Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].Judenkönig. Devrient hatte in dem Stücke die Hauptrolle eines eben flügge gewordenen Judenjungen, der auf die Wanderschaft geht, um Geld zu erwerben. Da die Rollen alle schon eingelernt waren, als die Aufführung inhibirt ward, so machte sich Devrient ein Vergnügen daraus, ganze Scenen in dem Weinhause bei Lutter und Wegner, das er alle Tage besuchte, darzustellen. Endlich wurde die Aufführung durchgesetzt, und das Stück erhielt einen ungeheuern, vielleicht unverdienten Beifall. Durch die Bemühungen des Grafen Brühl wurde das Wolfsche Ehepaar aus Weimar für die Berliner Bühne gewonnen. Wolf hatte sich ganz und gar nach Göthes Vorschriften gebildet; auch Frau Wolf, geborne Malcolmi, erhielt in Weimar eine gute Schule. Die Götheschen Stücke wurden nun in Berlin mit wahrer Vollendung dargestellt. Zu den besten Rollen der Frau Wolf gehörte die Iphigenie, in der sie durch ihre Kunst fast eben so plastisch-antik erschien, als die Milder durch ihre Natur in der gleichnamigen Gluckschen Oper. Etwas hinderlich war der Wolf ihr hohes Organ, das keine große Anstrengung vertrug; sie wußte es so geschickt zu gebrauchen, daß sie auf das glücklichste Wohllaut und Deutlichkeit vereinigte. Wolf gab den Orest mit wahrem Verständniß des Karakters. Auch sein Organ war nicht stark, aber er wandte es mit weiser Mäßigung an, und erhielt sich bis ans Ende auf gleicher Höhe; nur fehlte es ihm in den hochtragischen Scenen an Kraft. Göthe selbst spielte in seiner Jugend den Orest auf dem kleinen Theater in Ettersburg, Frau von Stein die Iphigenie, der Herzog den Pylades. Dieser Vorstellung wohnte Dr. Hufeland, als Leibarzt des Herzogs bei; er sagt darüber Judenkönig. Devrient hatte in dem Stücke die Hauptrolle eines eben flügge gewordenen Judenjungen, der auf die Wanderschaft geht, um Geld zu erwerben. Da die Rollen alle schon eingelernt waren, als die Aufführung inhibirt ward, so machte sich Devrient ein Vergnügen daraus, ganze Scenen in dem Weinhause bei Lutter und Wegner, das er alle Tage besuchte, darzustellen. Endlich wurde die Aufführung durchgesetzt, und das Stück erhielt einen ungeheuern, vielleicht unverdienten Beifall. Durch die Bemühungen des Grafen Brühl wurde das Wolfsche Ehepaar aus Weimar für die Berliner Bühne gewonnen. Wolf hatte sich ganz und gar nach Göthes Vorschriften gebildet; auch Frau Wolf, geborne Malcolmi, erhielt in Weimar eine gute Schule. Die Götheschen Stücke wurden nun in Berlin mit wahrer Vollendung dargestellt. Zu den besten Rollen der Frau Wolf gehörte die Iphigenie, in der sie durch ihre Kunst fast eben so plastisch-antik erschien, als die Milder durch ihre Natur in der gleichnamigen Gluckschen Oper. Etwas hinderlich war der Wolf ihr hohes Organ, das keine große Anstrengung vertrug; sie wußte es so geschickt zu gebrauchen, daß sie auf das glücklichste Wohllaut und Deutlichkeit vereinigte. Wolf gab den Orest mit wahrem Verständniß des Karakters. Auch sein Organ war nicht stark, aber er wandte es mit weiser Mäßigung an, und erhielt sich bis ans Ende auf gleicher Höhe; nur fehlte es ihm in den hochtragischen Scenen an Kraft. Göthe selbst spielte in seiner Jugend den Orest auf dem kleinen Theater in Ettersburg, Frau von Stein die Iphigenie, der Herzog den Pylades. Dieser Vorstellung wohnte Dr. Hufeland, als Leibarzt des Herzogs bei; er sagt darüber <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0104" n="96"/> Judenkönig. Devrient hatte in dem Stücke die Hauptrolle eines eben flügge gewordenen Judenjungen, der auf die Wanderschaft geht, um Geld zu erwerben. Da die Rollen alle schon eingelernt waren, als die Aufführung inhibirt ward, so machte sich Devrient ein Vergnügen daraus, ganze Scenen in dem Weinhause bei Lutter und Wegner, das er alle Tage besuchte, darzustellen. Endlich wurde die Aufführung durchgesetzt, und das Stück erhielt einen ungeheuern, vielleicht unverdienten Beifall. </p><lb/> <p>Durch die Bemühungen des Grafen Brühl wurde das Wolfsche Ehepaar aus Weimar für die Berliner Bühne gewonnen. Wolf hatte sich ganz und gar nach Göthes Vorschriften gebildet; auch Frau Wolf, geborne Malcolmi, erhielt in Weimar eine gute Schule. Die Götheschen Stücke wurden nun in Berlin mit wahrer Vollendung dargestellt. Zu den besten Rollen der Frau Wolf gehörte die Iphigenie, in der sie durch ihre Kunst fast eben so plastisch-antik erschien, als die Milder durch ihre Natur in der gleichnamigen Gluckschen Oper. Etwas hinderlich war der Wolf ihr hohes Organ, das keine große Anstrengung vertrug; sie wußte es so geschickt zu gebrauchen, daß sie auf das glücklichste Wohllaut und Deutlichkeit vereinigte. Wolf gab den Orest mit wahrem Verständniß des Karakters. Auch sein Organ war nicht stark, aber er wandte es mit weiser Mäßigung an, und erhielt sich bis ans Ende auf gleicher Höhe; nur fehlte es ihm in den hochtragischen Scenen an Kraft. Göthe selbst spielte in seiner Jugend den Orest auf dem kleinen Theater in Ettersburg, Frau von Stein die Iphigenie, der Herzog den Pylades. Dieser Vorstellung wohnte Dr. Hufeland, als Leibarzt des Herzogs bei; er sagt darüber </p> </div> </body> </text> </TEI> [96/0104]
Judenkönig. Devrient hatte in dem Stücke die Hauptrolle eines eben flügge gewordenen Judenjungen, der auf die Wanderschaft geht, um Geld zu erwerben. Da die Rollen alle schon eingelernt waren, als die Aufführung inhibirt ward, so machte sich Devrient ein Vergnügen daraus, ganze Scenen in dem Weinhause bei Lutter und Wegner, das er alle Tage besuchte, darzustellen. Endlich wurde die Aufführung durchgesetzt, und das Stück erhielt einen ungeheuern, vielleicht unverdienten Beifall.
Durch die Bemühungen des Grafen Brühl wurde das Wolfsche Ehepaar aus Weimar für die Berliner Bühne gewonnen. Wolf hatte sich ganz und gar nach Göthes Vorschriften gebildet; auch Frau Wolf, geborne Malcolmi, erhielt in Weimar eine gute Schule. Die Götheschen Stücke wurden nun in Berlin mit wahrer Vollendung dargestellt. Zu den besten Rollen der Frau Wolf gehörte die Iphigenie, in der sie durch ihre Kunst fast eben so plastisch-antik erschien, als die Milder durch ihre Natur in der gleichnamigen Gluckschen Oper. Etwas hinderlich war der Wolf ihr hohes Organ, das keine große Anstrengung vertrug; sie wußte es so geschickt zu gebrauchen, daß sie auf das glücklichste Wohllaut und Deutlichkeit vereinigte. Wolf gab den Orest mit wahrem Verständniß des Karakters. Auch sein Organ war nicht stark, aber er wandte es mit weiser Mäßigung an, und erhielt sich bis ans Ende auf gleicher Höhe; nur fehlte es ihm in den hochtragischen Scenen an Kraft. Göthe selbst spielte in seiner Jugend den Orest auf dem kleinen Theater in Ettersburg, Frau von Stein die Iphigenie, der Herzog den Pylades. Dieser Vorstellung wohnte Dr. Hufeland, als Leibarzt des Herzogs bei; er sagt darüber
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/104 |
Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/104>, abgerufen am 26.07.2024. |