Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].Zimmergesellen auf dünnen Brettern bis zur höchsten Höhe sich aufschwingen. Die sonst streng verschlossene Gartenthür stand den ganzen Tag offen, und ein Theil der zierlichen Beete wurde von den Maurern zertreten, denen wir anfangs wegen ihrer schmutzigen Kleider kaum zu nahen wagten. Sehr langsam - denn Fritz war damals noch nicht im Hause - ward mit den fremden Leuten, während wir im Garten spielten, eine Bekanntschaft angeknüpft; die vom Stock zu Stock hinaufreichenden Leitern hatten gar zu viel verführerisches; die erste wurde glücklich von mir erstiegen, der zweite Plan gewahrte einen ungewohnten Einblick in den Nachbargarten; ohne Zweifel wäre ich zum vierten Stocke hinaufklettert, wenn nicht das wachsame Auge von Madame Clause mich erspäht, und wenn nicht ihr Zetergeschrei den Grosvater ans Fenster gerufen bitte. Eilig stieg ich hinab, und nachdem Madame Clause hinlänglich gescholten, kam der alte Friedrich mit dem Befehle, daß ich vor dem Grosvater erscheinen solle. Der Gang zum Hochgericht kann nur ein Kinderspiel sein gegen die Gefühle der Vernichtung, welche mich beherrschten. Ob der Tadel scharf oder gelinde gewesen, bin ich völlig außer Stande anzugeben; aber die Art des Grosvaters war eine so herbe, daß ich mich sehr gut erinnre, nicht eine Thräne vergossen zu haben, während mir sonst bei einem liebreichen Verweise der Aeltern die Augen allzuleicht naß wurden. Bei Jean Paul (Titan 1, 175) habe ich den richtigen Ausdruck für jenes mehr als gräsliche Gefühl gefunden: nachsterben. So wenig ich im allgemeinen von den Abenderzählungen des Grosvaters fassen konnte, so ist doch einiges davon haften geblieben. Die Geschichte von der Steinsuppe Zimmergesellen auf dünnen Brettern bis zur höchsten Höhe sich aufschwingen. Die sonst streng verschlossene Gartenthür stand den ganzen Tag offen, und ein Theil der zierlichen Beete wurde von den Maurern zertreten, denen wir anfangs wegen ihrer schmutzigen Kleider kaum zu nahen wagten. Sehr langsam – denn Fritz war damals noch nicht im Hause – ward mit den fremden Leuten, während wir im Garten spielten, eine Bekanntschaft angeknüpft; die vom Stock zu Stock hinaufreichenden Leitern hatten gar zu viel verführerisches; die erste wurde glücklich von mir erstiegen, der zweite Plan gewahrte einen ungewohnten Einblick in den Nachbargarten; ohne Zweifel wäre ich zum vierten Stocke hinaufklettert, wenn nicht das wachsame Auge von Madame Clause mich erspäht, und wenn nicht ihr Zetergeschrei den Grosvater ans Fenster gerufen bitte. Eilig stieg ich hinab, und nachdem Madame Clause hinlänglich gescholten, kam der alte Friedrich mit dem Befehle, daß ich vor dem Grosvater erscheinen solle. Der Gang zum Hochgericht kann nur ein Kinderspiel sein gegen die Gefühle der Vernichtung, welche mich beherrschten. Ob der Tadel scharf oder gelinde gewesen, bin ich völlig außer Stande anzugeben; aber die Art des Grosvaters war eine so herbe, daß ich mich sehr gut erinnre, nicht eine Thräne vergossen zu haben, während mir sonst bei einem liebreichen Verweise der Aeltern die Augen allzuleicht naß wurden. Bei Jean Paul (Titan 1, 175) habe ich den richtigen Ausdruck für jenes mehr als gräsliche Gefühl gefunden: nachsterben. So wenig ich im allgemeinen von den Abenderzählungen des Grosvaters fassen konnte, so ist doch einiges davon haften geblieben. Die Geschichte von der Steinsuppe <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <p><pb facs="#f0068" n="56"/> Zimmergesellen auf dünnen Brettern bis zur höchsten Höhe sich aufschwingen. Die sonst streng verschlossene Gartenthür stand den ganzen Tag offen, und ein Theil der zierlichen Beete wurde von den Maurern zertreten, denen wir anfangs wegen ihrer schmutzigen Kleider kaum zu nahen wagten. Sehr langsam – denn Fritz war damals noch nicht im Hause – ward mit den fremden Leuten, während wir im Garten spielten, eine Bekanntschaft angeknüpft; die vom Stock zu Stock hinaufreichenden Leitern hatten gar zu viel verführerisches; die erste wurde glücklich von mir erstiegen, der zweite Plan gewahrte einen ungewohnten Einblick in den Nachbargarten; ohne Zweifel wäre ich zum vierten Stocke hinaufklettert, wenn nicht das wachsame Auge von Madame Clause mich erspäht, und wenn nicht ihr Zetergeschrei den Grosvater ans Fenster gerufen bitte. Eilig stieg ich hinab, und nachdem Madame Clause hinlänglich gescholten, kam der alte Friedrich mit dem Befehle, daß ich vor dem Grosvater erscheinen solle. Der Gang zum Hochgericht kann nur ein Kinderspiel sein gegen die Gefühle der Vernichtung, welche mich beherrschten. Ob der Tadel scharf oder gelinde gewesen, bin ich völlig außer Stande anzugeben; aber die Art des Grosvaters war eine so herbe, daß ich mich sehr gut erinnre, nicht eine Thräne vergossen zu haben, während mir sonst bei einem liebreichen Verweise der Aeltern die Augen allzuleicht naß wurden. Bei Jean Paul (Titan 1, 175) habe ich den richtigen Ausdruck für jenes mehr als gräsliche Gefühl gefunden: nachsterben. </p><lb/> <p>So wenig ich im allgemeinen von den Abenderzählungen des Grosvaters fassen konnte, so ist doch einiges davon haften geblieben. Die Geschichte von der Steinsuppe </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [56/0068]
Zimmergesellen auf dünnen Brettern bis zur höchsten Höhe sich aufschwingen. Die sonst streng verschlossene Gartenthür stand den ganzen Tag offen, und ein Theil der zierlichen Beete wurde von den Maurern zertreten, denen wir anfangs wegen ihrer schmutzigen Kleider kaum zu nahen wagten. Sehr langsam – denn Fritz war damals noch nicht im Hause – ward mit den fremden Leuten, während wir im Garten spielten, eine Bekanntschaft angeknüpft; die vom Stock zu Stock hinaufreichenden Leitern hatten gar zu viel verführerisches; die erste wurde glücklich von mir erstiegen, der zweite Plan gewahrte einen ungewohnten Einblick in den Nachbargarten; ohne Zweifel wäre ich zum vierten Stocke hinaufklettert, wenn nicht das wachsame Auge von Madame Clause mich erspäht, und wenn nicht ihr Zetergeschrei den Grosvater ans Fenster gerufen bitte. Eilig stieg ich hinab, und nachdem Madame Clause hinlänglich gescholten, kam der alte Friedrich mit dem Befehle, daß ich vor dem Grosvater erscheinen solle. Der Gang zum Hochgericht kann nur ein Kinderspiel sein gegen die Gefühle der Vernichtung, welche mich beherrschten. Ob der Tadel scharf oder gelinde gewesen, bin ich völlig außer Stande anzugeben; aber die Art des Grosvaters war eine so herbe, daß ich mich sehr gut erinnre, nicht eine Thräne vergossen zu haben, während mir sonst bei einem liebreichen Verweise der Aeltern die Augen allzuleicht naß wurden. Bei Jean Paul (Titan 1, 175) habe ich den richtigen Ausdruck für jenes mehr als gräsliche Gefühl gefunden: nachsterben.
So wenig ich im allgemeinen von den Abenderzählungen des Grosvaters fassen konnte, so ist doch einiges davon haften geblieben. Die Geschichte von der Steinsuppe
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/68 |
Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/68>, abgerufen am 05.07.2024. |