Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

nusse seiner Kunstsammlungen habe ich später die seligsten Stunden verlebt.

Neben diesen angesehenen Gästen erschienen auch andre von geringerer Bedeutung, denen der Grosvater mit weniger Aufmerksamkeit zuhörte, was zu manchen Misverständnissen Veranlassung gab. Ein Verwandter von Tante Jettchen, den wir Vetter Wilhelm nannten, und der sich der juristischen Laufbahn widmete, war in der Familie wegen seiner schönen Handschrift und wegen seines ausdrucksvollen Vorlesens bekannt, galt aber sonst für einen Windbeutel. Mit einer klaren, volltönenden Stimme verband er eine große, vielleicht übertriebene Emphase. Engels Entzückung des Las Casas, von ihm vorgelesen, hat mich auf das tiefste bewegt. Dieser Vetter fand sich eines Abends ein, und erzählte viel von seinen losen Streichen auf dem Grauen Kloster, das seinen berühmten Direktor Gedike, Nicolais genauen Freund, erst vor kurzem (1803) verloren hatte. Die Verdienste des großen Schulmonarchen wurden nach Gebühr gewürdigt, doch auch seine Eigenheiten nicht verschwiegen: denn es ist die Art der Mittelmäßigkeit an einem hervorragenden Manne zumeist die kleinen Flecken aufzusuchen. Der Vetter war in Gedike's Familie bekannt, und erzählte, der Alte habe nie gelitten, daß irgend jemand seinen Töchtern etwas von Liebe vorschwatze. Als der Vetter einstmals am Klaviere saß, und der ältesten Tochter eine schmelzende Romanze vorsang, worin viel von Liebe vorkam, rief sie plötzlich ganz ängstlich: Singen Sie Freundschaft, Freundschaft! Papa kömmt!

So gut im Ganzen die Disciplin auf dem Grauen Kloster war, so seien doch manchmal, wie der Vetter erzählte, in den Zwischenminuten wunderliche Dinge ausgeführt

nusse seiner Kunstsammlungen habe ich später die seligsten Stunden verlebt.

Neben diesen angesehenen Gästen erschienen auch andre von geringerer Bedeutung, denen der Grosvater mit weniger Aufmerksamkeit zuhörte, was zu manchen Misverständnissen Veranlassung gab. Ein Verwandter von Tante Jettchen, den wir Vetter Wilhelm nannten, und der sich der juristischen Laufbahn widmete, war in der Familie wegen seiner schönen Handschrift und wegen seines ausdrucksvollen Vorlesens bekannt, galt aber sonst für einen Windbeutel. Mit einer klaren, volltönenden Stimme verband er eine große, vielleicht übertriebene Emphase. Engels Entzückung des Las Casas, von ihm vorgelesen, hat mich auf das tiefste bewegt. Dieser Vetter fand sich eines Abends ein, und erzählte viel von seinen losen Streichen auf dem Grauen Kloster, das seinen berühmten Direktor Gedike, Nicolais genauen Freund, erst vor kurzem (1803) verloren hatte. Die Verdienste des großen Schulmonarchen wurden nach Gebühr gewürdigt, doch auch seine Eigenheiten nicht verschwiegen: denn es ist die Art der Mittelmäßigkeit an einem hervorragenden Manne zumeist die kleinen Flecken aufzusuchen. Der Vetter war in Gedike’s Familie bekannt, und erzählte, der Alte habe nie gelitten, daß irgend jemand seinen Töchtern etwas von Liebe vorschwatze. Als der Vetter einstmals am Klaviere saß, und der ältesten Tochter eine schmelzende Romanze vorsang, worin viel von Liebe vorkam, rief sie plötzlich ganz ängstlich: Singen Sie Freundschaft, Freundschaft! Papa kömmt!

So gut im Ganzen die Disciplin auf dem Grauen Kloster war, so seien doch manchmal, wie der Vetter erzählte, in den Zwischenminuten wunderliche Dinge ausgeführt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="1">
          <p><pb facs="#f0075" n="63"/>
nusse seiner Kunstsammlungen habe ich später die seligsten Stunden verlebt. </p><lb/>
          <p>Neben diesen angesehenen Gästen erschienen auch andre von geringerer Bedeutung, denen der Grosvater mit weniger Aufmerksamkeit zuhörte, was zu manchen Misverständnissen Veranlassung gab. Ein Verwandter von Tante Jettchen, den wir Vetter Wilhelm nannten, und der sich der juristischen Laufbahn widmete, war in der Familie wegen seiner schönen Handschrift und wegen seines ausdrucksvollen Vorlesens bekannt, galt aber sonst für einen Windbeutel. Mit einer klaren, volltönenden Stimme verband er eine große, vielleicht übertriebene Emphase. Engels Entzückung des Las Casas, von ihm vorgelesen, hat mich auf das tiefste bewegt. Dieser Vetter fand sich eines Abends ein, und erzählte viel von seinen losen Streichen auf dem Grauen Kloster, das seinen berühmten Direktor Gedike, Nicolais genauen Freund, erst vor kurzem (1803) verloren hatte. Die Verdienste des großen Schulmonarchen wurden nach Gebühr gewürdigt, doch auch seine Eigenheiten nicht verschwiegen: denn es ist die Art der Mittelmäßigkeit an einem hervorragenden Manne zumeist die kleinen Flecken aufzusuchen. Der Vetter war in Gedike&#x2019;s Familie bekannt, und erzählte, der Alte habe nie gelitten, daß irgend jemand seinen Töchtern etwas von Liebe vorschwatze. Als der Vetter einstmals am Klaviere saß, und der ältesten Tochter eine schmelzende Romanze vorsang, worin viel von Liebe vorkam, rief sie plötzlich ganz ängstlich: Singen Sie Freundschaft, Freundschaft! Papa kömmt! </p><lb/>
          <p>So gut im Ganzen die Disciplin auf dem Grauen Kloster war, so seien doch manchmal, wie der Vetter erzählte, in den Zwischenminuten wunderliche Dinge ausgeführt
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[63/0075] nusse seiner Kunstsammlungen habe ich später die seligsten Stunden verlebt. Neben diesen angesehenen Gästen erschienen auch andre von geringerer Bedeutung, denen der Grosvater mit weniger Aufmerksamkeit zuhörte, was zu manchen Misverständnissen Veranlassung gab. Ein Verwandter von Tante Jettchen, den wir Vetter Wilhelm nannten, und der sich der juristischen Laufbahn widmete, war in der Familie wegen seiner schönen Handschrift und wegen seines ausdrucksvollen Vorlesens bekannt, galt aber sonst für einen Windbeutel. Mit einer klaren, volltönenden Stimme verband er eine große, vielleicht übertriebene Emphase. Engels Entzückung des Las Casas, von ihm vorgelesen, hat mich auf das tiefste bewegt. Dieser Vetter fand sich eines Abends ein, und erzählte viel von seinen losen Streichen auf dem Grauen Kloster, das seinen berühmten Direktor Gedike, Nicolais genauen Freund, erst vor kurzem (1803) verloren hatte. Die Verdienste des großen Schulmonarchen wurden nach Gebühr gewürdigt, doch auch seine Eigenheiten nicht verschwiegen: denn es ist die Art der Mittelmäßigkeit an einem hervorragenden Manne zumeist die kleinen Flecken aufzusuchen. Der Vetter war in Gedike’s Familie bekannt, und erzählte, der Alte habe nie gelitten, daß irgend jemand seinen Töchtern etwas von Liebe vorschwatze. Als der Vetter einstmals am Klaviere saß, und der ältesten Tochter eine schmelzende Romanze vorsang, worin viel von Liebe vorkam, rief sie plötzlich ganz ängstlich: Singen Sie Freundschaft, Freundschaft! Papa kömmt! So gut im Ganzen die Disciplin auf dem Grauen Kloster war, so seien doch manchmal, wie der Vetter erzählte, in den Zwischenminuten wunderliche Dinge ausgeführt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/75
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/75>, abgerufen am 28.11.2024.