denn auch die unbedingte Erlaubniß zum Spiel. Man konnte mithin annehmen, in Wolf die Göthesche Idee, so weit dies möglich ist, verkörpert zu sehn. Frau Wolf war als Prinzessin ganz an ihrer Stelle; die vornehme Kälte, die einer aufkeimenden Neigung sich kaum gewachsen zeigt, konnte nicht besser dargestellt werden. Unter uns jungen Leuten bildeten sich bald zwei Parteien, nicht etwa für oder gegen Wolfs Spiel, dessen Vorzüglichkeit keinen Widerspruch fand, wohl aber für und gegen das Stück. Den einen erschienen die Interessen dieses kleinen Hofstaates gar zu kleinlich; das Fleckchen Land, das Antonio für den Herzog erwirbt, sei ja kaum der Rede werth; das Verbrechen, im herzoglichen Palaste den Degen zu ziehn, das doch eigentlich die Peripetie bilde, sei nur ein Verstoß gegen die Hofetikette; Antonios Karakter sei unwahr: denn nach seinem ersten hämischen Benehmen gegen Tasso könne er nicht als sein Freund dargestellt werden, und habe denn der Fels, an den der Schiffbrüchige sich klammert, ihm etwa Rettung aus der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0105" n="97"/> in seiner Selbstbiographie, daß er in Göthe „die schönste Vereinigung körperlicher und geistiger Vollkommenheit“ gesehn habe. Kaulbachs herrliche Zeichnung führt uns diese Vorstellung in klarster Wirklichkeit vor Augen. </p><lb/> <p>Im Tasso fielen dem Wolfschen Ehepaare die beiden Hauptrollen zu. Göthe hatte anfangs geglaubt, daß Wolf der Rolle des Tasso nicht gewachsen sei; dieser hoffte ihn vom Gegentheile zu überzeugen, und spazierte wohl ein halbes Jahr lang alle Morgen mehrere Stunden im Park, den Tasso in der Tasche, so daß er zuletzt fast das ganze Stück auswendig wußte. Nun bat er Göthen, ihm den Tasso vorlesen zu dürfen, und erhielt denn auch die unbedingte Erlaubniß zum Spiel. Man konnte mithin annehmen, in Wolf die Göthesche Idee, so weit dies möglich ist, verkörpert zu sehn. Frau Wolf war als Prinzessin ganz an ihrer Stelle; die vornehme Kälte, die einer aufkeimenden Neigung sich kaum gewachsen zeigt, konnte nicht besser dargestellt werden. </p><lb/> <p>Unter uns jungen Leuten bildeten sich bald zwei Parteien, nicht etwa für oder gegen Wolfs Spiel, dessen Vorzüglichkeit keinen Widerspruch fand, wohl aber für und gegen das Stück. Den einen erschienen die Interessen dieses kleinen Hofstaates gar zu kleinlich; das Fleckchen Land, das Antonio für den Herzog erwirbt, sei ja kaum der Rede werth; das Verbrechen, im herzoglichen Palaste den Degen zu ziehn, das doch eigentlich die Peripetie bilde, sei nur ein Verstoß gegen die Hofetikette; Antonios Karakter sei unwahr: denn nach seinem ersten hämischen Benehmen gegen Tasso könne er nicht als sein Freund dargestellt werden, und habe denn der Fels, an den der Schiffbrüchige sich klammert, ihm etwa Rettung aus der </p> </div> </body> </text> </TEI> [97/0105]
in seiner Selbstbiographie, daß er in Göthe „die schönste Vereinigung körperlicher und geistiger Vollkommenheit“ gesehn habe. Kaulbachs herrliche Zeichnung führt uns diese Vorstellung in klarster Wirklichkeit vor Augen.
Im Tasso fielen dem Wolfschen Ehepaare die beiden Hauptrollen zu. Göthe hatte anfangs geglaubt, daß Wolf der Rolle des Tasso nicht gewachsen sei; dieser hoffte ihn vom Gegentheile zu überzeugen, und spazierte wohl ein halbes Jahr lang alle Morgen mehrere Stunden im Park, den Tasso in der Tasche, so daß er zuletzt fast das ganze Stück auswendig wußte. Nun bat er Göthen, ihm den Tasso vorlesen zu dürfen, und erhielt denn auch die unbedingte Erlaubniß zum Spiel. Man konnte mithin annehmen, in Wolf die Göthesche Idee, so weit dies möglich ist, verkörpert zu sehn. Frau Wolf war als Prinzessin ganz an ihrer Stelle; die vornehme Kälte, die einer aufkeimenden Neigung sich kaum gewachsen zeigt, konnte nicht besser dargestellt werden.
Unter uns jungen Leuten bildeten sich bald zwei Parteien, nicht etwa für oder gegen Wolfs Spiel, dessen Vorzüglichkeit keinen Widerspruch fand, wohl aber für und gegen das Stück. Den einen erschienen die Interessen dieses kleinen Hofstaates gar zu kleinlich; das Fleckchen Land, das Antonio für den Herzog erwirbt, sei ja kaum der Rede werth; das Verbrechen, im herzoglichen Palaste den Degen zu ziehn, das doch eigentlich die Peripetie bilde, sei nur ein Verstoß gegen die Hofetikette; Antonios Karakter sei unwahr: denn nach seinem ersten hämischen Benehmen gegen Tasso könne er nicht als sein Freund dargestellt werden, und habe denn der Fels, an den der Schiffbrüchige sich klammert, ihm etwa Rettung aus der
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription.
(2014-01-07T13:04:32Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1)
(2014-01-07T13:04:32Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |