Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

Leitfaden für Geographie und Geschichte der Klasse zum abschreiben vorlegte. Einem solchen Manne nur entfernt ähnlich zu werden, war der Vorsatz meiner nachstrebenden Bewunderung.

Auch nach den Schuljahren bin ich mit ihm in den freundlichsten Beziehungen geblieben. Wenn ich ihm später wohl von dem durchgreifenden und wohlthätigen Einflüsse erzählte, den er auf meine geistige Entwicklung ausgeübt, so sagte er mit bescheidenem Lächeln: "all' ohne mein Verdienst und Würdigkeit!" Zeitlebens werde ich ihm ein dankbares Andenken bewahren.

--------

Jeder Mensch übt gegen den andern eine bestimmte geistige Anziehung oder Abstoßung aus, die im frischen Jugendalter am stärksten hervortritt. Darum sind Schulfreundschaften und -feindschaften die dauerhaftesten. Nur gegen die, welche man nicht kennt, kann man in der Jugend gleichgültig sein. Oft kömmt es vor, daß rasch aufgeblühte Neigungen sich in Abneigungen verkehren, seltener ist der umgekehrte Fall, daß mit einem anfangs widerwärtigen Mitschüler später Freundschaft geschlossen wird. Denke ich in dieser Beziehung an meine Schulzeit zurück, so ist mir klar, daß auch die körperliche Atmosphäre eine große Rolle bei meinen Zu- und Abneigungen gespielt habe. Die gemeine Redensart: ich kann ihn nicht riechen, beruht auf einer richtigen Wahrnehmung. Alle Schulfreunde hatten einen für mich angenehmen, die Feinde einen unangenehmen Geruch. Beide Arten sind mir noch sehr deutlich im Gedächtnisse.

Leitfaden für Geographie und Geschichte der Klasse zum abschreiben vorlegte. Einem solchen Manne nur entfernt ähnlich zu werden, war der Vorsatz meiner nachstrebenden Bewunderung.

Auch nach den Schuljahren bin ich mit ihm in den freundlichsten Beziehungen geblieben. Wenn ich ihm später wohl von dem durchgreifenden und wohlthätigen Einflüsse erzählte, den er auf meine geistige Entwicklung ausgeübt, so sagte er mit bescheidenem Lächeln: „all’ ohne mein Verdienst und Würdigkeit!“ Zeitlebens werde ich ihm ein dankbares Andenken bewahren.

————

Jeder Mensch übt gegen den andern eine bestimmte geistige Anziehung oder Abstoßung aus, die im frischen Jugendalter am stärksten hervortritt. Darum sind Schulfreundschaften und -feindschaften die dauerhaftesten. Nur gegen die, welche man nicht kennt, kann man in der Jugend gleichgültig sein. Oft kömmt es vor, daß rasch aufgeblühte Neigungen sich in Abneigungen verkehren, seltener ist der umgekehrte Fall, daß mit einem anfangs widerwärtigen Mitschüler später Freundschaft geschlossen wird. Denke ich in dieser Beziehung an meine Schulzeit zurück, so ist mir klar, daß auch die körperliche Atmosphäre eine große Rolle bei meinen Zu- und Abneigungen gespielt habe. Die gemeine Redensart: ich kann ihn nicht riechen, beruht auf einer richtigen Wahrnehmung. Alle Schulfreunde hatten einen für mich angenehmen, die Feinde einen unangenehmen Geruch. Beide Arten sind mir noch sehr deutlich im Gedächtnisse.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="1">
          <p><pb facs="#f0098" n="86"/>
Leitfaden für Geographie und Geschichte der Klasse zum abschreiben vorlegte. Einem solchen Manne nur entfernt ähnlich zu werden, war der Vorsatz meiner nachstrebenden Bewunderung. </p><lb/>
          <p>Auch nach den Schuljahren bin ich mit ihm in den freundlichsten Beziehungen geblieben. Wenn ich ihm später wohl von dem durchgreifenden und wohlthätigen Einflüsse erzählte, den er auf meine geistige Entwicklung ausgeübt, so sagte er mit bescheidenem Lächeln: &#x201E;all&#x2019; ohne mein Verdienst und Würdigkeit!&#x201C; Zeitlebens werde ich ihm ein dankbares Andenken bewahren. </p><lb/>
          <p rendition="#c">&#x2014;&#x2014;&#x2014;&#x2014;</p><lb/>
          <p>Jeder Mensch übt gegen den andern eine bestimmte geistige Anziehung oder Abstoßung aus, die im frischen Jugendalter am stärksten hervortritt. Darum sind Schulfreundschaften und -feindschaften die dauerhaftesten. Nur gegen die, welche man nicht kennt, kann man in der Jugend gleichgültig sein. Oft kömmt es vor, daß rasch aufgeblühte Neigungen sich in Abneigungen verkehren, seltener ist der umgekehrte Fall, daß mit einem anfangs widerwärtigen Mitschüler später Freundschaft geschlossen wird. Denke ich in dieser Beziehung an meine Schulzeit zurück, so ist mir klar, daß auch die körperliche Atmosphäre eine große Rolle bei meinen Zu- und Abneigungen gespielt habe. Die gemeine Redensart: ich kann ihn nicht riechen, beruht auf einer richtigen Wahrnehmung. Alle Schulfreunde hatten einen für mich angenehmen, die Feinde einen unangenehmen Geruch. Beide Arten sind mir noch sehr deutlich im Gedächtnisse.
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[86/0098] Leitfaden für Geographie und Geschichte der Klasse zum abschreiben vorlegte. Einem solchen Manne nur entfernt ähnlich zu werden, war der Vorsatz meiner nachstrebenden Bewunderung. Auch nach den Schuljahren bin ich mit ihm in den freundlichsten Beziehungen geblieben. Wenn ich ihm später wohl von dem durchgreifenden und wohlthätigen Einflüsse erzählte, den er auf meine geistige Entwicklung ausgeübt, so sagte er mit bescheidenem Lächeln: „all’ ohne mein Verdienst und Würdigkeit!“ Zeitlebens werde ich ihm ein dankbares Andenken bewahren. ———— Jeder Mensch übt gegen den andern eine bestimmte geistige Anziehung oder Abstoßung aus, die im frischen Jugendalter am stärksten hervortritt. Darum sind Schulfreundschaften und -feindschaften die dauerhaftesten. Nur gegen die, welche man nicht kennt, kann man in der Jugend gleichgültig sein. Oft kömmt es vor, daß rasch aufgeblühte Neigungen sich in Abneigungen verkehren, seltener ist der umgekehrte Fall, daß mit einem anfangs widerwärtigen Mitschüler später Freundschaft geschlossen wird. Denke ich in dieser Beziehung an meine Schulzeit zurück, so ist mir klar, daß auch die körperliche Atmosphäre eine große Rolle bei meinen Zu- und Abneigungen gespielt habe. Die gemeine Redensart: ich kann ihn nicht riechen, beruht auf einer richtigen Wahrnehmung. Alle Schulfreunde hatten einen für mich angenehmen, die Feinde einen unangenehmen Geruch. Beide Arten sind mir noch sehr deutlich im Gedächtnisse.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/98
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/98>, abgerufen am 22.11.2024.