Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].Von den preußischen Soldaten hatten wir bis dahin sehr wenig in Berlin gespürt. Sie wohnten ruhig in ihren Kasernen. Nun sah ich zum ersten Male in unsrer stillen Brüderstraße einen Schwarm bewaffneter Leute mit breiten dreieckigen Hüten und entsetzlich langen Zöpfen. Sie zogen einzeln und verdrossen auf ihren Sammelplatz an der Petrikirche und stellten sich in Reih und Glied. Ein Schwarm Kinder und müßigen Gesindels betrachtete aus der Ferne das ungewohnte Schauspiel. Die armen Leute, sagte neben mir eine Frau aus dem Volke, wie mancher davon wird nicht zurückkommen! Auch an übeln Vorbedeutungen, die freilich nur dann behalten werden, wenn sie eintreffen, fehlte es nicht. Als ein Regiment mit klingendem Spiele beim Zeughause vorbeizog, löste sich von den Trophäen auf dem Mittelgiebel der Kopf einer Bellona, und stürzte krachend auf das Pflaster. Die Namen der preußischen Generale, des Herzogs von Braunschweig und des Feldmarschalls von Möllendorf hatten aus dem siebenjährigen Kriege her einen guten Klang; allein seit dem Hubertsburger Frieden waren 43 Jahre verflossen. Im Volke erzählte man sich, der Herzog von Braunschweig müsse sich bei jedem Worte besinnen, das er schreiben wolle, und Möllendorf brauche einen Schemel, um auf das Pferd zu steigen, wobei es vorkomme, daß er auf der andern Seite herabfalle. Nur zu bald erreichte uns die Nachricht von der unglücklichen Schlacht bei Jena, und es währte nicht lange, so hielt der Kaiser Napoleon seinen Einzug in Berlin. Da dies an meinem Geburtstage, den 27. Okt. 1806 stattfand, so ist mir die Erinnerung daran sehr lebendig. Ich Von den preußischen Soldaten hatten wir bis dahin sehr wenig in Berlin gespürt. Sie wohnten ruhig in ihren Kasernen. Nun sah ich zum ersten Male in unsrer stillen Brüderstraße einen Schwarm bewaffneter Leute mit breiten dreieckigen Hüten und entsetzlich langen Zöpfen. Sie zogen einzeln und verdrossen auf ihren Sammelplatz an der Petrikirche und stellten sich in Reih und Glied. Ein Schwarm Kinder und müßigen Gesindels betrachtete aus der Ferne das ungewohnte Schauspiel. Die armen Leute, sagte neben mir eine Frau aus dem Volke, wie mancher davon wird nicht zurückkommen! Auch an übeln Vorbedeutungen, die freilich nur dann behalten werden, wenn sie eintreffen, fehlte es nicht. Als ein Regiment mit klingendem Spiele beim Zeughause vorbeizog, löste sich von den Trophäen auf dem Mittelgiebel der Kopf einer Bellona, und stürzte krachend auf das Pflaster. Die Namen der preußischen Generale, des Herzogs von Braunschweig und des Feldmarschalls von Möllendorf hatten aus dem siebenjährigen Kriege her einen guten Klang; allein seit dem Hubertsburger Frieden waren 43 Jahre verflossen. Im Volke erzählte man sich, der Herzog von Braunschweig müsse sich bei jedem Worte besinnen, das er schreiben wolle, und Möllendorf brauche einen Schemel, um auf das Pferd zu steigen, wobei es vorkomme, daß er auf der andern Seite herabfalle. Nur zu bald erreichte uns die Nachricht von der unglücklichen Schlacht bei Jena, und es währte nicht lange, so hielt der Kaiser Napoléon seinen Einzug in Berlin. Da dies an meinem Geburtstage, den 27. Okt. 1806 stattfand, so ist mir die Erinnerung daran sehr lebendig. Ich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <p> <pb facs="#f0079" n="67"/> </p><lb/> <p>Von den preußischen Soldaten hatten wir bis dahin sehr wenig in Berlin gespürt. Sie wohnten ruhig in ihren Kasernen. Nun sah ich zum ersten Male in unsrer stillen Brüderstraße einen Schwarm bewaffneter Leute mit breiten dreieckigen Hüten und entsetzlich langen Zöpfen. Sie zogen einzeln und verdrossen auf ihren Sammelplatz an der Petrikirche und stellten sich in Reih und Glied. Ein Schwarm Kinder und müßigen Gesindels betrachtete aus der Ferne das ungewohnte Schauspiel. Die armen Leute, sagte neben mir eine Frau aus dem Volke, wie mancher davon wird nicht zurückkommen! </p><lb/> <p>Auch an übeln Vorbedeutungen, die freilich nur dann behalten werden, wenn sie eintreffen, fehlte es nicht. Als ein Regiment mit klingendem Spiele beim Zeughause vorbeizog, löste sich von den Trophäen auf dem Mittelgiebel der Kopf einer Bellona, und stürzte krachend auf das Pflaster. </p><lb/> <p>Die Namen der preußischen Generale, des Herzogs von Braunschweig und des Feldmarschalls von Möllendorf hatten aus dem siebenjährigen Kriege her einen guten Klang; allein seit dem Hubertsburger Frieden waren 43 Jahre verflossen. 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Von den preußischen Soldaten hatten wir bis dahin sehr wenig in Berlin gespürt. Sie wohnten ruhig in ihren Kasernen. Nun sah ich zum ersten Male in unsrer stillen Brüderstraße einen Schwarm bewaffneter Leute mit breiten dreieckigen Hüten und entsetzlich langen Zöpfen. Sie zogen einzeln und verdrossen auf ihren Sammelplatz an der Petrikirche und stellten sich in Reih und Glied. Ein Schwarm Kinder und müßigen Gesindels betrachtete aus der Ferne das ungewohnte Schauspiel. Die armen Leute, sagte neben mir eine Frau aus dem Volke, wie mancher davon wird nicht zurückkommen!
Auch an übeln Vorbedeutungen, die freilich nur dann behalten werden, wenn sie eintreffen, fehlte es nicht. Als ein Regiment mit klingendem Spiele beim Zeughause vorbeizog, löste sich von den Trophäen auf dem Mittelgiebel der Kopf einer Bellona, und stürzte krachend auf das Pflaster.
Die Namen der preußischen Generale, des Herzogs von Braunschweig und des Feldmarschalls von Möllendorf hatten aus dem siebenjährigen Kriege her einen guten Klang; allein seit dem Hubertsburger Frieden waren 43 Jahre verflossen. Im Volke erzählte man sich, der Herzog von Braunschweig müsse sich bei jedem Worte besinnen, das er schreiben wolle, und Möllendorf brauche einen Schemel, um auf das Pferd zu steigen, wobei es vorkomme, daß er auf der andern Seite herabfalle.
Nur zu bald erreichte uns die Nachricht von der unglücklichen Schlacht bei Jena, und es währte nicht lange, so hielt der Kaiser Napoléon seinen Einzug in Berlin. Da dies an meinem Geburtstage, den 27. Okt. 1806 stattfand, so ist mir die Erinnerung daran sehr lebendig. Ich
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/79>, abgerufen am 16.02.2025. |